Nach dem Besuchsverbot

Corona stellt Altenheime auf harte Probe

Vor einer Woche feierte Anna Stieglbauer (rechts) im Röthenbacher Karl-Heller-Stift ihren 84. Geburtstag. Viel wichtiger als die Geschenke waren ihr dabei die Besuche ihre Schwiegertochter Doris Stieglbauer (links) und ihrer Enkel. | Foto: Andrea Beck2020/08/Anna-und-Doris-Stieglbauer-links-Karl-Heller-Stift-Corona-260.jpg

NÜRNBERGER LAND — Mehrere Hundert Bewohner von Alten- und Pflegeheimen im Nürnberger Land litten ab dem 13. März zwei Monate unter dem strikten Besuchsverbot. Seitdem hat die Staatsregierung schrittweise Lockerungen beschlossen. Die Seniorenheime mussten Hygienekonzepte erarbeiten, um Besucher zu empfangen. Die Lage entspannt sich nur langsam.

Jedesmal, wenn Anna Stieglbauer in ihrem Zimmer im Röthenbacher Alten- und Pflegeheim Karl-Heller-Stift Besuch bekommt, strahlt sie vor Freude. Die Zeit des strikten Corona-Lockdowns von Mitte März bis Mitte Mai sei „ganz furchtbar“ gewesen, sagt Stieglbauer. Trotz ihrer leichten Demenz kann sich die 84-jährige Röthenbacherin noch genau an die Situation erinnern. „Man kommt sich verlassen vor“, sagt sie.

Warum sie zwei Monate so wenig Kontakt zur Außenwelt hatte, weiß sie nicht. Wenn die Pfleger versuchen, ihr das hohe Ansteckungspotenzial eines Virus namens Corona und die Gefahr für die sogenannte Risikogruppe zu erklären, nickt sie, aber der fragende Blick in ihren Augen bleibt. 

Mitte März begann die Schreckenszeit

Für Anna Stieglbauers Schwiegertochter, Doris Stieglbauer, und deren Kinder war die Zeit des Lockdowns ebenfalls hart. „Ich hatte immer das Bild im Kopf, wie Anna allein im Zimmer sitzt und ihr Mittagessen isst. Telefonate können einen Besuch nicht ersetzen“, sagt Doris Stieglbauer.

Das Bild von Menschen im hohen Alter, die allein in ihrem Zimmer sitzen und aus Einsamkeit irgendwann das Essen verweigern, sorgte in der Zeit des Lockdowns für eine Debatte über die Verhältnismäßigkeit bestimmter Corona-Maßnahmen. Ist es zu rechtfertigen, alte Menschen zu isolieren, ihnen vielleicht den Lebenswillen zu nehmen, um sie – und ihre Pfleger – vor Corona zu schützen? Die bayerische Regierung hatte in diesem Fall eine klare Antwort: Ja. 

Doch außer dem Standpunkt „Gesundheit geht vor“ war kaum etwas klar. „Ich habe zwei dicke Ordner voller Verfügungen von der Regierung. Manchmal kam an einem Freitag die neue Nachricht, was sich ab Samstag ändert. Es war ein Chaos und wirklich schwer umzusetzen“, sagt Ursula Esslinger, Leiterin des Karl-Heller-Stifts, das aktuell 123 Menschen beherbergt. 

Ab 9. Mai wurden die strikten Besuchsverbote gelockert. Nun durfte jeweils eine Person einen Angehörigen im Altenheim besuchen, allerdings mit einer Registrierung, nur im Freien und nur, wenn das Heim coronafrei war. „Am Mittwoch kam damals die Nachricht, dass am Samstag wieder Besuche möglich sind. Obwohl wir noch am selben Tag Briefe an die Angehörigen geschickt haben, kamen sie nicht alle an, weil die Post überlastet war. Danach haben sich Leute beschwert, warum sie nichts von der Besuchserlaubnis wussten“, erzählt Esslinger. Sie hätte sich mehr Vorlauf gewünscht.

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Die Abstandspflicht gilt weiterhin

Ende Juni wurden die Maßnahmen erneut gelockert. Seitdem sind – je nach Regelung des Heims – auch Besuche auf den Zimmern und Ausflüge mit den Angehörigen wieder möglich. Dabei müssen aber Masken- und Abstandspflicht eingehalten werden. Nach einem Spaziergang wird der Rollstuhl desinfiziert. 

Wenn der Tod eines Bewohners offensichtlich kurz bevorstand, waren auch in der Zeit des Lockdowns Besuche möglich, dann aber mit kompletter Schutzmontur für die Angehörigen. 

Die Vorstellung, dass die Regeln aus Angst vor einer zweiten Corona-Welle wieder strenger werden, macht sowohl den Bewohnern und ihren Angehörigen, als auch den Pflegern Sorgen. „Die Lebensqualität hat in der Zeit des Lockdowns gelitten, das ist keine Frage und wir hoffen, dass es bei den aktuellen Regeln bleibt“, sagt Michael Strauß,
Leiter des Hermann-Keßler-Stifts in Lauf. 

Für die Heime bedeute Corona einiges an Mehrarbeit. Die Registrierung der Besucher, die Begleitung zu ihren Angehörigen, die zusätzlichen Desinfektionen, das alles schlucke sehr viel Zeit. „Als die Anmeldung noch per Telefon lief, hat die Heimverwaltung fast den ganzen Tag nur Termine ausgemacht“, sagt Strauß. 


Selbst in der Zeit der rasch steigenden Corona-Infektionen im März sind die Heime im Verbreitungsgebiet der Pegnitz-Zeitung weitestgehend glimpflich davon gekommen. Laut Hanspeter Kubin, Leiter des Gesundheitsamts des Nürnberger Lands, gab es während der Corona-Hochphase Mitte April in fast jeder Einrichtung bestätigte Infektionen unter den Bewohnern, aber nur im niedrigen ein- bis zweistelligen Bereich.

Angehörige zeigen meist Verständnis

Das Altenheim der Arbeiterwohlfahrt am Hämmernplatz in Lauf erlaubt derzeit noch keine Besuche auf den Zimmern der Bewohner. „Manche Angehörige haben gefragt, ob sie nicht doch mit aufs Zimmer dürfen. Dann erklären wir ihnen unser Hygienekonzept und fast alle haben Verständnis dafür“, sagt Sabine Fürst, die Leiterin der Einrichtung. 

Sie wolle unbedingt, dass das Heim weiterhin coronafrei bleibe. Die Angehörigen bei allen Besuchen an die Abstandsregeln zu erinnern, zerreiße den Pflegern allerdings das Herz.

Auch Doris Stieglbauer würde ihre Schwiegermutter gerne mal wieder zur Begrüßung umarmen, aber sie hält sich an die Regeln. Ein erneuter Lockdown muss unbedingt verhindert werden, sagt sie. Dieser könnte laut Heimleiterin Ursula Esslinger für einige ihrer Patienten sogar
noch schlimmer sein als der erste, weil sich die Bewohner sofort an die erlebte Einsamkeit erinnern würden.

Anna Stieglbauer will solch ein Besuchsverbot nie mehr erleben müssen. Sie redet viel von ihrer Familie, auf die sie sich verlassen könne: „Die Freude, als ich meine Enkel wieder gesehen habe, die kann ich nicht beschreiben.“ 

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