Anti-Trassen-Tage in Altdorf

„Erdgas ist sexy“

Rainer Kleedörfer (rechts) hält den gesetzlichen Rahmen für das Gelingen der Energiewende für „Stückwerk“. | Foto: Christian Geist2020/09/Altdorf-Stromtrasse-Kleedoerfer-Tabor-1-online-scaled.jpg

ALTDORF – Nach der Absage von Tennet rückt Rainer Kleedörfer bei Altdorf unter Strom in den Mittelpunkt. Er sieht das deutsche Erdgasnetz als Speicher von der Politik ignoriert und den Bau neuer Stromtrassen als Gefahr für den Klimaschutz.

Welches Stomnetz braucht die Energiewende? Diese Frage hat Rainer Kleedörfer, der Leiter der Unternehmensentwicklung bei N-Ergie, über seinen Vortrag geschrieben. Um sie zu beantworten, so sagt Kleedörfer gleich zu Beginn, müsste man wissen, wie die Menschen in Deutschland in 30 Jahren leben, welche Technologien sie nutzen, wie sie arbeiten. Damit ist klar: Er wird keine eindeutige Antwort auf die Eingangsfrage liefern können. Doch woher wissen dann Bundesregierung und Netzbetreiber, welche Netze es braucht?

„Wir bohren kein dickes Brett, wir bohren einen ganzen Wald“

Kleedörfer nennt das Senken der CO2-Emmissionen als das übergeordnete Ziel in Europa, begründet im Green Deal der EU. Deshalb müssten sich alle Maßnahmen an einer Frage messen lassen: Leisten sie einen Beitrag zu diesem Ziel? Deutschland stoße derzeit etwa 800 Millionen Tonnen CO2 aus, bis 2030 sollen es 540 Millionen sein. Oder weniger. „Wir bohren da kein dickes Brett, wir bohren einen ganzen Wald, so groß ist die Herausforderung, die vor uns liegt“, sagt Kleedörfer und nennt den Verzicht auf Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel als mögliche Maßnahmen eines „gewaltigen Transformationsprozesses“.

Vom Gesetzgeber erwartet er dafür den entsprechenden Rahmen. Doch Gesetze wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und der Bundesbedarfsplan „stehen mehr oder weniger zusammenhanglos nebeneinander, ohne eine Prüfung der Wechselwirkungen“.

Das führe unter anderem zwar dazu, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Region sehr gut voranschreitet. Die eingespeiste Leistung der Photovoltaik etwa werde sich bis 2030 verdoppeln. An 50 bis 60 Tagen im Jahr scheint die Sonne für jeweils fünf bis sechs Stunden aber besonders stark, es wird mehr Strom produziert als verbraucht. „Für diese drei bis vier Prozent der Zeit eines Jahres müssen wir als N-Ergie nun bis zu 450 Millionen Euro investieren und unsere Netzinfrastruktur ausbauen“, meint Kleedörfer, „weil der Gesetzgeber noch nicht auf die Idee gekommen ist, dass es auch Speichertechnologien gibt. Er ignoriert sie konsequent“.

„Energie wird für viele Menschen in diesem Land ein Luxusgut“

Umgelegt werden diese Mehrkosten in Millionenhöhe freilich auf den Strompreis. „Und das ist Kindergeburtstag verglichen mit dem, was auf der Übertragungsnetzebene stattfindet.“ Vor zehn Jahren sei man beim Trassenbau von zehn Milliarden Euro ausgegangen, später von 50, 2019 von 85 Milliarden. Kleedörfer geht mit Blick auf den Bundesbedarfsplan von 200 Milliarden Euro aus, zuzüglich steigender Baukosten. „Dadurch wird Energie für viele Menschen in diesem Land ein Luxusgut, das sie kaum mehr bezahlen können.“ Standortunabhängige Unternehmen dürften das Abwandern ins Ausland erwägen. Und zum übergeordneten Ziel, die Klimaschutzziele zu erreichen, trage der Netzausbau nicht einmal etwas bei.

Die angesprochene Speichertechnologie sieht Kleedörfer im deutschen Erdgasnetz. „Erdgasanschluss ist sexy“, sagt Kleedörfer und begründet seine These mit einer Grafik, die Erdgas als den dominanten Energieträger in Deutschland ausweist. Die N-Ergie habe für dieses Jahr 750 neue Anschlüsse geplant, es sind 1500 geworden. „Und würden wir auch nur eine Werbeaktion starten, wären es 3000. Das ist die Realität.“

Im 511 000 Kilometer langen Erdgasnetz sieht der Experte einen verfügbaren wie bezahlbaren und um ein Vielfaches leistungsfähigeren Speicher als alle deutschen Pumpspeicher zusammen. Erdgas könne man ferner durch Wasserstoff ersetzen, der – wenn er aus Erneuerbaren Energien gewonnen wird – keine CO2-Last mit sich bringt.


Herausforderungen werden exportiert

Die nationale und bayerische Wasserstoffstrategie aber geht davon aus, dass 80 bis 90 Prozent des Wasserstoffs, den man zukünftig benötigt, im Ausland hergestellt wird. Und gleiches gelte aus Sicht der Bundesregierung für das Erzeugen grünen Stroms. Man exportiert also die Herausforderungen, die mit den Klimaschutzverpflichtungen einhergehen, anstatt auf Dezentralität zu setzen. „So nach dem Motto: Wir machen die großen Ziele, andere werden uns helfen, diese zu erreichen.“

Betrachte man die günstigeren Produktionskosten im Ausland und die „irrsinnig hohen Kosten durch den Bau von Stromtrassen“, dann werde diese Lösung für den Endkunden signifikant teurer als die Stromproduktion vor Ort. Ohne Netzbetreiber Tennet beim Namen zu nennen, kritisiert Kleedörfer die niederländische Holding. „Immer dann, wenn einer von weit her kommt, Infrastruktur mit Gewalt reindrückt und Teilhabe verhindert, wird er Schwierigkeiten mit der Akzeptanz bekommen“, sagt er.

Und wenn derjenige zig Milliarden Euro Kosten verursacht, aber nicht weiß, wie die Welt in 30 Jahren aussieht, dann „sehen wir das Ziel Klimaschutz schwer gefährdet und mit hoher Wahrscheinlichkeit als gescheitert an“.

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