Afghane muss Schreinerlehre abbrechen

Von der Werkbank ins Flugzeug nach Afghanistan?

Das waren sie noch zuversichtlich: Schreiner Joachim von Hanstein und sein Lehrling Omid im September letzten Jahres. | Foto: PZ-Archiv2017/08/fluchtling-azubi-in-schreinerei.jpg

SCHNAITTACH — Er gilt als Musterbeispiel für die Integration von Flüchtlingen, trotzdem droht ihm ganz akut die Abschiebung: Der 19-jährige Omid aus Afghanistan musste auf Weisung der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) in Nürnberg zum 31. Juli seine Ausbildung bei der Kunstschreinerei von Hanstein in Osternohe abbrechen. Seine Anwältin hat Klage eingereicht.

Im Januar 2014 war Omid nach Deutschland gekommen – allein. Seine Familie hatte ihrem eigentlichem Heimatland Afghanistan schon lange den Rücken gekehrt und im Iran gelebt. Von dort floh der damals 16-Jährige und lebte in Schnaittach in der Obhut des Jugendhilfezentrums. Der junge Mann entwickelte sich laut seiner Betreuerin Daniela Novosel gut, spielte in Schnaittach Fußball, engagierte sich in der Jugendarbeit der katholischen Gemeinde und war hier sogar als Sternsinger aktiv. Im September 2016 durfte er mit Erlaubnis der örtlichen Ausländerbehörde im Landratsamt sogar eine Ausbildung beginnen: bei der Kunstschreinerei von Hanstein in Osternohe. Leicht sei es am Anfang nicht gewesen für beide Seiten, erinnert sich Lehrherr Joachim von Hanstein, vor allem wegen der Sprachbarrieren. Doch mit der Zeit fügte sich Omid besser ein.

Einen ersten Rückschlag gab es allerdings im Dezember 2016, als Omids Asylantrag abgelehnt wurde. Trotzdem hofften er, sein Arbeitgeber und die Verantwortlichen im Jugendzentrum darauf, dass für den jungen Mann die im Bund gängige „3+2“-Regelung greifen würde.

Duldung während Ausbildung?

Diese sieht vor, dass Flüchtlingen ein Aufenthaltsrecht für die Dauer ihrer Ausbildung plus eine zweijährige Berufszeit gewährt wird. Omids Betreuer blieben nicht untätig, setzten sich mehrfach mit der Zentralen Ausländerbehörde in Nürnberg, die inzwischen für Omids Fall zuständig ist, in Verbindung und fragten nach, ob die sogenannte Gestattung, die normalerweise bei einem negativen Asylbescheid erlischt, verlängert wird. „Man hat uns in dem Glauben gelassen, dass Omid unter die Ausbildungsduldung fällt, uns in Sicherheit gewogen“, betont Daniela Novosel. Um sein vorläufiges Bleiben abzusichern, reichte sie Mitte Mai bei der ZAB wegen des bestehenden Ausbildungsverhältnisses einen Antrag auf „Duldung wegen dringender persönlicher Gründe“ ein.

„Der Bundesgesetzgeber sieht die Möglichkeit der Integration ohne Durchlaufen des Asylverfahrens vor“, erklärt Anwältin Gisa Tangermann-Ahring, die inzwischen Omids Anwältin ist. Doch in Bayern wird ihrer Meinung nach „systematisch Recht gebeugt“, nicht nur, weil die „3+2“-Regelung von Innenminister Herrmann außer Kraft gesetzt worden sei. So ist auf Omids Gestattungs- beziehungsweise Duldungsdokument eigentlich der 31.8.2018 als genehmigte Ausbildungsdauer vermerkt. Dies wurde von Mitarbeitern der ZAB jedoch Ende Juni plötzlich handschriftlich auf den 31.7.2017 korrigiert. Damit erlosch auch seine Arbeitserlaubnis. Joachim von Hanstein musste die Ausbildung Knall auf Fall beenden, andernfalls hätte er sich strafbar gemacht. Informiert wurde er von der Behörde allerdings darüber nicht.

Omid hat keinen Pass

Diese zieht sich auf die Begründung zurück, dass Omid nicht genügend an seiner Identitätsfindung mitgewirkt habe. Tatsächlich hat der 19-Jährige keinen Pass, was allerdings kein Einzelfall ist. Denn um eine Tazkira zu beschaffen, das afghanische Pendant einer Geburtsurkunde, müssen Verwandte beim Konsulat in Kabul oder einer seiner Distriktbehörden vorsprechen. Doch Omid hat in Afghanistan keine Familie mehr, wie viele andere leben seine Angehörigen seit Jahren illegal im Iran. Zudem ist das Meldewesen in diesen Ländern nicht wirklich ausgereift. „Es gibt Geburten, die werden nirgendwo registriert“, erklärt Gisa Tangermann-Ahring. Omid habe beim Generalkonsulat in München vorgesprochen, für die Anwältin ist damit der Grundsatz der „zumutbaren Mitwirkung“ an der Identitätsfindung erfüllt. Die Behörde argumentiert dagegen, Omid habe zu spät reagiert.

„Bayern hebelt die Bundesgesetzgebung aus“, meinen Gisa Tangermann-Ahring und Martin Herzog, Fachbereichsleiter UmF (Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) im Jugendhilfezentrum Schnaittach. Dieses ist seit 1. Juni 2017 eigentlich gar nicht mehr für Omid zuständig, der inzwischen in einer eigenen Wohnung lebt. Martin Herzog und Daniela Novosel kümmern sich ehrenamtlich um den Fall des Jungen. „Wir können ihn doch nicht im Regen stehen lassen. Er genießt hier einen ausgezeichneten Ruf, hat sich immer für ein respektvolles Klima eingesetzt“, sagt Martin Herzog.

Für Herzog, Novosel und Tangermann-Ahring ist die Lage klar: Der Ton in den ZABs hat sich verschärft. Flüchtlinge sollen durch Entscheidungen wie in Omids Fall bewusst abgeschreckt, potentielle Arbeitgeber verunsichert und mürbe gemacht werden durch nur monateweise Duldungsverlängerungen. „Da wird Flüchtlingen vorgeworfen, sie missbrauchen eine Ausbildung, um hierbleiben zu können. Dabei sind das diejenigen, die Deutsch gelernt haben, die sich integriert haben und die nicht zuletzt dafür sorgen, dass die Wirtschaft dringend benötigte Arbeitskräfte bekommt“, betonen Omids Mitstreiter unisono.

Diese Einschätzung bestätigt ein Schreiben der ZAB Mittelfranken in Ansbach an Landrat Armin Kroder. Kroder hatte um Unterstützung im Fall dreier anderer afghanischer Flüchtlinge gebeten, die nach erfolgreichen Praktika in drei Betrieben im PZ-Gebiet eine Ausbildung hätten beginnen können. Doch die ZAB lehnt dies ebenfalls ab mit Hinweis auf die ungeklärte Identität der jungen Männer.

Landtagsabgeordneter Norbert Dünkel (CSU) sieht die Sache freilich anders. Das Bundesgesetz besage klar, dass Menschen aus sicheren Herkunftsländern dorthin zurückgeführt werden müssen, „und dazu stehe ich“. Auch in Afghanistan gebe es sichere Regionen. Die „3+2“-Regelung gelte nur für den Fall, dass ein Asylantrag nicht abgelehnt sei. „Bayern hält sich ans Gesetz, es gibt aber Bundesländer, die das anders handhaben“, sagt Dünkel. Den konkreten Fall von Omid kennt er nicht, er gehe aber davon aus, dass die Ausländerbehörde mit ihrer Entscheidung recht hat. „Die Mehrheit der Bevölkerung möchte, dass Menschen, die kein Asylrecht haben, in ihre Heimat zurückgehen.“

Omid selbst hat das Verfahren zuletzt psychisch arg zugesetzt. „Die Zusammenarbeit war in den letzten Wochen schwierig“, räumt Schreiner von Hanstein ein, der aber glaubt, dass sich sein Schützling wieder stabilisieren würde. Gisa Tangermann-Ahring hat per Eilantrag nun Klage beim Verwaltungsgericht in Ansbach eingereicht, unter anderem wegen formaler Fehler, die ihrer Meinung nach in Omids Fall gemacht wurden. Im Oktober droht dem jungen Mann die Abschiebung nach Afghanistan, in ein Land, das er eigentlich gar nicht kennt.

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