Immer mehr Bürger aus Feucht und Umgebung wehren sich gegen ein mögliches ICE-Werk auf dem Muna-Areal. Eines der Hauptargumente der Projektgegner ist der Schutz des Waldes und der Natur. Doch wie sieht es tatsächlich aus hinter der Absperrung? Ein Rundgang.
Ein trüber Vormittag in der Feuchter Waldsiedlung. Die Gartenzäune sind mit Plakaten und Transparenten bepflastert: pro Wald, contra Deutsche Bahn. Am Ende dieses Meinungsspaliers befindet sich das Osttor zum Gelände der einstigen Heeresmunitionsanstalt.
Hier stehen Revierleiter Jens Breuer und Jörg Tuchbreiter vom Bundesforstbetrieb Hohenfels über eine Karte gebeugt und planen einen Rundgang über das Gelände. Etwa einmal wöchentlich sehen sie für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) nach dem Rechten. Fällt der Borkenkäfer ein oder wirft ein Sturm Bäume auf die Wege, greifen sie ein und holen das Holz aus dem Wald: mit erheblichem Aufwand. Denn agieren können sie nur per Seilkran oder von zweifelsfrei sauberen Rückegassen aus.

Wo einst Lastwagen und Güterzüge der Wehrmacht rollten, schaukeln Breuer und Tuchbreiter heute mit ihrem Geländewagen über Schotterpisten und aufgebrochene Asphaltrampen. Schon wenige Meter hinter dem Tor fällt auf, wie ausgesprochen dicht der Wald hier steht. Die Sichttiefe reicht vom Autofenster oft nur wenige Meter in den Wald hinein, dann verfängt sich der Blick in Stauden und Sträuchern. Keine Spur von einem Steckerlaswald, wie ihn mancher Befürworter des ICE-Werk-Standorts hier bereits gesehen haben will. Als Urwald möchte Tuchbreiter ihn aber auch nicht gleich bezeichnen. Dafür fehlen ihm beispielsweise Laubbäume, die älter sind als 70, 75 Jahre.
„Ökologisch interessant“ dank Totholz
Der Wald, wie er heute zu sehen ist, wurzelt seit den 50er Jahren auf dem einstigen Wehrmachtsgelände , die Altersstruktur ist entsprechend homogen. Auf Geheiß der US-Army wurden seinerzeit hauptsächlich Douglasien und Fichten gepflanzt. Inzwischen entscheidet die natürliche Aussaat, was hier wächst und was nicht. Einen „Sukzessionswald“ nennt Tuchbreiter das. Was das Areal von anderen Wäldern unterscheidet, ist sein hoher Totholzanteil.

Immer wieder liegen Bäume quer oder es stehen abgebrochene Stämme auf kleinen Lichtungen – wie hohle Zähne in einem löchrigen Gebiss. Sie bieten verschiedenen Spechten ein zu Hause und machen das Gelände laut Breuer „ökologisch interessant“. Tuchbreiter und er erreichen eine Lichtung. Vereinzelt stehen hier Douglasien, am Boden wuchern Farne. Die Fichten, die hier standen, hat alle der Borkenkäfer geholt. Die Forstexperten kämpfen hier drin mit den gleichen Problemen wie Waldbesitzer jenseits des Zaunes. So machen sich gerade mehrere invasive Arten auf der Muna breit, darunter die Spätblühende Traubenkirsche und der Japanische Staudenknöterich.

Auf dem Papier ist die Muna zwar kein Landschafts-, aber doch Vogelschutzgebiet. Und natürlich Bannwald. Einen höheren Schutzstatus kennt das Bayerische Waldgesetz nicht. „Wird davon etwas gerodet, muss es in gleicher Größe angrenzend wieder aufgeforstet werden“, erklärt Breuer. Für die hiesige Tierwelt sicher ein schwacher Trost, ist das Areal doch von den Autobahnen 6, 9 und 73 eingekeilt. Waldfrei in diesem Dreieck ist allein das ehemalige US-Flugfeld, der heutige Gewerbepark Nürnberg-Feucht.
1946 brennt alles nieder
Vor 70 Jahren war das Bild hier noch ein ganz anderes. Die US-Streitkräfte sammeln auf der Muna nach dem Krieg Munition aus dem Großraum Nürnberg und darüber hinaus. Im Mai 1946 kommt es zu einem folgenschweren Unfall. Ein Munitionszug explodiert und löst eine Kettenreaktion aus. Tagelang brennt es auf dem Gelände, immer wieder detonieren weitere Sprengkörper. Experten gehen von 20 000 Tonnen Munition aus, die direkt abbrennen oder sich auf der Fläche verteilen. Gebäude und Wald brennen größtenteils nieder.

Historische Aufnahmen zeigen eine Landschaft voller Krater, Trichter und Gerippe ausgebrannter Züge und Gebäude. „Die tiefsten Trichter hinterließ wohl ein Zug mit 300 Sprengköpfen der V2-Rakete, die in die Muna umgelagert worden waren“, informiert das Röthenbacher Museum für historische Wehrtechnik 2006 in einer Sonderausstellung. Rund 2000 Feuerwehrleute sollen damals im Einsatz gewesen und Feucht, Röthenbach/St. Wolfgang, Wendelstein, Sorg sowie Raubersried wegen Gasgefahr evakuiert worden sein.
„Zwei Jahre nach dem Brand wurden bei Aufräumarbeiten circa 18 Tonnen Lostsprühbüchsen entdeckt. Sie waren wenige Wochen vor Kriegsende in der Muna eingelagert worden“, berichtet das Wehrtechnik-Museum weiter. Lost, das ist eine andere Bezeichnung für Senfgas – eine der gefürchtetsten Waffen vor allem des Ersten Weltkriegs.
„Sprengstofftypische Verbindungen im Grundwasser“
Heute existiert auf dem Areal ein sogenannter Giftgas-Sarkophag. Dabei handelt es sich um eine sechs Hektar große Lichtung, die mehrere Meter höher liegt als der umgebende Wald. Um die Jahrtausendwende hat man diese Fläche mit einer Spundwand eingefasst, das verseuchte Erdreich mit einer Folie überzogen und anschließend mit mehreren Metern Erde aufgeschüttet. Nach unten soll eine natürliche Lehmschicht den Sarkophag abdichten. Die BIMA sieht dadurch eine „vollständige Einkapselung der Schadstoffhotspots“ als gegeben an.
Obenauf wachsen heute kleine Nadelbäume, Sträucher und vor allem Landreitgras. Breuer und Tuchbreiter achten darauf, dass kein Baum zu groß wird, dass keine Wurzeln zu tief greifen. An insgesamt 150 Messstellen auf dem Gelände nehmen sie regelmäßig Proben, auch im Bereich des Sarkophags. Dazu die BIMA: „Im Ergebnis wurden und werden bereichsweise sprengstoff- als auch pulvertypische Verbindungen im Grundwasser nachgewiesen.“
Ob diese Rückschlüsse auf bestimmte Kampfmittel zulassen und welche Gefahr von diesen ausgehen könnte, diese Antwort bleibt die BIMA schuldig. Stattdessen verweist sie auf Räumarbeiten in der jüngeren Vergangenheit. Dabei habe man zwar Granaten unterschiedlicher Kaliber und deren Reste gefunden, aber: „Funde von Großkampfmitteln oder chemischen Kampfmitteln in diesem Zeitraum sind nicht bekannt.“
Den Sarkophag anzutasten oder gar auszuheben, steht laut BIMA aufgrund der derzeitigen Nutzung (extensive Forstwirtschaft) nicht zur Debatte. Sie bezieht sich auf ein Gutachten aus dem Jahr 2002, das eine Dekontamination mittels Bodenaushub aus Gründen der Arbeitssicherheit und der Wirtschaftlichkeit als „nicht verhältnismäßig“ einstuft. Stattdessen wird eine Räumung aufgrund der „Errichtung des Sicherungsbauwerks“ – gemeint ist der Sarkophag – als nicht mehr erforderlich angesehen. Diese Einschätzung teilen laut BIMA auch alle beteiligten Behörden, darunter der Markt Feucht, das Landratsamt Nürnberger Land und die Regierung von Mittelfranken.
Entmunitionieren bedeutet
metertiefes Graben
Sollte die Bahn hier ihr ICE-Werk errichten wollen, so benötigt sie ein Areal mit uneingeschränkter Kampfmittelfreiheit. Um diese zu erzielen, müsste das Gelände nahezu vollständig gerodet und teilweise mehrere Meter tief umgegraben werden, bestätigt die BIMA. Ein konkretes Kampfmittelräumkonzept liegt zum jetzigen Stand der Planung nicht vor. Solange dies nicht der Fall ist, könne die BIMA auch keine Auskunft über eine mögliche Dauer des Unterfangens geben.
Sollte das Gelände tatsächlich gerodet, entmunitioniert und anschließend in Teilen wieder aufgeforstet werden, dauert es laut Revierleiter Breuer 70 bis 75 Jahre, bis der Wald all jene Funktionen leisten kann, die er heute schon übernimmt. Denn Wald benötige genau die Zeit zur Regeneration, die er für sein Wachstum gebraucht hat. Für wie schützenswert die Regierung von Mittelfranken den Wald einschätzt, wird das Raumordnungsverfahren zeigen. Die Bahn lässt dazu noch bis Ende Oktober Umweltprüfungen an den drei verbliebenen Standorten durchführen.