Freie Wähler fordern soziale Gesundheitsversicherung

Ärzte und Patienten brauchen dringend mehr Transparenz

So viel zu lachen wie bei den einführenden Worten von Dr. Alexander Ebert (links) haben die Ärzte im Moment nicht, fanden Dr. Ilka Enger und Dr. Hartwig Kohl. Foto: Spandler
So viel zu lachen wie bei den einführenden Worten von Dr. Alexander Ebert (links) haben die Ärzte im Moment nicht, fanden Dr. Ilka Enger und Dr. Hartwig Kohl. Foto: Spandler2013/07/fwkohl_New_1375171501.jpg

SCHWARZENBACH – Mut bewies sie, die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), als sie sich auf dem Podium zwischen zwei praktizierenden Ärzten – und gleichzeitig Freien Wählern – niederließ. Dr. med. Ilka Enger wurde von den FW Burgthann eingeladen, um die Position ihrer Organisation deutlich zu machen und sich den Fragen der Anwesenden zu stellen. Im Vorfeld hatte der Bundestagsdirektkandidat des hiesigen Wahlkreises, Dr. med. Hartwig Kohl, Gelegenheit, das grundlegend neu ausgerichtete Konzept für das Gesundheitswesen der Freien vorzustellen.

Dass das aktuelle System gewaltig krankt erläuterte der Burgthanner Allgemeinarzt Dr. Alexander Ebert, und gewaltig Zündstoff kam gegen Ende in die Diskussion, als der Hersbrucker Arzt Dr. Heidenreich das Thema Notarztversorgung ansprach und durch Beispiele aus der Praxis die KVB-Vertreterin in die Enge trieb.

Warum fehlt der Nachwuchs?

„Warum fehlt der Nachwuchs bei den Medizinern?“ war das Kernthema, wenn der Arzt-Beruf doch der „schönste auf der Welt“ ist, wie alle drei Doktoren auf dem Podium versicherten. Hartwig Kohl malte zunächst ein Szenario an die Wand, in dem die wohnortnahe ärztliche Versorgung in den nächsten zehn Jahren einfach nicht mehr existiert, in dem man längere Wege in Kauf nehmen muss und auch dann nicht unbedingt zum Arzt seiner Wahl gehen kann. Damit dies nicht so passiert, müsse das System geändert werden, und da Gesundheitspolitik in Berlin gemacht werde, will er da hin. Denn: Im Norden des Landkreises stehen erste Praxen leer, die Aktiven in der Gesundheitsbranche arbeiten gut, aber mehr und mehr am Limit, Krankenhäuser rutschen immer tiefer in die roten Zahlen. Schuld daran ist die Überregulierung, die das System zu einem intransparenten Bürokratiemonster gemacht hat, so Kohl. Und dem wiederum liegt seiner Meinung nach eine finanzielle Problematik zu Grunde.

Mit einer Zahlenjonglage untermauert er seine Theorie: Die gewaltige Summe von 175 Milliarden Euro wurde 2010 im Gesundheitssektor umgesetzt. Davon gingen allein zehn Milliarden an die Verwaltung der Krankenkassen. Die niedergelassenen Ärzte erhielten lediglich 27 Milliarden von dem großen Kuchen. „Solche Summen wecken aber Begehrlichkeiten bei großen Unternehmen“, erklärt Kohl die Tatsache, dass die AGs und Kapitalgesellschaften auf den Gesundheitsmarkt drängen. Denen aber gehe es nicht um die Daseinsvorsorge im Medizinbereich, sondern um Gewinnmaximierung. Im Gegensatz zur kleinen Praxis, die sich eben tragen muss, wollen die Konzerne ja Rendite erwirtschaften, haben also ein gänzlich anderes Ziel vor Augen. In den neuen Medizinischen Versorgungszentren werden also vordringlich „lukrative“ Krankheiten behandelt, nicht der Mensch.

Dieser Entwicklung wollen die Freien Wähler mit einem komplett anderen System entgegenwirken: So soll ihrer Meinung nach eine breitere Einnahmebasis entstehen, indem alle Einkünfte für eine soziale Gesundheitsversicherung herangezogen werden, während die Private Krankenversicherung bestehen bleibt und nicht wie im Rot-Grünen Entwurf abgeschafft wird. Die Grundversicherung müsse jede notwendige Versorgung anbieten, zusätzlich könnten noch „individuell gestaltete Zusatzleistungen“ der einzelnen Versicherungen gebucht werden. Auf diese Weise werde die Konkurrenz unter den Anbietern gestärkt, so Kohl. Die Pflichtversicherungsgrenze solle dabei komplett entfallen. Eine Erklärung dafür, in welcher Weise durch diesen höheren Einnahmenfaktor die Ärzte profitieren und so sich auch auf dem Land wieder niederlassen sollen, hätte den Rahmen des Vortrags wohl gesprengt. Dass ihnen eine einheitliche Gebührenordnung, wie sie die Freien Wähler zudem fordern, entgegen käme, wurde allerdings in der anschließenden Diskussion mehr als deutlich.

KV als Geldverteiler

Ilka Enger stellte die KVB als einen Zusammenschluss von Ärzten dar, der eigentlich die Macht der Krankenkassen brechen wollte, vom Staat aber daran gehindert würde – Stichwort „Budgetierung“. Horst Seehofer sei es damals gewesen, der fand, dass das Gesundheitssystem zu viel Geld koste, und die Ausgaben der Ärzte zum großen Teil auf deren Kosten deckelte. Dass der KV hierbei der Schwarze Peter als „Geldverteiler“ zufalle, hindere sie daran, ein echter Standesvertreter der Mediziner zu sein. Man wolle aber künftig wieder mehr die Interessen der gebeutelten Doktoren vertreten, die sich im Gesetzes- und Gebührendschungel längst nicht mehr auskennen. Sie appellierte sowohl an die Ärzte als auch an die Patienten, bei den Krankenkassen hartnäckig zu sein, wenn es um die Bezahlung von Leistungen oder Medikamenten geht.

Hier hakte Dr. Heidenreich ein mit der provokanten Bemerkung, er hätte großes Verständnis für deutsche Ärzte, die ins berechenbarere Ausland gingen. Mindestens drei Mal täglich müsse er die Hotline der KV anrufen, um zu erfragen, ob er ein bestimmtes Medikament verschreiben dürfe. Dabei erhalte er dann meist intransparente Auskünfte, entweder dehnbare Formulierungen („Wenn es wirklich benötigt wird“) oder ihm wird die Erstattung zugesagt, hinterher aber doch auf das Budget angerechnet mit der Begründung, zwischenzeitlich hätten sich die Bestimmungen geändert. Nach wie vor führe dieses Verhalten dazu, dass die Ärzte sich verschulden, weil sie – ohne das vorher absehen zu können – ihr „Konto überziehen“ und auf den Ausgaben sitzen bleiben.

„Ein Bürokratiemonster“

Obwohl auf der Seite der Angeklagten, stimmte Ilka Enger dem Arzt zu. „Ja, das ist ein Bürokratiemonster, wir haben uns dagegen zu wenig gewehrt.“ Gegen das Totschlagargument, die Beiträge müssten stabil gehalten werden, könnte sich die KV bei den Kassen, mit denen sie zusammen die Gelder verteilen sollte, einfach nicht durchsetzen. „Dabei machen die Mordsgewinne“, lautete ein Einwand aus dem Publikum, der heftigen Beifall von allen Seiten erhielt. Noch hitziger gestaltete sich die Diskussion, als es um die besonderen Strukturen des Notarztsystems in Bayern ging. Das hat durch die jüngste gesetzliche Überarbeitung dazu geführt, dass Ärzte in manchen Fällen für die Behandlung akuter Fälle, denen keine Klinik-Einweisung folgt, kein Geld erhalten, oder dass sie unter Umständen noch für die Erlaubnis, Dienste zu machen, in Zukunft etwas zahlen sollen – wir berichteten. Auch wenn dies ein speziell bayerisches Problem ist: Um auch hier in Zukunft verlässliche Rahmenbedingungen schaffen zu können, müsse er als Freier nach Berlin, machte Hartwig Kohl in der Expertenrunde noch einmal deutlich.

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