HERSBRUCK – Das Gitarrenfestival nimmt Fahrt auf. Mit José Carlos Gómez und dem Rabih Abou-Khalil Trio erlebte das Publikum in der nahezu ausverkauften Geru-Halle, was Saiteninstrumente herzugeben vermögen.
Die erste Halbzeit bestritt José Carlos Gómez, ein schweigsamer Mann in Schwarz gekleidet, der bescheiden und unaufdringlich ganz allein auf der Bühne sitzt und einfach so mit seiner Flamenco-Gitarre ganze Welten eröffnet. Der Flamenco erweckt zwiespältige Gefühle. Er klingt zwar nach Urlaub in Spanien, ein bisschen verspielt und lässig, aber im Hintergrund – mal mehr, mal weniger präsent – lauert spürbar immer das ganz große Schicksal: Lebenslust, Drama und Konflikte, die nur mit einer anständigen Vendetta aus der Welt geschafft werden können. Der aus der spanischen Stadt Algeciras stammende Gómez ist Schüler und Bewunderer des berühmten Gitarristen Paco de Lucia.
Leidenschaft pur
Neben selbst geschriebenen Stücken von seiner aktuellen CD „Origen“ spielte er ein Werk, das er mit dem Symphonieorchester Bratislava aufgenommen hat, und einige traditionelle Stücke. Mit atemberaubender Virtuosität entlockte Gómez seiner Gitarre pure Leidenschaft. Da das erst die erste Hälfte des Programms war, konnte ihn das begeisterte Publikum allerdings nur zu eine Zugabe bewegen: Einen traditionellen Tanguillo – eine Variante des Tango, die aus Cádiz stammt.
Die zweite Hälfte des Abends bestritt der Meister des Oriental Jazz, Rabih Abou Khalil. Nonchalant moderierte er den Abend mit haarsträubenden Anekdoten und staubtrockenem Humor. Als Mitstreiter begleiteten ihn Jarrod Cagwin am Schlagzeug (laut Khalil ein ehemaliger amerikanischer Spion und Mitarbeiter einer sinistren Wiener Krawattenfabrik) und Luciano Biondini am Akkordeon (dessen Vorleben offenbar nicht so interessant ist, wie die Diskrepanz zwischen den Bezeichnungen „Ziehharmonika“ und „Quetschn“). Khalil sitzt der Schalk im Nacken. Musikalisch setzte er Akzente mit Präzision und Feingefühl.
Eine Prise Sehnsucht
Khalils Kompositionen sind vielseitig. Einige Stücke, die in der Studioversion gefühlvoll und bedächtig klingen, treibt Cagwin an Schlagzeug und der arabischen Rahmentrommel zu furiosem Tempo voran. Khalil gibt dabei den Ton an und hält mit der zum Teil aberwitzigen Geschwindigkeit mit, Biondinis Akkordeon sorgt für eine Prise Sehnsucht und gut dosierte Melancholie. Ein perfekt eingespieltes Team.
Alle Lieder klingen wie Erzählungen, und Khalil erzählt auch immer eine kleine (nicht so ganz ernst gemeinte) Geschichte zur Entstehung des jeweiligen Titels. Man kann sich aber natürlich auch die Freiheit nehmen, eine eigene Geschichte zu assoziieren, besonders, wenn einem die Ode an finnische Fischstäbchen („Crisp Crumb Coating“) unangemessen temperamentvoll vorkommt. Ernst wird Khalil nur an einer Stelle des Abends, als er ein älteres Werk ankündigt, das er anlässlich des Bürgerkriegs in seinem Heimatland, dem Libanon, schrieb: „Dreams of a dying City“. Es klingt klagend, flehend und resigniert, und Khalil hatte gehofft, dass er es nie wieder spielen muss. Die aktuelle Lage im Nahen Osten lässt es aber nie ganz aus dem Repertoire verschwinden.
Von Liebesliedern mit Eskalationspotenzial („If you leave me“ bis „Better off without you“) bis zu einer furiosen Hommage an Vlad Dracul ein großartiger Abend, der vom Publikum mit stehenden Ovationen bedacht wurde.
Impressionen von den Workshops und Stimmen der Stipendiaten hier im Video bei uns