FEUCHT – Bei einer Bürgerversammlung zum Thema ICE-Werk haben Teilnehmer zahlreiche Fragen an Projektleiter Carsten Burmeister. Ein Bürger macht einen neuen Vorschlag für einen möglichen Standort. Die Bahn will ihn prüfen.
Es ist bereits kurz vor 22 Uhr, als der von Bürgermeister Jörg Kotzur moderierte Austausch Feuchter Bürger mit ICE-Projektleiter Carsten Burmeister zu entgleisen droht. Jan van der Oest steht am Mikro im Zentrum der Reichswaldhalle inmitten von 260 Veranstaltungsteilnehmern. Draußen auf dem Parkplatz stehen nach Schätzungen von Hauptkommissar Gerhard Zenker von der Altdorfer Polizei noch einmal rund 250 Männer und Frauen, die gerne einen Platz in der vollen Halle ergattert hätten, sich aber mit einem Videostream im Freien begnügen müssen.
Unruhe im Saal
Da steht also Jan van der Oest vor dem Mikrophon und bricht die bisher streckenweise sehr technischen Darstellungen der Bahn auf eine emotionale Ebene herunter: „Wissen Sie eigentlich, was Sie uns da antun?“, fragt er Burmeister. Mit der Rodung des Waldes, mit der Zerstörung der Landschaft am Jägersee, mit der Vernichtung all dessen, was sich in den letzten Jahrzehnten in der unberührten Muna entwickelt hat. Burmeister zeigt in seiner Antwort zunächst keine Spur von Irritation. Professionell weist er auf zwei Aspekte hin: Auf die Naherholung und eine mögliche Lärmbelastung und darauf, dass die Sorgen der Bürger nachvollziehbar seien.
Er kommt aber mit seinen Ausführungen nicht weit, weil van der Oest unmittelbar nachhakt und es unruhig wird im Saal. Es geht um den Wald, um die Wanderwege, den Jägersee. Und Muna Nord, das kontaminierte Gebiet? Dazu stellt Burmeister dann eine provokante Frage, die für Unmut im Publikum sorgt: „Wo gehen Sie denn hier spazieren? Klettern Sie etwa über den Zaun?“, will er von van der Oest wissen. Tatsächlich ist das Betreten des Muna-Geländes verboten, das Gelände eingezäunt.
Muna Nord, ein südlich davon gelegener Bereich, der an den Jägersee angrenzt und ein Gebiet bei Harrlach sind die drei möglichen Standorte für ein ICE-Werk, die ab Dezember in einem Raumordnungsverfahren auf ihre Eignung überprüft werden. Sechs Monate dauert das Verfahren laut Burmeister, ein halbes Jahr prüfen die Fachleute bei der Regierung von Mittelfranken und wählen den raumverträglichsten Standort aus – oder senken über alle drei den Daumen. 400 Millionen will die Bahn in ihr neues Werk investieren und 450 Arbeitsplätze schaffen, im Großraum Nürnberg deshalb, weil es hier keine Instandhaltungskapazitäten für ICEs gibt. Baurecht, sagt Burmeister in der Reichswaldhalle, könnte 2025 für das neue Werk vorliegen, an welchem Standort auch immer.
Tom Konopka, Regionalbeauftragter des Bund Naturschutz, sieht das mit dem Baurecht ganz anders. „Sie werden mit den drei Standorten Schiffbruch erleiden“, prophezeit er dem Projektleiter der Bahn. Weil alle drei Areale Vogelschutzgebiete und Natura 2000 Gebiete sind. Und weil Burmeister die Bedeutung des Reichswaldes unterschätze. Konopka rät deshalb dazu, mit einer kleineren Planung an einem geeigneteren Standort, etwa einer Industriebrache, ganz neu anzufangen. Kleiner geht aber nicht, sagt Burmeister dazu.
Anders als beim Tesla-Werk
Das sollte jedoch aus Sicht von Inge Jabs unbedingt möglich sein. Die Sprecherin und Vorsitzende der Genossenschaft Waldsiedlung wirft der Bahn vor, nicht ausreichend zu informieren. Wenn es um die Lärmbelastung gehe, gebe die Bahn nur Mittelwerte heraus. „Wir müssen den Lärm aber aushalten, es geht um unsere Lebensqualität und unsere Existenz in der Waldsiedlung“, mahnt Jabs. Den Vorwurf der mangelnden Transparenz weist Burmeister mit dem Verweis auf einen ganz früh im Verfahren begonnenen Bürgerdialog zurück. Wie es anders geht, zeige sich am Beispiel Tesla-Werk in Brandenburg, wo über die Köpfe der Bürger hinweg geplant worden sei. „Das wollten wir eben nicht.“ Ganz falsch liegen Burmeister und sein Team mit ihren Dialogveranstaltungen übrigens nicht. Vom BN-Regionalbeauftragten Konopka gibt es dazu in der Reichswaldhalle den bemerkenswerten Satz, Burmeister mache das gut.
Dialog und Austausch also mit Bürgern: Dazu gehört auch, dass die Bahn Vorschläge von Bürgern ernst nimmt. Etwa den von Jürgen Berthold, der eine so bemerkenswerte Idee vorbringt, dass Hannes Schönfelder ihm in der Reihe der Rednerliste den Vortritt lässt. Berthold wohnt seit 58 Jahren in Feucht. Er fährt oft mit der S-Bahn nach Nürnberg und kennt im Bereich Gleißhammer-Dürrenhof links und rechts der Geleise große Grundstücke der Bahn, die nach seiner Überzeugung ein hervorragender Standort für ein ICE-Werk sind. „Das Gelände liegt doch brach und ist nicht bewaldet“, betont der Feuchter. Und damit bietet es ganz andere Voraussetzungen als ein Grundstück mitten im Bannwald.
Ganz unvernünftig ist Bertholds Vorschlag nicht. Er ist jedenfalls so interessant für Burmeister, dass er Berthold versichert, das Ganze zu prüfen. Hannes Schönfelder hat zwar den Verdacht, dass die Bahn die Grundstücke in Dürrenhof und Gleißhammer möglicherweise gewinnbringend für eine Wohnbebauung verkaufen will. Die DB-Vertreter versichern aber, das sei nicht der Fall.
„Keine der drei Standorte ist akzeptabel“
Lang ist die Rednerliste und die Umstände sind schwierig. In regelmäßigen Abständen müssen Pausen zum Lüften eingelegt werden, bevor erneut Fragen gestellt und Forderungen artikuliert werden können. Der Diplom-Biologe Sebastian Haas etwa, der das Muna-Gebiet über Tage untersucht hat, plädiert dafür, die Bahn möge auf den Bau des Werks verzichten und damit zum Erhalt geschützter Arten beitragen. „Keiner der drei Standorte ist akzeptabel“, unterstreicht Haas. Die Position der Bahn dazu: Im Raumordnungsverfahren werden verschiedene Schutzgüter gegeneinander abgewogen.
Gabriele Kaiser sieht technische Probleme bei der Überwindung des Höhenunterschieds auf dem Muna-Gelände. Burmeister erklärt, dass die Probleme mit Erdbewegungen zu lösen sind. Und dann kommt noch der Vorschlag aus dem Publikum, doch einen Standort bei Hilpoltstein genauer zu untersuchen. Jörg Kotzur schaltet sich hier ein und unterbindet die weiteren Erläuterungen: „Weil wir in Feucht bewusst nicht nach dem Sankt Florians-Prinzip handeln wollen“, betont er. Gleißhammer? Dürrenhof? Kotzurs Intervention bleibt hier aus, vielleicht auch deshalb, weil Burmeister eine Prüfung des Vorschlags versprochen hat.