Feucht: Gefahr schlummert im Erdreich

Sperrgebiet Muna hat explosive Vergangenheit

Das Gelände der HMa Feucht im Jahr 1950: Ein durcheinander geworfener Stapel von 35 Zentimeter Röchlingsgranaten vor einem völlig ausgebrannten Munitionszug inmitten einer riesigen durch Explosion und Brand entstandenen Waldlichtung.2015/09/Muna_1949_1950_Archivbild.jpg

FEUCHT – Die Sperrzone auf dem Gelände der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt (HMa) wird ausgeweitet. Das hat der Gemeinderat am Donnerstagabend beschlossen. Denn im Boden schlummern Gefahren – die allerdings durch einen Zaun nicht gänzlich weggesperrt werden können.

Es handelt sich um das Gelände südlich des Gewerbeparks Nürnberg-Feucht-Wendelstein (GNF). Auf dem Areal war früher die Heeresmunitionsanstalt, umgangssprachlich auch Muna genannt, angesiedelt. Der Großteil des Geländes ist bereits umzäunt. Im Nordwesten allerdings befinden sich Bunkerreste der „Lagergruppe B“, in denen Munition aufbewahrt wurde. Die Bunker waren kurz vor Kriegsende gesprengt worden. Von den 15 Bunkern liegen sieben innerhalb der Umzäunung – und acht außerhalb.

Ein zu großes Sicherheitsrisiko, befanden die Behörden. Die Gefahr basiere allein schon auf den Ruinen, bemerkt Jens Söckneck, Leiter des Ordnungsamtes im Gemeinderat. Er malte ein Szenario von Hobbyarchäologen, die auf den stark bewachsenen Bunkerresten herumklettern könnten. Der Grund gehört dem Freistaat Bayern. Sicherheitsbehörde ist jedoch der Markt Feucht – und auch er könnte zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ein Unfall passiert.

Zum besseren Verständnis: Das Grundstück der HMa ist nicht zu verwechseln mit dem Gebiet Moser Brücke, in dem nie Munition gelagert wurde. Aber aufgrund der vielen Explosionen ist auch diese Fläche mit Kampfmitteln verseucht. Ein Gutachten aus dem Jahr 2010 des Instituts für Umweltgeologie und Altlasten (LGA) bestätigt das. Wie berichtet, hat der Markt Feucht erst vor wenigen Wochen die alten Warntafeln durch neue ersetzen lassen. Umzäunt ist das Areal Moser Brücke jedoch nicht. In seiner aktuellen Sitzung haben die Gemeinderäte einstimmig beschlossen, die Änderung des Flächennutzungsplans einzustellen. Das Thema Gewerbegebiet Moser Brücke ist damit rechtskräftig vom Tisch. Das Gebiet bleibt Wald.

Doch warum ist der Boden des HMa so kontaminiert? Eine explosive Historie steckt dahinter. 1935 errichteten die Nazis hier eine Heeresmunitionsanstalt. Das waren staatliche Einrichtungen, betrieben von der Wehrmacht. Zur Kernaufgabe zählte die Fertigung und Instandhaltung von Munition sowie deren Lagerung und Versand. Arbeiter komplementierten die Munition in Feucht, das Füllen der Granaten mit flüssigem Sprengstoff fand andernorts statt.

Neben Sprenggranaten wurde bis etwa 1943 auch Kampfstoffmunition verarbeitet. Heute sind die verwendeten Stoffe als CN- und CS-Gas bekannt. Wenige Wochen vor Kriegsende wurden in der Muna noch etwa 18 Tonnen Sprühbüchsen mit dem Kampfstoff Lost, auch bekannt als Senfgas, eingelagert.

Nazis sprengten Munitionsbunker

Mitte April des Jahres 1945, als die Alliierten immer näher an Nürnberg heranrückten, begann die Wehrmacht mit der Sprengung von Lagerbunkern, die mit Munition belegt waren. Experten gehen von 33 Bunkern aus. Eben auch jene der Lagergruppe B im Nordwesten des Gebiets, das bislang nicht umzäunt ist. US-Truppen nahmen die HMa Ende April 1945 ein. Laut LGA-Gutachten liegen über die amerikanische Besatzungszeit kaum Dokumente vor. Vermutlich räumten die Amerikaner zunächst das Areal von Kampfmitteln. Auch im Gebiet Moser Brücke wurden etwa zwei Drittel des ursprünglichen Waldes entfernt. Die HMa Feucht diente zu dieser Zeit als Munitionssammelstelle für das weitere Umland.

Die Lagerkapazitäten reichten jedoch nicht aus. So lagerten die Besatzer Munition auch im Freien. Parallel begannen die US-Truppen damit, Bestände zu vernichten, in dem sie die Kampfmittel sprengten und verbrannten.

In den Monaten September bis Dezember sollen täglich zwischen 14.30 und 15.30 Uhr jeweils etwa fünf Tonnen Munition gesprengt worden sein. Am 4. Mai 1946 brach aus ungeklärter Ursache ein heftiger Großbrand aus, der von heftigen Detonationen begleitet war.

Die US-Militärregierung übergab schließlich im Laufe des Jahres 1946 den noch erhaltenen Munitionsbestand an den Süddeutschen Länderrat, einem länderübergreifenden Koordinierungsgremium auf dem Gebiet der amerikanischen Besatzungszone.

Um die Munition aus dem Krieg zu entschärfen, entstanden in Bayern 20 Entschäftungsstellen, Feucht war eine davon und die am „stärksten zerstörte E-Stelle und zugleich der am stärksten munitionsbelastete Standort in der US-Zone“ heißt es im LGA-Gutachten.

1949 übernahm das Ministerium des Innern die Zuständigkeit für Kampfmittel. Auch sie entsorgten auf dem Gelände weiterhin Munition und räumten die Entschärfungsstelle. Von 1958 bis 1962 entsorgte die Gemeinde Fischbach in den Bombenkratern ihren Müll.

Atomsprengköpfe eingelagert

Spannend wird es wieder in den 1960er Jahren: US-Truppen errichten ein Muntionslager namens NATO 23, in dem sie vermutlich auch Atomsprengköpfe gelagert haben, sowie ein Lager für konventionelle Sprengmunition und für Treib- und Schmierstoffe (FASA und POL). Nördlich der ehemaligen HMa errichteten sie einen Flugplatz. Auf diesem befindet sich heute der Gewerbepark, der Tower ist heute noch zu sehen.

Mittlerweile hat sich die Natur das Munagelände zum großen Teil zurückerobert. Die Areale von NATO, FASA und POL liegen als Inseln im Wald und sind als Gewerbegebiet ausgewiesen. Da sie aber geographisch ungünstig liegen und zudem von Kampfmitteln verseucht sind, wollte der Markt Feucht diese Flächen gegen das Gebiet der Moser Brücke tauschen, was bekanntlich am Bürgerentscheid im Juli gescheitert ist.

Die NATO Site 23, eben jenes Gebiet, auf dem die US-Truppen Kernwaffensprengköpfe lagerten, ist besonders kontaminiert, unter anderem durch Senfgas. Im FASA-Gelände wurden sprengstofftypische Verbindungen gefunden sowie Barium, ein chemisches Element, das reizend und leicht entzündlich ist.

Brunnen sind stillgelegt

Eine Sanierung dieses Geländes stieß die Gemeinde Wendelstein mit einer Klage an, nachdem auf dem Muna-Areal ein Brunnen zwangsweise stillgelegt werden musste. Ein Gutachter stellte fest, dass das Wasser geringe Mengen TNT-Verbindungen aufwies. Im Jahr 2006 wurde NATO Site 23 zum Teil durch eine sechs Millionen teure Betonplatte versiegelt und fast das gesamte Muna-Areal durch einen Zaun abgeriegelt.

Denn Gefahr droht durch Bomben und Granaten, die sich bis heute im Boden befinden: Die Wurzeln der Bäume tragen diese immer näher an die Oberfläche heran. Laut Feuchts Bürgermeister Konrad Rupprecht hat es bislang keine Unfälle durch das gefährliche Gut im Boden gegeben. Der Zaun dient zwar dem Betretungsverbot, den Regen kann er nicht aufhalten: Ungehindert wird der verseuchte Boden ausgespült, Bestandteile gelangen ins Grundwasser. Zwei Brunnen in dem Waldstück sind bis heute stillgelegt.

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