Bürger demonstrieren gegen das Vorhaben der Bahn

Lichter Protest

Nein zum ICE-Werk, nein zu mehr Lärmbelästigung: Die Teilnehmer der Lichterwache in Altenfurt trotzten vergangenen Mittwochabend den kalten Temperaturen, um ihren Standpunkt zu vertreten. | Foto: Daniel Frasch2021/01/Altenfurt-Lichterwache-ICE-Werk-scaled.jpg

ALTENFURT – Gegen das geplante ICE-instandhaltungswerk in Altenfurt halten Mitglieder des Bürgervereins Nürnberg Südost eine Lichterwache ab. Neben zehntausender gerodeter Bäume fürchten sie eine sinkende Lebensqualität im Viertel.

Es ist ein Mammutprojekt: Für rund 400 Millionen Euro plant die Deutsche Bahn ein ICE-Instandhaltungswerk im Südosten Nürnbergs. Mittelpunkt des Werks soll eine 450 Meter lange Wartungshalle sein, in der auf sechs Gleisen täglich bis zu 25 ICE-Züge gewartet werden können.
Nürnberg festigt sich mit diesem vierten DB-Werk als wichtiger Bahn-Standort und zentraler Schienenknotenpunkt. Wir leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Verkehrswende“, sagte Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) bereits vor einigen Wochen zur Entscheidung der Bahn. Dank Photovoltaik und Solarthermie, soll das Werk laut Deutscher Bahn vollständig CO2-neutral betrieben werden, eine besonders gedämmte Gebäudehülle soll für einen niedrigen Energieverbrauch sorgen. Auch ökologische Ausgleichsflächen soll es geben.

Viele Anwohner im betroffenen Stadtteil Altenfurt und dem angrenzenden Fischbach vertreten einen anderen Standpunkt: Vergangenen Mittwochabend protestierten bereits zum zweiten Mal rund 35 Teilnehmer mit einer Lichterwache an der Löwenberger Straße. Angekündigt wurde der Protest im Vorfeld nicht – aus gutem Grund: „Ein spontaner Zuwachs der Teilnehmerzahl ist nicht geplant und wegen der aktuellen Gefährdung durch Covid-19 auch nicht gewünscht“, teilte Veranstalter Markus Fleischmann dem Boten zuvor mit.

„Völlig ungeeigneter Standort“

Weniger die Notwendigkeit eines solchen ICE-Werkes, vielmehr der Standort sorgt beim Bürgerverein Nürnberg Südost für Ärger.
Wir sind grundsätzlich für eine Verkehrswende und sehen auch den grundsätzlichen Bedarf für die Errichtung eines ICE-Werks. Den von der Bahn eindeutig präferierten Standort in Nürnberg-Altenfurt lehnen wir allerdings ab“, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme des Vereins. Der Standort sei absolut ungeeignet, die massiven Eingriffe in den Bannwald, der ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Menschen in Altenfurt und Fischbach biete, seien nicht zu vertreten.

So könnte das ICE-Werk in Altenfurt ausschauen: Die Wartungshalle mit einer Länge von 450 Metern beinhaltet sechs Gleise. | Foto: Deutsche Bahn2021/01/Altenfurt-Skizze-ICE-Werk-DB.jpg

Die Rede ist von einer rund 460 000 Quadratmeter großen Fläche, „zehntausende Bäume des wertvollen Mischwalds“ müssten für das Werk weichen, sind sich die Verantwortlichen sicher. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Anwohner des Bereichs: Der direkte Zugang zum Wald würde durch den Bau unterbrochen, weitere Belastungen durch Lärm und Licht wären zu erwarten. Kurzum: Die Wohnqualität würde stark beeinträchtigt werden.

Zwar heißt es von Seiten der Bahn, das Projekt würde in Austausch mit den Bürgern geplant. Davon kann nach Angaben des Vorsitzenden des Bürgervereins Südost, Werner Miegl, jedoch keine Rede sein. „Unter Berücksichtigung und Einbeziehung der Bürger verstehe ich ehrlich gesagt etwas anderes. Wir hatten bislang zwei Termine mit der Bahn: Anstatt unsere konkreten Fragen zu beantworten, wurde immer nur auf das Raumordnungsverfahren verwiesen. Die Bahn hält sich bislang sehr bedeckt und versucht uns zu erzählen, wie toll das Projekt doch wäre“, kritisiert er. Aufgeben kommt für Miegl und die rund 700 Mitglieder des Vereins jedoch nicht in Frage: „Wenn es aussichtlos wäre, das Werk hier in Altenfurt zu verhindern, würden wir nicht so viel Energie hineinstecken.

„Stärkung der regionalen Wirtschaft“

Bei der Deutschen Bahn sieht man das naturgemäß anders. Nicht nur würde sie 450 attraktive Arbeitsplätze schaffen. Da sich die örtlichen Unternehmen an den Ausschreibungen für den Bau betetiligen können, würde auch die Wirtschaft in der gesamten Region gestärkt, sagt Vorstand DB-Infrastruktur, Ronald Pofalla. „Nürnberg ist ein zentraler Knotenpunkt in unserem Netz und damit ein idealer Standort für unser neues Werk“, ist der Rechtsanwalt und ehemalige Generalsekretär der CDU überzeugt.

Auch die Bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) sieht in dem Großprojekt viele Vorteile: „Das neue ICE-Werk sorgt in Nürnberg nicht nur für umweltfreundliche Mobilität und sichere Arbeitsplätze. Wir sorgen als Freistaat dafür, dass in der Region zusätzlich neuer Naturwald entstehen kann. Mehr als 300 Hektar Staatsforsten stellen wir als ökologische Ausgleichsfläche zur Verfügung.“ So weit die Theorie.


Wo genau diese Ausgleichsfläche entstehen soll, ist bislang jedoch unklar.
Ein Punkt, den auch Markus Fleischmann kritisiert. Der Veranstalter und Leiter der Lichterwache vermutet: „Wahrscheinlich wird einfach ein bereits bestehender Wald in eine Ausgleichsfläche umgewandelt, indem er nicht mehr bewirtschaftet wird. Es besteht schlicht kein Platz für die erwähnten 300 Hektar.“ So würde Nürnberg eines Teils seiner grünen Lunge beraubt, ohne den nötigen Ausgleich für die betroffene Stadt zu schaffen. Davon abgesehen, „dass der Bannwald unter Schutz steht und nach europäischem Recht ein Vogelschutzgebiet darstellt.

„Keine zeitgemäße Stadtentwicklung“

Grundsätzlich sieht er das Bahn-Projekt in Altenfurt nicht nur als lokal begrenzte Angelegenheit. Vielmehr gehe es dabei um die Frage, wie künftig das Thema Stadtentwicklung angegangen werden sollte. „Ist es noch zeitgemäß, für eine Industrieanlage Menschen auszugrenzen und die Natur mit einem stadtnahen Wald komplett zu opfern?“, fragt er rhetorisch. Auf die Frage, ob von den Gegnern des Bahn-Projekts nicht nur Ablehnung des geplanten Standorts geäußert, sondern auch mögliche Alternativen vorgeschlagen wurden, antwortet Fleischmann: „Das ist nicht die Aufgabe der Bürger, sondern die der Deutschen Bahn. Doch die hat sich ganz offensichtlich nur auf diesen einen Standort eingeschossen und bislang keine anderen, ernsthaften Vorschläge unterbreitet.

Im Frühjahr soll das Raumordnungsverfahren beginnen, an dessen Ende nicht die Stadt Nürnberg, sondern die Regierung von Mittelfranken den geeigneten Standort empfehlen wird. Zuvor möchte die Bahn die Bürger sowie die (Umwelt-)Verbände vor Ort in die Planungen einbeziehen. Erste Dialogveranstaltungen dazu sollen noch im ersten Quartal diesen Jahres auf Basis erster vorliegender Planungsdetails stattfinden. Vorher, am 27. Januar nämlich, steht der nächste Termin zwischen der Bahn und dem Bürgerverein Südost an. Ob der dann die erhofften Antworten auf seinen eingereichten Fragenkatalog erhält, bleibt zumindest fraglich.

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