Schulübertritt 2020

Eltern fordern mehr Rechte

NÜRNBERGER LAND – Eine bayerische Bürgerinitiative zweifelt die Aussagekraft der Übertrittsnoten für die Viertklässler unter Corona-Bedingungen an. Die Erziehungsberechtigten sollen das letzte Wort haben bei der Schulwahl. Hiesige Schulleiter relativieren die angebliche Chancenungleichheit durch die Pandemie.

Corona stellt alles auf den Kopf und sorgt für Ungleichheiten, auch im schulischen Bereich. Die „Bürgerinitiative für die Freigabe des Elternwillens beim bayerischen Übertritt“ lenkt die Aufmerksamkeit auf die spezielle Situation der Viertklässler, die vorige Woche ihre Übertrittszeugnisse erhielten, in denen die Lehrkräfte eine Empfehlung für die weiterführende Schulart abgeben. Hier spitze sich die Chancenungleichheit auf bedenkliche Weise zu, finden die Mitglieder und begründen dies mit einem umfangreichen Argumentekatalog.

Die uneinheitlichen Bedingungen, die das Lernen zu Hause mit sich bringt, führen sie gar nicht erst weiter aus. Problematisch sehen sie die Tatsache, dass durch den Lockdown der Schulen im März weit zu wenig Proben geschrieben werden konnten und somit die Leistungsnachweise nicht so aussagekräftig seien wie in anderen Jahrgängen.

Milde im Probeunterricht

Die Durchschnittsnote in den drei Hauptfächern allerdings bestimmt die Empfehlung, ob der Schüler an Mittelschule, Realschule oder Gymnasium gehen soll. Mit der besonderen Situation geht auch einher, dass weniger Stoff durchgenommen werden konnte, ein Defizit, dass sich auch beim demnächst anstehenden Probeunterricht in den weiterführenden Schulen zeigen dürfte, auch wenn das Kultusministerium die dort urteilenden Lehrkräfte darauf hingewiesen hat, dies in ihrer Bewertung zu berücksichtigen.

Hinzu kommt noch eine weitere Erschwernis für Schüler, die auch jetzt noch nicht in die Schule zurückkehren dürfen, wo derzeit der Stoff der vergangenen Wochen wiederholt und vertieft wird, weil sie oder Familienmitglieder einer Risikogruppe angehören. Sie seien zusätzlich benachteiligt, weil ihnen der Crashkurs durch die Pädgagogen fehle.

Wie entscheidend diese Stress-Situation sein kann, belegen die Mitglieder an Hand von Beispielen. „Wir kennen Fälle, in denen die Richtzahl von 22 Proben um 40 Prozent unterschritten wurde und Kinder mit nur einer einzigen weiteren Note 2 in einem Fach eine höhere Schulart besuchen dürften.“ Da aber diese zusätzlichen Proben nicht stattfinden konnten, weil die Schulen auch nach Ostern geschlossen blieben, sei manchen Viertklässlern die Cance verwehrt worden, sich für den Übertritt in die gewünschte Schulart zu qualifizeren.

„Eltern kennen ihre Kinder am besten“

Die Konsequenz, die die Mitglieder der Bürgerinitiative ziehen, lautet: Gebt den Eltern mehr Rechte bei der Schulwahl! Schließlich kennen sie ihre Kinder am besten und wollen sich gerade in dieser komplexen Situation nicht auf aus ihrer Sicht mangelhafte Leistungsnachweise verlassen. Doch wie sehen das die Schulleiter, die ja auch um die bestmöglichen Lösungen für ihre Schützlinge ringen?

Vorsichtig äußert sich ein Mitglied der Schulleitung einer Grundschule. Hier gehe es eigentlich doch eher um eine Grundsatzdiskussion, die Corona-unabhängig zu führen sei. Was die Leistungsnachweise angeht, meint die Lehrkraft, sei es kein größeres Problem gewesen, aussagekräftige Notenschnitte für den Übertritt zu erstellen: „Es scheint, dass die Anzahl der Noten ausgereicht hat, schließlich hat man ja von Oktober bis März Zeit gehabt, genügend Proben zu schreiben.“ Auch sei kein Fall bekannt, in dem Eltern sich über die Noten im Übertrittszeugnis beschwert hätten. Hinzu kommt quasi als Ausgleich für die fehlende Unterrichtszeit die Anweisung des Kultusministeriums, den Stoff, der im Probeunterricht erwartet wird, nun in der Schule zu vertiefen, was eigentlich nicht auf dem regulären Lehrplan vorgesehen ist.

Verständnis bei Schulleitung

Carola Stöhr, die Schulleiterin der Altdorfer Grundschule, kann die Sichtweise der Elterninitiative zum Teil nachvollziehen. Die durch die Schulschließung ausgefallenen Proben hätten möglicherweise dem einen oder anderen Kind günstigere Chancen für den Übertritt eröffnet. Da aber in einem kultusministeriellen Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass keinem Kind durch die Regelungen während der Corona-Krise ein Nachteil entstehen darf, habe man in den Konferenzen mit den Kollegen wohlwollend entschieden und den „pädagogischen Gedanken“ keineswegs aus den Augen verloren.


Auch sie weist darauf hin, dass man als zusätzliches Vorbereitungsangebot derzeit eine Lehrkraft freigestellt habe, die nun am Vormittag in Schichten die Schüler, die das wünschen, in zusätzlichen drei Stunden pro Woche gezielt für den Probeunterricht fit macht.

Nähme Druck aus den Grundschulen

Eine weitere Schulleitungs-Kollegin aus dem Landkreis kann die Aufregung gar nicht so recht verstehen. Schüler und Eltern hätten die Homeschooling-Herausforderung gut gemeistert und die Lehrer konnten bei der Wiederaufnahme des Unterrichts in der Schule „nahtlos“ an die Vorarbeit der Eltern zu Hause anschließen. Nur eine weitere Probe wäre noch angedacht gewesen, aber auch ohne die hat man die Mindestanzahl schon erreicht gehabt, als die Pandemie ihre Auswirkungen zeigte. Interessant ist, dass die Mehrheit der Rektoren und Rektorinnen sich für die geforderte Freigabe des Elternwillens ausspricht. Für Ilona Zehetleitner, die Sprecherin der Bürgerinitiative in Bayern, ist das logisch. „Das nähme schließlich gewaltigen Druck aus den Grundschulen“, ist sie sich sicher. Auch kann sie nicht glauben, dass alle Eltern ihre Kinder auf Gedeih und Verderb in die Gymnasien schieben würden, wenn sie die freie Wahl hätten.

Sie glaubt, dass das Festhalten an den strengen Auswahlkriterien in Bayern – ein Notenschnitt von 2,33 für den Übertritt an das Gymnasium, 2,66 für die Realschule – das Ausbluten der Mittelschulen verhindern soll. Dabei fordere man ja nicht einmal, dass die Eltern uninformiert und bedingungslos über die Schulwahl ihrer Kinder bestimmen sollen. Eine Schulempfehlung durch die Lehrkraft solle unbedingt bleiben.

Vorbild Sachsen

Ihr schwebe ein Verfahren wie in Sachsen vor, wo nach einer Klage der Elternwille freigegeben wurde. Dort gibt es nun ein empfehlendes Übertrittszeugnis, danach folgt ein mündlicher Probeunterricht mit Interviews und eine nochmalige Beurteilung durch die Lehrer der weiterführenden Schule. Sollten sich deren Vorstellungen nicht mit denen der Eltern decken, kommt es zu einem Gespräch, das letzte Wort aber behalten hier die Erziehungsbererchtigten. Auch die bayerische Intitiative denkt an eine Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof. Da der bayerische Verfassungstext jedoch anders formuliert ist als der sächsische, dürfte es sich hier um juristische Spitzfindigkeiten drehen. Und außerdem, so Ilona Zehetmeier, stellt auch die Finanzierung eines solchen Verfahrens für die organisierten Eltern derzeit noch ein Problem dar.

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