LAUF — Der Mann ist ein Gott, ein ganz Großer der deutschsprachigen Literatur, ein Rockstar der Poesie, der seit seinen Anfängen als Schriftsteller 1967 mit den Stones „aufgewachsen“ ist und wie heute Mick Jagger – mit 68 – noch auf der Bühne steht: Wolf Wondratschek. Natürlich hat er deutlich weniger Publikum, was aber keinesfalls seiner – sagen wir – unkonventionellen Art zuzuschreiben ist, sondern hauptsächlich der geringeren Popularität seiner Kunstsparte allgemein. Bei den Laufer Literaturtagen wollten ihn immerhin 300 Zuschauer hören.
Er ist nicht mitreißend bei seinem Auftritt in der Bertleinaula, sondern einfach nur sehr gut. Wer Wondratschek noch nicht live erlebt oder gelesen hat und sich für Literatur interessiert, hat zumindest schon viel gehört über den wilden, eigensinnigen, unangepassten Pop-Dichter der 70er Jahre („Chuck‘s Zimmer“), der seit 44 Jahren die Buchkritiker in zwei Lager teilt. Wohl weil er sich nicht einfangen lässt vom Mainstream, Erwartungen fast prinzipiell ignoriert.
So war es schon, als er in seinen Anfängen 700 Exemplare seines ersten Gedichtbändchens bei der Frankfurter Buchmesse persönlich an den Leser brachte. Lyrik in der Art der Beatniks Burroughs, Bukowski und Ginsberg war das. Darin besang er das freizügige, rücksichtslose „In-den-Tag-leben“ mitsamt Anspielungen auf die damals allgegenwärtigen Drogen. Manchmal waren es drastische Statements von „unterwegs“, manchmal kluge Schlussfolgerungen, verpackt in brillante Sätze und Szenen. Antibürgerlich, immer an Liebe – oder zumindest zwischenmenschlicher Beziehung – interessiert. Von Letzterem bekam sein Laufer Publikum einen gereiften, vollmundigen Geschmack, während seine zeitweiligen Lieblingsthemen Boxen und Rotlichtmilieu gar nicht vorkamen.
Wondratschek betritt die Aula nach einer Zigarette. Er ist keiner dieser vom schlechten Gewissen geplagten Raucher, sondern einer, der zu seiner Sucht steht. Und zwar offensiv: Später erzählt er die Geschichte des Komponisten Anton Weber, der 1945 in Mittersill bei Zell am See von einem amerikanischen Soldaten versehentlich erschossen wurde – kurz gesagt –, weil ihn seine Frau mit seiner Zigarre nach draußen geschickt hatte. In Wondratscheks Hommage „Rauchen“ ist die heutige Welt ohne Zigaretten eine deutlich schlechtere, erst recht in den Caféhäusern seiner Wahlheimat Wien. Auch hier gilt: Auf Anpassung hat er einfach keine Lust.
Diese Art von Gesundheit ist nicht sein Thema, das Älterwerden, die beklagenswerte Hinfälligkeit aber sehr wohl. Sie motiviert den 61-jährigen Helden seines aktuellen Romans „Das Geschenk“ zu einer Abrechnung mit sich selbst nach einem „ein wenig liederlichen Existieren“, dem Leben eines Beatniks. Interessanterweise handelt es sich um Chuck, den Protagonisten des Wondratscheks der 70er Jahre: Der ungezügelte Desperado hat– kurz vor dem endgültigen Absturz – schmerzlich dazugelernt und muss sich jetzt mit seinem 14-jährigen Sohn auseinandersetzen. Wie Wondratschek sagt, hat das Buch „viele Räume und Erkerchen“, nachdenkliche, aber auch amüsante, zum Beispiel das durchaus ernst gemeinte Bekenntnis Chucks zum ewigen Versager und Stehaufmännchen Donald Duck, einer Provokation vor Schriftstellerkollegen, denn die Comic-Ente soll Thomas Mann als Idol ersetzen. Das Laufer Publikum ist begeistert von der geradezu zwingenden Argumentation.
Wondratschek liest mit kerniger, manchmal schneidiger Stimme. Er setzt Nuancen, indem er den Leserhythmus unterbricht und indem er mit aneinandergelegten Daumen und Zeigefinger Akzente in die Luft setzt. So kommt er auf den Punkt: Chuck muss einsehen, dass alle Verheißungen eines freien, ungebundenen Lebens nicht die ganze Wahrheit sind. Der ungeplante Sohn entpuppt sich als die so nicht erwartete Rettung von dem krankmachenden Trip. Wondratschek kennt unüberhörbar die unabweisbare Liebe eines Vaters für sein Kind, die schmerzt und zugleich Geschenk ist.
Mit 68 ist der Schriftsteller im aufgewühlten Meer offenbar auf seiner Insel gestrandet. Er schwärmt von Wien, dessen Melancholie ihm schon immer im Blut gelegen habe, aber erst 1996 – nach München, Frankfurt, London, New York und Paris – siedelte er über.
Erdige Zweisamkeit
Deshalb musste er im 250. Geburtsjahr über Mozart schreiben. Und wieder – wie schon in seiner frühen Lyrik – seziert er die Liebesbeziehung von Mann und Frau. In diesem Fall stellt er sich vor, wie das musikalische Genie mit einem „kühnen Überfall“ die unverbrauchte, unbedarfte Liebe seiner Frau Constanze zumindest für Augenblicke zurückerobert. Zweisamkeit muss bei Wondratschek bodenständig, erdig, sein, nach wie vor ohne bürgerliche Ideale. Die große Liebe aber hat der Schriftsteller, der selbst einen Sohn hat, wenigstens für Chuck woanders gefunden.
Das Publikum lacht über die Situationskomik und vergisst manchmal – der Botschaft nachhängend – den Beifall, von dem Wondratschek insgesamtreichlich bekommt.
