DIEPERSDORF — Die Chemikalie, die für ein Badeverbot im Birkensee sorgte, läuft auch aus der nur einen Kilometer entfernten Diepersdorfer Kläranlage. Das schadstoffhaltige Wasser landet im Finstergraben, den das Umweltbundesamt für „immens“ belastet hält. Das Landratsamt schaut zu, obwohl es den Verursacher zu kennen glaubt.
Das inzwischen zu einer unverbindlichen Warnung herabgestufte Badeverbot im bei vielen Nürnbergern beliebten Birkensee sorgte vergangenes Jahr für Schlagzeilen. Eine Nachricht ging dabei fast unter: Das im Tierversuch krebserregende Perfluoroctansulfoant (PFOS) war nicht nur dort sondern bereits 2012 im nahegelegenen Finstergraben entdeckt worden.
Dies musste das Landratsamt Nürnberger Land einräumen, ebenso wie die Tatsache, dass der Schadstoff aus der Diepersdorfer Kläranlage läuft. Stammt das PFOS im See also aus der Kläranlage? Vorstellbar, sagt der Geologe und Nürnberger Bund-Naturschutz-Vorsitzende Otto Heimbucher. Unwahrscheinlich, meint die Behörde, die alte (Müll-)Ablagerungen im Verdacht hat. Bis heute ist der Zusammenhang nicht geklärt.
Vom Reichswald in die Pegnitz
Mehr und mehr zeichnet sich allerdings ab, dass die viel größere „Problemzone“ im Lorenzer Reichswald ohnehin der Finstergraben ist, der von Diepersdorf nördlich des Birkensees in Richtung Autobahnkreuz Nürnberg fließt, wo er in den Röthenbach mündet. Am Ende landet sein Wasser dann in der Pegnitz.
Heimbucher, der im August 2016 eine Sedimentprobe aus dem Finstergraben hat analysieren lassen, spricht von einer „erschreckend hohen Konzentration“ des Schadstoffs. Ein Experte des Umweltbundesamts hält die Verschmutzung ebenfalls für „immens“. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, so Christoph Schulte vom Fachbereich Chemikalien.
Das Landratsamt hat „starke Hinweise darauf, woher die Konzentration im Finstergraben kommt“, sagt Sprecher Rolf List. Es glaubt, den Verursacher zu kennen, weil es unter anderem einzelne Abwasserkanäle untersucht hat. Am Ende blieb nach Lists Angaben nur ein Betrieb übrig.
Kein Gesetzesverstoß
Das Diepersdorfer Galvanikunternehmen Bolta, das nach eigenen Angaben weltweit 1800 Mitarbeiter beschäftigt, räumt in einer schriftlichen Stellungnahme selbst ein, dass sich PFOS in seinem Abwasser findet. In diesem Punkt deckten sich eigene Messungen „im Wesentlichen mit den Ergebnissen der Behörden“. Dabei verstößt Bolta gegen kein Gesetz.
PFOS darf weder hergestellt noch verwendet werden. Es zählt laut Schulte vom Umweltbundesamt zu den den „persistant organic pollutants“, zu jenen Schadstoffen also, die in der Umwelt kaum oder nur sehr langsam abgebaut werden. Für PFOS allerdings gab und gibt es Ausnahmeregelungen. Die Chemikalie ist beliebt, denn sie sorgt dafür, dass Flüssigkeiten leicht abperlen und verhindert Sprühnebel.
Bis vergangenes Jahr war der galvanischen Industrie die Verwendung gestattet, dann lief die entsprechende Ausnahmeregelung weitgehend aus. Schon 2012 hat Bolta seine Produktion – freiwillig – auf PFOS-Alternativen umgestellt. Doch der Stoff ist eben langlebig, „eine vollständige Reduzierung ist wegen der Anhaftungen in den Rohrleitungen nur langsam möglich. Dieser Prozess kann bis zu fünf Jahren, eventuell auch länger, dauern“, so das Unternehmen.
Weitere Artikel zum Thema
Auflagen kann das Landratsamt nicht machen. „Es fehlt an Grenzwerten“, sagt Sprecher List. Das Umweltbundesamt bestätigt: Es gibt nur eine Umweltqualitätsnorm – durchsetzbar ab Dezember 2027.
Geologe befürchtet Langzeitfolgen
Der Geologe Heimbucher befürchtet, dass sich die Auswirkungen der Verunreinigung erst in Zukunft zeigen. „Im Wald wachsen Pilze und Beeren, es gibt Wild“, sagt er. Landet der Schadstoff auf diese Weise auf dem Teller? Behördensprecher List: „Pilze und Beeren wachsen nicht an Wasserläufen und stehen auch nur saisonal begrenzt zur Verfügung.“ Wild lasse man bereits untersuchen, gegen den Verzehr bestünden keine Bedenken. 2013 waren Forellen aus dem Röthenbach zwar stark mit PFOS belastet, dort ist das Fischereirecht aber nicht verpachtet.
Heimbucher sagt, könne man obendrein nicht ausschließen, dass sich PFOS eines Tages im Trinkwasser finde. Flussabwärts liegen die Röthenbacher Brunnen, aber auch jene, die die Großstadt Nürnberg versorgen.
Lists Behörde hat sich vorerst aufs Beobachten und Abwarten verlegt. Ausbaggern wolle man den Finstergraben aktuell nicht, teilt sie mit. Hohe PFOS-Werte im Sediment hält sie nicht für aussagekräftig. Entscheidend sei, was sich aus dem Flussbett herauslösen lasse, nämlich bedeutend weniger. „Insbesondere unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit sind daher zunächst weitere Untersuchungen und Abstimmungen erforderlich“, so List.