OTTENSOOS – Es gibt Menschen, die sind authentisch, ohne anzuecken. Herzlich, ohne sich zu verstellen. Und sie treten mit einer Leidenschaft für etwas ein, die nie gespielt ist. Solche Menschen sind eher selten, der Ottensooser Werner Wolf gehört dazu. Seine Leidenschaft: die Landwirtschaft. Sie prägte den 65-Jährigen sein bisheriges Leben lang. Im Sommer geht der Landwirtschaftsdirektor in den Ruhestand. Ein Rückblick.
Der Blick aus dem Fenster im ersten Stock von Werner Wolfs Haus geht über die Dächer von Ottensoos und den Pegnitzgrund bis weit nach Norden. Den Glatzenstein, den Rothenberg und Bühl kann man bei günstiger Sicht von hier aus erkennen. Wenn er über seine Heimat spricht, leuchten Werner Wolfs Augen. Im Herzen des Nürnberger Landes ist er geboren und aufgewachsen, hier fühlt er sich daheim.
Der 65-Jährige leitet seit 27 Jahren das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Roth, das auch für den Landkreis Nürnberger Land zuständig ist. Im Sommer geht er offiziell in den Ruhestand, und mit ihm verabschiedet sich auch sein Dienstbereich. Denn im Juli kommt eine Gebietsreform in der Verwaltung, das AELF Roth wird mit dem Bereich Weißenburg zusammengelegt, dessen bisheriger Leiter Hans Walter ist ab Sommer also auch für das Nürnberger Land mit der Außenstelle Hersbruck zuständig. Die Karriere des dienstältesten Landwirtschaftsdirektors in Bayern hätte an mehreren Weggabelungen auch ganz anders verlaufen können.
1955 kommt Wolf als erster Sohn einer Bauernfamilie in Ottensoos zur Welt, es ist eine Hausgeburt, damals noch nichts Außergewöhnliches. Wolf schwärmt von einer „unbeschwerten Kindheit“ mit der Pegnitz und Umgebung als „Eldorado“: Im Fluss lernte er im Sommer schwimmen, und wenn die angrenzenden Wiesen überschwemmt waren, wurde ein Floß gebaut. Gefror im Winter das Wasser, war Schlittschuhlaufen angesagt.
Vom Dorf aufs Gymnasium
In der zweiten Klasse stellt seine Lehrerin fest, dass Werner begabter ist als viele seiner Mitschüler. Nach der Volksschule wechselt er aufs Gymnasium in Lauf, als einziger von fünf Geschwistern. Die Eltern vergessen zwar, ihn rechtzeitig anzumelden, doch seine Tante, selbst Lehrerin, setzt sich für ihn ein. „Das Abitur war zu der Zeit etwas Besonderes“, erinnert sich Wolf, umso mehr bei seinem Hintergrund.
Für den Bauernsohn ist es ein Glücksfall, dass wenige Jahre zuvor das Laufer Gymnasium gebaut wird – wer weiß, ob ihn seine Eltern ins weiter entfernte Hersbruck oder gar nach Nürnberg gelassen hätten. Schließlich muss in der Bauernfamilie jeder mit anpacken. Nach der Schule ist Arbeit angesagt, ob im Stall oder auf dem Acker.
Schule, Arbeit, Hausaufgaben
Bereits als kleiner Bub hütet er Kühe auf einem Hutanger nahe dem Dorf, er fährt schon Schlepper, als er mit den Füßen noch kaum bis zu den Pedalen kommt. Die Hausaufgaben müssen warten, bis es dunkel ist. Für Werner Wolf ist das selbstverständlich. „Ich bin meinen Eltern dankbar, dass ich diese Verantwortung bekommen habe.“ Fußball beim heimischen FCO hätte er zwar gern gespielt, aber das untersagen ihm die Eltern, dafür bleibt keine Zeit.
Erst in der Oberstufe kann er sich auf die Schule konzentrieren. Zu dem Zeitpunkt ist Werner Wolf schon klar, dass er den Hof seines Vaters nicht übernehmen wird, auch wenn er als ältester Sohn dafür vorgesehen ist. Die Eltern zeigen Verständnis, der zweitälteste Bruder Hans übernimmt – er ist bis heute Landwirt.
Nach dem Abitur zieht Werner Wolf ihn in die Ferne, zum Wehrdienst an den Rhein. Dort hofft man, dass Wolf anschließend die Offizierslaufbahn einschlägt. Der heimische Pfarrer indes wünscht sich den jungen charismatischen Mann als Nachfolger. Es ist ein nachvollziehbarer Gedanke, zu seiner Taufkirche St. Veit hat Werner Wolf ein besonders Verhältnis, die ruhige, angenehme Art und die Wärme, die er ausstrahlt, wären auch für einen Priester wichtige Eigenschaften.
Agrarwirtschaft in Weihenstephan
Doch Wolf weiß, was er will: In Weihenstephan studiert er Agrarwirtschaft, seine Kommilitonen kommen aus der ganzen Welt. Für die Bodenhaftung sorgt der Vater, der von seinen Kindern erwartet, dass sie am Wochenende daheim sind – die Arbeit am Hof wartet schon. Im Ort half man sich damals auch gegenseitig aus, erinnert sich Wolf. Schließlich hatte nicht jeder hatte alle Gerätschaften. „Wenn du jemandem helfen kannst, musst du ihm helfen“, hatte der Vater ihm mitgegeben. Den Spruch nimmt Werner Wolf sich bis heute zu Herzen.
1980 beginnt die berufliche Tätigkeit für den Freistaat, Wolf wird Referendar am Amt für Landwirtschaft und Ernährung in Rosenheim. Über Stationen in Ober- und Unterfranken findet er 1985 den Weg ans bayerische Landwirtschaftsministerium. „Ich wollte nie nach München“, sagt er heute, aber widersetzen konnte er sich dann auch nicht. Wolf bereitet Kabinetts- und Bundesratssitzungen für Staatsminister und Staatssekretäre vor und reist nach Bonn, um den Freistaat bei Sitzungen des Agrar- und EU-Ausschusses des Bundesrats zu vertreten. Auch bei Sitzungen in Brüssel ist er als Länderbeobachter dabei. Eigentlich will er nicht lange in der Landeshauptstadt bleiben, doch es werden zehn Jahre.
Der Minister lässt ihn gehen
Glücklich wird Werner Wolf in München aber nicht. Er fremdelt mit dem Großstadtleben, es ist nicht seine Welt. Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet versucht noch, ihn umzustimmen, aber dann lässt er ihn schweren Herzens gehen. Die Entscheidung steht längst fest, seit 1990 baut Wolf nebenher ein Haus in Ottensoos, wann immer er Zeit findet und mit der Hilfe der Familie. Weniger als ein Jahr, nachdem er zu einem der jüngsten Ministerialräte ernannt wird, kehrt er 1994 zurück nach Franken und übernimmt mit 38 Jahren das Landwirtschaftsamt in Roth.
Beruflich ist es ein Rückschritt, aber so sieht es Wolf nicht. „Ich bin bis heute stolz, dass ich den Absprung geschafft habe“, sagt er rückblickend. „Ich habe es keine Sekunde bereut.“ Er kann wieder mehr am gesellschaftlichen Leben in seinem Heimatdorf teilnehmen, wird zwölf Jahre Gemeinderat und sechs davon auch Zweiter Bürgermeister, ein paar Jahre lang ist er auch Mitglied des evangelischen Kirchenvorstands. Wolf hat auch wieder mehr Zeit für den Posaunenchor, dem er schon seit 1969 angehört und dessen Chorleiter er 2004 wird.
Näher an der Basis
Als Landwirtschaftsdirektor ist er näher an der Basis, näher an den Bauern, für die er immer ein offenes Ohr hat. Und ihn reizt die Führungsrolle. „In München ist man ein Rädchen im Getriebe“, nun ist er sein eigener Chef – dem die guten Kontakte in die Landeshauptstadt natürlich helfen. Er sieht sich als Dienstleister, als „Kümmerer um die Probleme“ der Landwirte. „Heimatverbunden und dabei das große Ganze im Blick“, so sieht sich Wolf selbst. Dass er das Leben am Hof selbst kennengelernt hat, betrachtet er als großen Vorteil. Die Bauern vertrauen ihm. Was er sagt, ist glaubwürdig und authentisch. Auch, weil er selbst regelmäßig auf dem Hof seines Bruders mit anpackt.
Als 1997 die Bereiche Roth und Nürnberger Land zusammengefasst werden, ist Wolf nun auch für seinen Heimatlandkreis zuständig. Bei der Verwaltungsreform 2005, als der Bereich Forsten hinzukommt, kann er mithilfe der kommunalen Politik durchsetzen, dass Hersbruck als Außenstelle erhalten bleibt. Das Gebiet, für das Wolf zuständig ist, erstreckt sich von Greding bis Neuhaus, er ist Schulleiter der Rother Landwirtschaftsschule und hat insgesamt 80 Mitarbeiter.
Mitglied im deutschen Hopfenbeirat
Besonders hat es Wolf der Hopfen angetan. Er schwärmt von der „wunderbaren Kulturpflanze“, deren Dolden als Dekoration auch zu Hause an der Wand hängen. „Wen der Hopfen einmal gekratzt hat, den lässt er nicht mehr los“, zitiert der 65-Jährige eine alte Bauernweisheit. Als Mitglied im Deutschen Hopfenbeirat war er zu Kongressen weltweit unterwegs, aber das Bier, da ist Werner Wolf ganz sicher, das schmeckt in Franken am besten.
Insgesamt hat sich seit Wolfs Jugend viel getan in der Landwirtschaft, technisch gab es erhebliche Verbesserungen, die Situation der Bauern aber bereitet Wolf Sorge. Ihre Zahl ist seit Jahrzehnten rückläufig, Wolf bezeichnet die Situation als dramatisch. Beispielhaft sagt er, in seiner Jugend gab es in Ottensoos noch 40 Milchlieferanten. Heute sind es zwei. Vor 25 Jahren gab es noch über 1500 Betriebe im Landkreis, heute sind es noch rund 900, davon der deutlich größere Teil im Nebenerwerb. Die kleinen Höfe reichen nicht aus, um finanziell zu überleben. Die Anbauflächen von Getreide und Hopfen sind stark zurückgegangen, es gibt viel weniger Kühe und Schweine.
Das große Problem ist für Wolf die Marktmacht des Einzelhandels, der die Bauern wenig entgegenzusetzen haben. „Nicht umsonst haben so viele Betriebe aufgehört“, wie er sagt. Man müsse großen Respekt vor allen haben, die trotz der Umstände weitermachen. Ihm tue „das Herz weh bei jedem Betrieb, der nicht mehr da ist und bei jeder Fläche, die verloren geht“. In die Pflicht nimmt Wolf auch die Bürger. „Als Verbraucher habe ich die Möglichkeit, die Produkte einzukaufen, die man in der Heimat erzeugt“, sagt Wolf. Es geht um Wertschätzung für die Landwirte, und die lässt sich auch dadurch ausdrücken, dass man Produkte beim Metzger kauft oder direkt am Hof statt aus anderen Ländern importierte Ware im Supermarkt.
Keine Frau fürs Leben
Nur in privater Hinsicht läuft bei Wolf nicht alles wie erwünscht. „Die Familiengründung ist mir nicht geglückt“, die Frau fürs Leben läuft ihm nie über den Weg. „Es kommt ein Zeitpunkt, wo man immer wählerischer wird.“ Einsam aber war er nie, sagt Wolf, er hat genügend soziale Kontakte und Hobbys.
Offiziell geht Werner Wolf erst am 31. August in Pension, er wäre dann noch zwei Monate Stellvertreter des neuen Landwirtschaftsdirektors Hans Walter. Doch Wolf hat noch so viele Urlaubstage, dass er im Sommer gar nicht mehr da sein wird und bis dahin langsam herunterfahren kann.
Bei aller Vorfreude auf die zusätzliche Zeit merkt man Werner Wolf die Wehmut an. „Was mir fehlen wird, ist die Begegnung“, sagt er. Er war „das Gesicht der Land- und Forstwirtschaft“, wie er es ausdrückt. „Diese Rolle verlässt man. Das wird nicht einfach.“
Zeitvertreib wird der Ottensooser aber immer finden, ob als Chorleiter, beim Wandern und Langlaufen oder mit seinem neuen E-Bike, das er sich gekauft hat, um weitere Strecken zurücklegen zu können. Auch Urlaube in fernen Ländern sind geplant. „Ich denke nicht, dass ich in ein Loch falle“, bilanziert der 65-Jährige. Die große Leidenschaft bleibt ihm schließlich nach wie vor: Auf dem Hof seines Bruders wird er noch häufiger mithelfen.