Unterwegs mit dem Palliative Care Team

Wenn die Welt auf ein Pflegebett zusammenschrumpft

Medizinische Begleitung in den letzten Tagen des Lebens - nicht im Krankenhaus, sondern in der vertrauten Umgebung daheim. Das leistet das Palliative Care Team Nürnberger Land.
Medizinische Begleitung in den letzten Tagen des Lebens - nicht im Krankenhaus, sondern in der vertrauten Umgebung daheim. Das leistet das Palliative Care Team Nürnberger Land. | Foto: Fotolia2018/05/Palliative.jpg

ALTDORF – Ärzte und Krankenschwestern betreuen schwerstkranke Menschen daheim in ihrer vertrauten Umgebung. Als Palliative Care Team ersparen sie vielen Patienten einen am Ende des Lebens nicht gewollten Krankenhausaufenthalt und helfen sowohl den Kranken wie auch deren Angehörigen. Wir begleiteten den Onkologen Dr. Volker Anselstetter beim Hausbesuch.

 Austherapiert. Dr. Anselstetter schüttelt den Kopf, wenn er dieses Wort hört und räumt mit einem Missverständnis auf. Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung, wie z.B. einem Krebsleiden, können heutzutage häufig mit dem Ziel der Heilung behandelt werden. Wird dieses Ziel durch Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie nicht erreicht, dann enden diese Behandlungen. Das bedeutet aber nicht das Aus der Therapie für die Betroffenen.

Ganz im Gegenteil. Das Ziel der Behandlung und die Art der Therapie haben sich geändert. Die Linderung der Beschwerden durch die weiter fortschreitende Erkrankung und eine bestmögliche Lebensqualität stehen im Mittelpunkt einer fürsorglich begleitenden Behandlung. „Wir behandeln bis zum Ende, bis der Patient seinen letzten Atemzug tut“, sagt Anselstetter am Krankenbett von Anna Schmidt.

Horizont an der Wand

Die Patientin ist 69 Jahre alt und heißt eigentlich anders, wir geben ihr aber einen Allerweltsnamen, weil das für Anna einfacher ist. Volker Anselstetter freut sich, dass Frau Schmidt heute einen guten Tag hat.

Seit fünf Wochen kümmern sich der Onkologe und das Team für spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) um Frau Schmidt, deren Welt zusammengeschrumpft ist auf ein Pflegebett inmitten ihres kleinen Wohnzimmers. „Mein Horizont“, sagt Anna, „der ist da an der Wand, ich sehe ja nur noch das hier.“ Dabei lächelt sie zaghaft, ihre Stimme klingt nicht klagend, sie klingt resigniert.

Und wird dann lebhafter, als sie von sich erzählt. Den Dr. Anselstetter kennt sie von früher, aus den alten Tagen, als sie für eine Pharma-Firma tätig war und den Onkologen aus Grünsberg in seiner Praxis in Nürnberg traf. Deshalb war das für Arzt und Patientin vor fünf Wochen eine echte Überraschung, als Anselstetter in Annas Wohnzimmer stand und sie seit Jahren erstmals wiedersah. „Das Gesicht kenne ich doch“, begrüßte ihn seine Patientin von damals.

Besser nach Hause

Vor einem Jahr wurde bei Anna Speiseröhrenkrebs diagnostiziert. Nach einer einjährigen Odysse mit Operationen, Krankenhausaufenthalten und Reha kam der Krebs zurück. Keine Aussicht mehr auf Heilung. Was tun? Ihr Mann und ihre Schwester schauten sich in verschiedenen Hospiz-Einrichtungen in der Region um und kamen zu dem Schluss: Anna soll besser nach Hause kommen.

Als sie vor fünf Wochen ihr Quartier im Wohnzimmer der Eigentumswohnung bezieht, geht es Anna richtig schlecht. Sie leidet an Atemnot, an zunehmender Schwäche, die sie nicht mehr aus dem Bett kommen lässt, muss künstlich ernährt werden und wird über Monate von heftiger Übelkeit geplagt. „Das war furchtbar“, erzählt sie.

Mit einem Medikament konnte ihr diese Plage genommen werden. Über kaum etwas anderes hat sich Anna in den vergangen Wochen so gefreut, wie über das Verschwinden dieser schrecklichen Übelkeit. Wie ein Wunder war das.

Zweimal in ihrem Leben konnte Anna von einer Krebserkrankung geheilt werden. Vor 35 Jahren von einem Lymphdrüsenkrebs und danach von einem schwarzen Hautkrebs. Auch das war für sie wie ein Wunder. Sie hat gekämpft und die Krankheiten überwunden. Jetzt kämpft sie wieder, aber es ist sehr schwer.

Ihr Mann ist ihr dabei eine große Hilfe. Ebenso wie ihre Schwester, die Anselstetter und die Kolleginnen vom Palliative Care Team ausdrücklich lobt. „Menschlichkeit und Wärme – das ist es, was sie ausstrahlen“, sagt die Schwester an Anselstetter gewandt.

Anna hat da im vergangenen Jahr auch ganz andere Erfahrungen machen müssen. Als es ihr nach einer Behandlung in der Klinik einmal sehr schlecht ging, kam eine junge Ärztin an ihr Bett und kommentierte ihren Zustand lapidar: „Altwerden ist halt nichts für Feiglinge.“ Nein, Anna ist alles andere als ein Feigling. Und wer sie erlebt, kann sich gut vorstellen, dass sie sich im Leben immer zu wehren wusste. „Ich habe die dann einfach rausgeschmissen“, erzählt sie.

Wichtige Sicherheit

Wann er denn wieder bei ihr vorbeischauen werde, fragt Anna, als sich Anselstetter verabschiedet. Sie weiß, dass das SAPV-Team im Notfall so schnell wie möglich da sein wird. Wenn sie starke Schmerzen bekommen sollte, oder wenn sie Hilfe wegen bedrückender Luftnot braucht.

Für Anna und ihren Mann ist es sehr wichtig, diese Gewissheit zu haben, dass ein Team bereit steht, jederzeit zu helfen. Ein Hausarzt könnte das alleine nicht leisten, ebenso wenig wie der Notarzt, der eine Überweisung in eine Klinik anordnen würde.

So war das vor der Etablierung der Palliative Care Teams, berichten Anselstetter und sein Kollege Dr. Wolfram Gröschel in der Geschäftsstelle des Teams in Hersbruck. Patienten in solchen Krankheitssituationen konnten kaum daheim behandelt werden. Das Palliative Care Team ermöglicht jetzt schwerkranken Patienten den Aufenthalt zu Hause und gibt ihnen die Sicherheit, jederzeit Hilfe zu bekommen.

Schwierigste Zeit

Diese Sicherheit brauchen auch die Angehörigen, mit denen sich die Mitglieder des Palliative Teams manchmal länger unterhalten müssen, als mit ihren Patienten. Wie geht man schon um mit todkranken Familienangehörigen, was kann man da nicht alles falsch machen?

Die letzten Lebenstage oder -wochen sind möglicherweise die schwierigste Zeit im Leben eines Menschen. Viele Angehörige sind völlig verunsichert und haben ebensoviel Angst wie die Patienten selbst.

Wenn die Mediziner und Schwestern des Palliative Care Teams dann Fragen beantworten können, wenn sie Schmerzen und Luftnot lindern können und die richtigen Medikamente zum richtigen Zeitpunkt einsetzen, ist das eine ungemeine Erleichterung für Familien, die sich entschlossen haben, ihre sterbenskranken Angehörigen daheim zu pflegen.

80 Prozent der vom Team betreuten Patienten haben Krebs, andere werden wegen multipler Leiden behandelt. Im Durchschnitt, so schildert es Wolfram Gröschel als Ärztlicher Leiter des Palliative Care Teams, kümmern er und seine Kolleginnen und Kollegen sich rund drei Monate um einen Patienten. Dabei behandeln die Mediziner erwachsene Menschen jeden Alters, derzeit 54 im gesamten Nürnberger Land.

Als das Team im Jahr 2012 seine Arbeit aufnahm, waren es 20 Patienten, seitdem wurden es Jahr für Jahr mehr. Hausärzte und Krankenhäuser informieren Betroffene über die Möglichkeit, sich daheim pflegen und behandeln zu lassen.

Todkranke Patienten, denen alle medizinischen Maßnahmen zuteil wurden und deren Leiden offenbar nicht mehr geheilt werden kann, haben einen Anspruch auf Therapie bis zum letzten Tag ihres irdischen Daseins. Therapie nicht im Sinne von Heilung, vielmehr im Sinne von Linderung und Unterstützung im Sinne von Cicely Saunders, Pionierin der Palliativmedizin, „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben“

Sie sind ein Teil des Palliative Care Teams Nürnberger Land: Renate Linhard, Ute Bretschneider, Dr. Volker Anselstetter, Karin Sieber und vorne sitzend der Leiter Dr. Wolfram Gröschel. | Foto: Blinten2018/05/Palliative-Care-Team.jpg

Zum Thema: Sieben Ärzte und sieben Schwestern arbeiten im Palliative Care Team Nürnberger Land. Träger der Einrichtung sind Caritas und Diakonie. Das Team ergänzt das bereits bestehende ambulante Versorgungssystem: Hausarzt, Ambulanter Pflegedienst und ehrenamtliche Hospizhelfer betreuen die Patienten weiter. Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien zu bessern und die Selbstbestimmung bis zum Lebensende zu erhalten.

Alle Patienten mit einer weit fortgeschrittenen unheilbaren Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung können sich an das Team wenden, darüber hinaus Angehörige, Haus- und Fachärzte, Alten- und Pflegeheime und Krankenhäuser.

Kontakt: Palliative Care Team Nürnberger Land, Grabenstraße 8, 91217 Hersbruck, Telefon 09151 8390920, info@pct-nuernberger-land.de

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