NÜRNBERGER LAND — Es ist bald fünf Jahre her, seit das sperrige Wort Perfluoroctansulfonat zum ersten Mal in der Pegnitz-Zeitung stand. Vor fünf Jahren wurde öffentlich, dass der im Tierversuch Krebs auslösende Schadstoff, der unter seiner Abkürzung PFOS bekannt ist, im Birkensee steckt.
Schnell stand fest: Die Behörden wussten das schon länger. Sie hatten PFOS zuvor auch an anderen Stellen gefunden, etwa 2012 am Auslauf der Diepersdorfer Kläranlage in den Finstergraben oder 2013 – wenn auch in extrem niedriger Konzentration – in einem vom Netz genommenen Trinkwasserbrunnen in Diepersdorf.
Heute, fünf Jahre später, gibt es viele neue Messpunkte, regelmäßige Wasseruntersuchungen und Infoabende für die Bevölkerung, so wie am Donnerstagabend im Röthenbacher Rathaus. Aber es scheint, als führten Wasserwirtschaftsamt und Landratsamt einen Kampf gegen Windmühlen.
Substanzen werden kaum abgebaut
Auch wenn der PFOS-Wert im Finstergraben deutlich abgenommen hat, im oberflächennahen Grundwasser im Birkenseegebiet zuletzt zurückging und das Trinkwasser aktuell überhaupt nicht belastet ist: PFOS und verwandte Stoffe, zusammengefasst unter dem Begriff der Per- und Polyfluorierten Alkylsubstanzen oder PFAS, werden an immer mehr Orten rund um Röthenbach und Diepersdorf nachgewiesen. 2018 etwa in einem Brunnen des Conradty-Nachfolgers Graphite Cova in Röthenbach. Seither tauchten die Chemikalien, die in der Umwelt nicht natürlich vorkommen und dort nicht oder nur sehr langsam abgebaut werden, auch in Pegeln an der Sandgrube Seelach und der Erdaushubdeponie Mühllach auf.
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Die Liste der Abkürzungen wird immer länger. Zu PFOS kam zunächst H4PFOS hinzu, ein in der Industrie verwendeter Ersatzstoff, der unter anderem nahe der Diepersdorfer Kläranlage zu finden ist. Über ihn ist noch wenig bekannt. Neu ist PFHxS, Perfluorhexansulfonsäure. Die Substanz, enthalten in Imprägnierungsmitteln, steht im Verdacht, die Leber zu schädigen. Fest steht laut Umweltbundesamt: Sie ist hartnäckiger als viele PFOS-Verwandte und reichert sich in Lebewesen stark an.
Das Wasserwirtschaftsamt fand PFHxS zusammen mit PFOS in rund 16 Meter Tiefe im Grundwasser nahe der ehemaligen Sandgrube in der Röthenbacher Mühllach. Hans-Dietrich Uhl, der stellvertretende Behördenleiter, spricht von einer „erheblichen Grundwasserverunreinigung“.

Es ist den Behörden bisher noch nicht gelungen, Verursacher für all diese Schadstoffvorkommen dingfest zu machen. Es liegt ihnen zufolge nahe, dass zumindest bei einzelnen Fundorten kontaminierter Erdaushub eine Rolle spielt, aber Detailuntersuchungen, das Wasserwirtschaftsamt spricht bei der Mühllach auch von einer „Hotspot-Lokalisierung“, stehen noch aus.
PFOS ist inzwischen zwar weltweit verboten, es gab aber und gibt zum Teil noch bis 2025 Ausnahmen. Der Diepersdorfer Galvanikbetrieb Bolta hat gegenüber der Pegnitz-Zeitung bereits 2016 bestätigt, PFOS bis 2012 legal verwendet zu haben. Das Unternehmen weist aber noch heute auf seiner Website darauf hin (PDF), dass auch andere Industriezweige mit der Substanz gearbeitet haben. Bei Bolta fand sich PFOS auch im Abwasser, das Unternehmen hat aber eine Reinigungsanlage installiert.
Einfache Verbindungslinien lassen sich ohnehin nicht ziehen: Das Stoffspektrum, das das Wasserwirtschaftsamt im Birkensee gefunden hat, ist ein anderes als jenes im Finstergraben, in den das Wasser aus der Diepersdorfer Kläranlage läuft.
Mangelhaftes Chemikalienrecht?
Dass die Behörden oft nicht hinterherkommen, hängt auch mit dem Chemikalienrecht zusammen. Die Zahl der Stoffe, die in der Industrie verwendet werden, ist riesig. Die europäische REACH-Verordnung gilt zwar als eines der strengsten Chemikaliengesetze der Welt, und neue Substanzen müssen registriert werden, doch gleichzeitig nehmen die Hersteller die erste Risikoeinschätzung selbst vor: Sie liefern die Daten zu möglichen Gefahren.
Erst im Frühjahr 2019 hat der Bund Naturschutz in einer Studie festgestellt, dass lückenhafte Dossiers in vielen Fällen ohne Konsequenzen blieben. Wenn Chemikalien zudem als „besonders besorgniserregend“ identifiziert sind, kommen sie erst auf eine sogenannte Kandidatenliste. Vor einem endgültigen Verbot steht ein aufwändiges Verfahren.
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Der Röthenbacher Bürgermeister Klaus Hacker fürchtet nicht zuletzt deshalb, dass „wir in ein paar Jahren wegen der Ersatzsubstanzen wieder zusammensitzen“.
Seine Behörde, sagt Uhl, setze viel Personal und Zeit für die Untersuchungen rund um Röthenbach und Diepersdorf ein. Doch klar ist für das Wasserwirtschaftsamt auch: Das Nürnberger Land ist kein Einzelfall. „Da geht es in anderen Bereichen Bayerns deutlich höher her“, sagt Uhl. Im Chemiedreieck bei Altötting etwa ist bereits geschehen, was in Röthenbach auf jeden Fall vermieden werden soll – dort war der Leitwert für PFAS in mehreren Trinkwasserbrunnen überschritten. Inzwischen wird eine Reinigungsanlage gebaut.
Nach wie vor sind die Chemikalien weder im Wasser, das die Moritzberggruppe an die Leinburger Haushalte liefert, noch im Wasser der Röthenbacher Stadtwerke. „Die Bevölkerung muss also nicht befürchten, dass sie aus dem Wasserhahn fließen“, sagt Hanspeter Kubin, der Leiter des Gesundheitsamts. Doch die Versorger in diesem Teil des Landkreises nehmen die Situation ernst. Gemeinsam wollen sie ein neues Grundwassermodell erarbeiten. Das alte Modell stammt von 2003, es gilt als überholt. „Es geht darum, wo Vorfeldmessstellen sinnvoll sind“, sagt Waldemar Munkert, Geschäftsführer der Röthenbacher Stadtwerke. Sein Unternehmen lotet auch aus, wie sich das Wasser im Ernstfall filtern ließe.
Eine geologische Besonderheit
Das hat viel mit einer geologischen Besonderheit zu tun: der „Röthenbacher Rinne“. In ihr fließt Grundwasser in Richtung Stadt. Es nimmt auch Schadstoffe mit auf seinem Weg. Die Trinkwasserbrunnen liegen zwar deutlich darunter im Burgsandstein – doch gibt es Verbindungen. Ein solcher Kurzschluss ist der belastete Graphite-Cova-Brunnen. Das Wasserwirtschaftsamt geht inzwischen davon aus, dass die dort gefundenen PFAS nicht von dem Unternehmen selbst, sondern aus einer anderen Quelle stammen. Sie strömen an dieser Stelle aber hinab in tiefere Gesteinsschichten. Deshalb muss der Brunnen saniert werden. Im dritten Quartal 2020 soll eine Reinigungsanlage in Betrieb gehen.
An einen ähnlichen Zeitplan für eine Sanierung des Birkensees ist noch nicht zu denken. Dort soll erst eine Detailuntersuchung durchgeführt werden – Jahre, nachdem die Belastung öffentlich wurde. Nach wie vor gilt eine Badewarnung für das Gewässer. Gesundheitsamtsleiter Kubin sagt aber, dass das Risiko überschaubar sei: „Ich würde drin baden, und man kann auch Kinder drin baden lassen.“