Zum Todestag von Hermann Oberth

„Oberth ist nicht betroffen“

Licht und Schatten eines Mannes: Hermann Oberth gilt als Vater der Raumfahrt, gibt mit seinem Handeln - vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg - jedoch einige Rätsel auf. | Foto: Christian Geist2019/12/Feucht-Oberth-scaled.jpg

FEUCHT – Am 28. Dezember 1989 stirbt Hermann Oberth im Alter von 95 Jahren. Der Raumfahrt- und Raketenpionier lebte seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Feucht, wo heute Karlheinz Rohrwild und Michael Zuber im Hermann-Oberth-Raumfahrtmuseum an seine Leistungen erinnern und Nachforschungen zum Leben und Wirken Hermann Oberths anstellen.

Im Juli hat sich die Mondlandung zum 50. Mal gejährt. Welchen Anteil hatte Hermann Oberth an diesem Jahrhundertereignis?
Zuber: Aus meiner Sicht hat Oberth die theoretischen Grundlagen geschaffen. Er ist einer von vier Vätern der Raumfahrt-Theorie, wobei Oberth den größten Einfluss auf das Raumfahrtprogramm der USA hatte. Einfach weil Wernher von Braun großen Einfluss auf das amerikanische Programm hatte – und der ganz klar auf der Basis gearbeitet hat, die Oberth gelegt hat.

Also ist Hermann Oberth nicht nur einer, sondern der Vater der Raumfahrt?
Zuber: Die Frage hat der US-Amerikaner Frank Winter beantwortet, ein renommierter Raumfahrthistoriker am Air- und Space-Museum in Washington, dem größten Raumfahrtmuseum der Welt. Er hat 1996 die Frage gestellt: „Was Hermann Oberth the true father of spaceflight?“ Und er kommt am Ende seines Artikels zu dem Ergebnis: „The answer is a resounding yes.“ Und zu diesem Ergebnis steht er noch heute.

Was war Oberths größte Leistung, warum sollte ihn jeder Feuchter kennen?
Rohrwild: Er hat einen komplett neuen Bereich der Verkehrstechnik geschaffen. Und dadurch, dass er zu jedem Problem sowohl die mathematisch-physikalische Grundlage als auch einen technologischen Lösungsansatz geboten hat, gab es in der Raketentechnik im Vergleich zur Luftfahrt nur sehr wenige Tote.
Zuber: Ohne Hermann Oberth hätten wir heute nicht so zuverlässige Wettervorhersagen. Hätten das Ozonloch nicht bemerkt. Wüssten nicht in Echtzeit, was auf der Welt passiert. Könnten nicht glasklar nach Australien telefonieren. All das funktioniert nur, weil es Raketen gibt, die Satelliten ins All bringen.

War sich Oberth darüber bereits im Klaren?
Zuber: Oberth hat sich auch über Nutzungsanwendungen Gedanken gemacht. Er dachte zum Beispiel, man hätte mit einem bemannten Satelliten das Titanic-Unglück verhindern können. Mit Lichtsignalen aus dem All ein Schiff zu warnen, das mutet heute fast ein bisschen drollig an. Aber das ist die Keimzelle weltallgestützter Kommunikation und Navigation. Zu einer Zeit, als durch Feucht am Tag vielleicht drei oder vier Autos gefahren sind.

Welchen Anteil hatte Oberth an der Entwicklung der V2 während des Zweiten Weltkriegs?
Zuber: Er hatte in den 1920er Jahren die Theorie formuliert und die zweite Generation um Wernher von Braun hat sie zum ersten Mal großtechnisch umgesetzt.

War Oberth bewusst, woran er da forschte oder wurde seine Forschung von den Nazis missbraucht?
Zuber: Man muss das aus der Zeit heraus betrachten. Arbeit für militärische Zwecke war damals nichts Ehrenrühriges. Wir müssen unsere moralischen Schlüsse ziehen, uns aber davor hüten, den Menschen ihre damaligen Entscheidungen auf Basis unserer heutigen Werte vorzuwerfen. Das hat nichts mit Relativierung zu tun, aber wir sind letztlich alle Kinder unserer Zeit. Zudem war das Deutsche Reich für den Siebenbürger Sachsen Oberth – völlig unabhängig von den Machtverhältnissen – das Ziel seiner Träume. Er hatte dort ganz andere Voraussetzungen für seine Forschung als in Rumänien.

Edwin „Buzz“ Aldrin, der zweite Mann auf dem Mond, besucht Hermann Oberth (Mitte) und dessen Tochter Erna Roth-Oberth 1986 in Feucht. Foto: HORM | Foto: HORM/Archiv2019/12/Feucht-Oberth-1986-scaled.jpeg

Oberth wurde 1941 deutscher Staatsbürger. War er auch Nationalsozialist?
Zuber: Oberth war kein Nazi. Wir können das schon länger beantworten. Seit wenigen Wochen können wir es auch belegen. Es gab gegen Oberth während der Entnazifizierung kein Spruchkammerverfahren. Wäre er Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Organisationen gewesen, hätte es ein solches geben müssen. In Oberths privatem Nachlass sind wir nun sogar auf den Fragebogen der Militärregierung gestoßen, auf dessen Basis darüber entschieden wurde. Und wir haben die beglaubigte Kopie eines Bescheids des öffentlichen Klägers, der im Januar 1947 feststellt: Oberth ist nicht betroffen.

Dennoch war er Mitte der 60er Jahre zwei Jahre Mitglied der NPD und ein Unterstützer der Stillen Hilfe…
Zuber: Die wirklichen Beweggründe für seine Mitgliedschaft in der NPD wissen wir nicht. Er ist da auch wieder ausgetreten, als er gemerkt hat, dass er als Galionsfigur missbraucht wird. Zudem unterscheidet sich die NPD des Jahres 1965 fundamental von der des Jahres 1967. Als sie sich erheblich radikalisiert hat, war Oberth schon wieder weg. Und mit dem Thema Stille Hilfe hat sich eine Mitarbeiterin des Museums intensiv beschäftigt und alte Finanzunterlagen gesichtet. Sie hat Überweisungen in Höhe von zehn D-Mark gefunden. Selbst wenn es mehrfach zehn Mark gewesen sein sollten, ist das weit von einer dauerhaften Unterstützung entfernt. Zudem stützt sich die Aussage auf ein Pamphlet der Stillen Hilfe, die Oberth für die stete Unterstützung dankt. Es könnte genauso gut sein, dass die Stille Hilfe mit Oberths Namen brillieren wollte. Aber natürlich ist nichts monokausal: Oberth hätte beides nicht tun müssen. So viel Urteilsvermögen hätte er haben können.

Dann gibt es noch ein Zitat Oberths aus dem Jahr 1962. Damals sagte er vor dem Bund der Vertriebenen: „Ich hatte gehofft, eine Raketenwaffe zu finden, die den Schandvertrag von Versailles hätte zerschlagen können. Das ist mir nicht gelungen.“
Rohrwild: Aus seiner Perspektive ist das absolut schlüssig. Für viele seiner Generation war Versailles ein „Schandvertrag“.
Zuber: Es gab die KuK-Monarchie nicht mehr. Oberth musste plötzlich rumänisch lernen, erlebte auch persönlich einen Umbruch von kaum vorstellbarer Größenordnung.
Rohrwild: In einem anderen Zitat stellt er sich selbst sogar auf die Position, dass die ganze Raketenentwicklung nur diesen Zweck gehabt habe. Aber diese nachträgliche Betrachtung kaufe ich ihm schlicht nicht ab. Denn der Junge, der Jules Verne gelesen und sich für das Thema begeistert hat, der hat keine Waffe geplant. Der wollte zum Mond!
Zuber: Dann hätten seine Bücher auch andere Titel. Aber sind wir mal ehrlich: Außer dem Militär hat niemand Geld für diese Forschung gegeben.

Welchen Raum wollen Sie diesem Teil Oberths Biografie in einem neuen, erweiterten Museum geben?
Zuber: Im Wohnhaus nebenan gibt es drei Räume, die quasi im Originalzustand erhalten sind. Das ist für uns der Hebel, sich der Person zu nähern. Und dort wird auch ein Bild zu sehen sein, das Oberth beim NPD-Parteitag auf der Bühne zeigt. Das gehört natürlich dazu. Denn auch wenn wir kein Biographiemuseum, sondern ein Spezialmuseum für die frühe Raumfahrtgeschichte sind, ist es eine unserer Aufgaben, neben seinen großen Leistungen auch diesen kurzen Aspekt im langen Leben unseres Namensgebers einzuordnen.

ZUR PERSON
Pressesprecher Michael Zuber und Museumsdirektor Karlheinz Rohrwild engagieren sich mit Nachdruck für eine Erweiterung des Hermann-Oberth-Raumfahrtmuseums. Erst vor wenigen Wochen erhielt Rohrwild das Ehrenzeichen des Ministerpräsidenten für Verdienste im Ehrenamt.

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