Durch das kleinste Hochgebirge der Welt

Reisebericht: Gunter Reichenbach zieht in acht Tagen durch die Hohe Tatra und Westtatra

Bei herrlichem Wetter schweift der Blick hinab ins Tal - und Kilometer weit in die Ferne.
Bei herrlichem Wetter schweift der Blick hinab ins Tal - und Kilometer weit in die Ferne. | Foto: Gunther Reichenbach2025/10/DAV_Altdorf_Reichenbach_Ausblick__1.jpg

ALTDORF – Das Ziel ist ambitioniert: Bis 2030 will der Deutsche Alpenverein klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Gunther Reichenbach vom DAV Altdorf bereits vor rund drei Jahren eine Karte mit über 600 Hütten in den Alpen entworfen, die aus dem Großraum Nürnberg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und mit Zustieg an nur einem Tag erreicht werden können.

Darüber hinaus hat er eine Altdorfer Tourensammlung aufgelegt, „mit 66 Bergtouren, die mit Öffi-Anreise beschrieben sind und auch funktionieren“; wie er betont. Eine dieser dort beschriebenen Touren betrifft die Übersteigung der Hohen Tatra und Westtatra in acht Tagen, die er kürzlich alleine bewältig hat. Das Gebirge zählt zum Fatra-Tatra-Gebiet in den Karpaten und wird als kleinstes Hochgebirge der Welt bezeichnet. Zwei Drittel der Tatra liegen in der Slowakei, ein Drittel befindet sich in Polen.

Was Gunter Reichenbach auf seiner Tour, mit deren Ausarbeitung er bereits im Februar begonnen hat, erlebt hat, erzählt er in seinem Tourenbericht. Die An- und Abreise erfolgte freilich mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Tag 1

Am Abend reiste ich nach Passau, übernachtete im Radler- und Wanderhotel am Bahnhof und setzte meine Fahrt am nächsten Morgen um halb sechs fort, stieg in Wien um nach Bratislava. Vom Hauptbahnhof fährt der Express in Richtung Tatra stündlich ab. Etwa vier Stunden Fahrt für nicht mal 20 Euro.

In der letzten Stunde vor dem Ziel konnte ich das Gebirge bereits ausgiebig vom Zug aus bewundern: Steil steigen die Berge auf, bis über 2600 Meter (Gerlachspitze), häufig umwölkt. Um 16 Uhr kam ich im Ausgangsort Stary Smokovec an, meine erste Hütte, die Zamkovskéo Chata auf 700 Metern, erreichte ich nach etwas mehr als zwei Stunden.

Tag 2

In knapp 3,5 Stunden ging es zur Zbojnica Chata. Hier deponierte ich meinen Rucksack und nutzte das sonnige Wetter für einen Gipfelaufstieg ohne Gepäck am Nachmittag. Am Abend lernte ich zwei 21-jährige Männer kennen, Max aus Fichtelberg und Lennart aus Hannover. Zusammen überlegten wir, ob der T5-klassifizierte Übergang (seilversichert, Leitern) ins nächste Tal möglich sei, da die Wettervorhersage nichts Gutes verhieß.

Tag 3

Früh am Morgen um 6 Uhr schüttete es wie aus Kübeln. Zum Glück waren auch ein paar Mitglieder der örtlichen Bergwacht beim Frühstück, die wir konsultierten. Sie hatten eine genaue Vorhersage und beschrieben uns den Weg als machbar – vorausgesetzt, es würde nicht regnen und das zu durchkletternde Joch wäre einigermaßen nebelfrei.

Wir starteten. Nach einer halben Stunde hörte der Regen auf, just, als wir an die Steigflanke gelangten. In der Scharte an Drahtseilen hinab, auf Leitern und Krampen, die etwas weit auseinander montiert und Feucht waren. Aber alle drei meisterten diese Herausforderung. In der Folge hatten wir moderate Bedingungen, aber viel zu wandern, bis wir an den Poprad-See gelangten und hier in einem Sechsbettzimmer landeten.

Tag 4

Für den nächsten Tag musste ich mir wegen des Wetters keine Gedanken machen: Blau war der Himmel, als ich um 6.45 Uhr in Richtung Rysy, Polens höchstem Berg, aufbrach, den ich nach rund 3,5 anstrengenden Stunden erreichte. Voll war es hier, viele Menschen auf dem engen Gipfel.

So machte ich mich nach einem kurzen Snack wieder auf den Weg, hinüber auf die polnische Seite: 600 Meter steil hinab, immer mit Ketten gesichert, gut machbar – trittsicher und schwindelfrei sollte man jedoch sein. Problematisch war nur der Gegenverkehr vom polnischen Tal hinauf, doch man arrangierte sich mit Handzeichen. In den Wartepausen war Zeit, das unvergleichliche Panorama zu genießen, insbesondere den Blick hinunter auf den Schwarzen See und den dahinterliegenden, vielbesuchten Meeraugsee.

Tag 5

Am fünften Tag freute ich mich auf ein weiteres Highlight, das Fünf-Seen-Land, ein Tal mit fünf Seen hintereinander. Auf Empfehlung eines polnischen Bergsteigers wählte ich einen längeren und alpin anspruchsvolleren Weg über die südlich gelegene Bergkette, nicht durch das Tal selbst.

Dadurch hatte ich eine faszinierende Aussicht von oben. Der Abstieg über einen Klettersteig (wieder perfekt gesichert) machte Spaß. Im weiteren Verlauf gab es kräftezehrende, steile Aufstiege. Aber um halb fünf kam ich glücklich an der Schronisko Murowaniec an.

Tag 6

Auf meist entspanntem Weg immer dem slowakisch-polnischen Grenzkamm folgend, gelangte ich nach acht Stunden zur Hali-Ornak-Hütte. Es sollte eine Panoramawanderung werden, doch meistens versperrten Wolken oder Nebelschwaden die Komplettsicht. Andererseits entfaltete sich dadurch auch eine besondere, mystische Stimmung. Völlig unverhofft erlebte ich diesen Abend in der Hütte mit Livemusik eines Trios, das Covermusik zum Besten gab – und mich an die irische Musiktradition erinnerte.

Tag 7

Nach einem herzhaften Frühstück – Müsli und Rührei mit Speck – trat ich um 8 Uhr den Weg an, hinauf in die Bergwelt der Westtatra. Geplant war, den Normalweg weiterzugehen, hinunter ins nächste Tal, an der Hütte Polanie Chocholowskiej und dann den längeren Aufstieg zum Rakon (1873 m), von dort hinunter zur Tatliakova-Hütte. Doch der Sattel lag – wie der Weiterweg – im Nebel.

So bog ich in südliche Richtung ab, stieg eine weitere Stunde steil auf – und sah plötzlich sonnenbestrahlte Berggipfel und blauen Himmel. Für diesen Gewinn an Bergwanderfreude ließ ich mich auf eine längere alpine Tour ein: Zwölf Gipfel sammelte ich ein, insgesamt 1700 Meter im Aufstieg bei einer Länge von 16 Kilometern.

Um halb sechs kam ich an der letzten Hütte meiner Tour an, der Tatliakova Chata. Im Spitzboden lagen Matratzen ohne jegliches Bettzeug – aber ich hatte ja meinen Hüttenschlafsack dabei.

Tag 8

Da die Etappe über den 500 Meter höher gelegenen Smutné Sedlo bis zur Bushaltestelle am Talausgang mit fünf Stunden zu veranschlagen ist, verzichtete ich auf das Hüttenfrühstück und brach bereits um 6.30 Uhr auf, wollte den Sattel bis spätestens halb neun erreichen. Um 7 Uhr im Westen blauer Himmel, im Süden immer mehr Wolken. In den kommenden Minuten fing es an zu regnen, später stärker: Ein großer Plastiksack – unten aufgeschnitten – hielt als Rock angezogen trocken. Um halb acht sah ich den ersehnten Sattel.

Doch dann Donner, der Regen wurde stärker. Vom Blitz an zählte ich die Sekunden bis zum nächsten Donnerschlag: nur fünf – also nicht einmal zwei Kilometer entfernt. Eine Viertelstunde später erfolgten Einschlag und Donner fast gleichzeitig, eine halbe Stunde starkes Gewitter mit halbminütlichen Einschlägen auf beiden Bergflanken. Dabei nur noch 30 Minuten zum Sattel.

In Kauerhaltung am Boden wartete ich ab, machte mich klein, die Füße geschlossen und die Stöcke weggeworfen, der Regen wurde zu kleinem Hagel. Wasser lief in Sturzbächen an mir vorbei, um den niedrigen Stein herum, auf den ich mich setzte. Wertvolle Zeit verstrich.

Um 8.15 Uhr entschied ich mich für den Abbruch: Zu riskant wäre es gewesen, auf dem Querweg zum Sattel vom Blitz getroffen zu werden. Länger abwarten? Dann wäre es mit dem Bus knapp geworden. Also kehrte ich um, hinunter zur Hütte, verfolgte nun Plan B und stieg von dort aus auf direktem Weg hinab ins Tal.

Nach rund einer Stunde würde ich eine Bushaltestelle erreichen und der Bus – das hatte ich vorher recherchiert – würde dort um kurz nach 10 Uhr fahren. Die einzige Verbindung ans Bahnnetz, um an diesem Tag noch nach Hause zu kommen. Eine Viertelstunde vor Abfahrt erreichte ich schließlich die Haltestelle – und pünktlich kam der Bus um die Ecke.

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