NÜRNBERGER LAND – Ihre Situation ist eine der großen, ungeklärten Fragen in der Corona-Pandemie: Um ältere, kranke und gehandicapte Menschen vor einer Ansteckung mit dem für sie gefährlichen Virus zu schützen, setzt die Politik von Tag eins an auf Isolation – und erntet dafür mehr und mehr Kritik. Nicht zuletzt auch von der Caritas im Nürnberger Land: „Zerstört Corona unsere Menschlichkeit?“ betitelt sie eine illustre Gesprächsrunde am Dienstag, 20. Oktober, bei der unsere Leser Fragen stellen dürfen, die ihnen auf der Seele brennen.
„Mit unserer provokanten Titel-Frage wollen wir einem schwierigen Thema nachgehen“, sagt Caritas-Geschäftsführer Michael Groß, „weil die nötigen Corona-Schutzmaßnahmen im diametralen Gegensatz zu einem unserer Kernanliegen stehen: einer inklusiveren Gesellschaft.“ Schließlich war bis Ende Juni der Besuch in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen grundsätzlich untersagt. In sogenannten „Hotspots“ – also Städten oder Kreisen mit einer 7-Tage-Inzidenz von 50, sind diese wieder auf täglich eine Person begrenzt.
Groß, der von sich sagt, „definitiv kein Corona-Leugner“ zu sein und die AHA+L-Regel als „unser wichtigstes Gegenmittel“ bezeichnet, verweist darauf, dass diese Praxis auch dazu geführt habe, dass allein lebende Menschen spürbar weniger bereit seien, sich auf mögliche physische Begegnungen einzulassen, weil Unsicherheiten angesichts ständig neuer Verfügungslagen und persönliche Ängste sie hemmten.
Im Zimmer bleiben
Bei Telefonaten mit Heimträgern aus anderen Kreisen habe er immer wieder gehört, dass Bewohner teils nicht einmal mehr ihr Zimmer verlassen durften, um nur ja keinen Infektionsausbruch zu riskieren, sagt Groß. „Aber dürfen wir das – zum Schutz der Vielen den Einzelnen isolieren?“ Oder sei die Gesellschaft nicht eher in der Pflicht, auch für extreme Fälle neue Begegnungsformen zu finden – etwa, wenn ein Heimbewohner seine Kinder sehen will – und dabei ganz bewusst auch das Risiko in Kauf nimmt, sich bei ihrem Besuch anzustecken?
Um genau solche grundlegenden ethischen Fragen – nicht umsonst genießt die Würde eines Menschen Verfassungsrang – geht es am Dienstag – aber auch ganz alltägliche Probleme oder etwa um die Frage, warum zwar Verkäuferinnen und Krankenschwestern als „systemrelevant“ erklärt werden, dies aber zum Beispiel nicht für behinderte und alte Menschen gelte, so Caritas-Bereichsleiter Michael Schubert.
Ein einfaches „Weiter wie bisher“ verbiete sich da, sagen beide unisono, gesucht werden müssen „neue Wege eines gesellschaftlichen Miteinanders in Vielfalt“, um die von unzähligen Betroffenen als beklemmend und lähmend für die Lebensqualität empfundene Situation aufzulösen. Die Angebote der digitalen Welt böten dabei zwar neue Möglichkeiten, andererseits stünden sie bestimmten Bevölkerungsgruppen nicht ausreichend zur Verfügung oder sie seien schlicht nicht damit vertraut, sagen die beiden – ganz abgesehen davon, dass „WhatsApp echte Begegnungen nicht ersetzen kann“, so Groß.
Neue Ideen entwickeln
Die Caritas habe keine Lösungen anzubieten, die nicht auch andere im Sinn hätten. Umso wichtiger sei es aber, diese Fragen öffentlich zu diskutieren, damit sich aus dem Dialog vielleicht neue Denk- oder Handlungsmöglichkeiten ergeben.
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Am Tisch sitzen dazu am kommenden Dienstag Armin Kroder (Landrat und Bezirkstagspräsident), Hanspeter Kubin (Leiter des Gesundheitsamts in Lauf), Rainer Eisenbarth (ehemaliger Leiter des Awo-Seniorenheims in Pommelsbrunn), eine Angehörige einer Altenheimbewohnerin, Dr. Horst Bauer, der seit vielen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen ist, Annett Werner von der Flüchtlingsberatung sowie Mechthild Scholz, die Leiterin des Mehrgenerationenhauses in Röthenbach. Moderiert wird die Runde von Michael Groß.
Wer zu diesem Dialog Fragen, Themen oder die persönliche Situation beisteuern möchte, kann dies tun per E-Mail an: [email protected].