Notfallseelsorger im Großeinsatz

Viele Ersthelfer in Lillinghof wurden von Notfallseelsorgern betreut. Das Foto zeigt die ersten Minuten nach dem Unglück2010/09/flugtag_lillinghof_2.jpg

LILLINGHOF/OTTENSOOS/OBERFERRIEDEN — „Reden, reden und nochmals reden. Das hilft am meisten“, sagt Ernst Klier, einer der acht Notfallseelsorger, die am Sonntag nach dem Unglück in Lillinghof vor Ort waren. Der Pfarrer aus Oberferrieden und sein Ottensooser Kollege Albrecht Kessel leisteten den Verletzten sowie den traumatisierten Besuchern und Helfern auf dem Flugplatz Beistand.

Es ist kurz nach drei Uhr am Sonntagnachmittag, als Pfarrer Ernst Klier am Handy von der Rettungsleitstelle Nürnberg über die dramatischen Ereignisse in Lillinghof informiert wird. Die Notfallseelsorger im Nürnberger Land kooperieren seit drei Jahren eng miteinander, Klier hat an diesem Wochenende Bereitschaft. Er greift als Erstes selbst zum Hörer und ruft Albrecht Kessel in Ottensoos an, „denn er war näher am Unglücks­ort und konnte schneller dort sein als ich“, erklärt Klier.

Zunächst waren von der Rettungsleitstelle nur zwei Notfallseelsorger angefordert worden, doch nach einem kurzen Telefonat mit Diakon Andreas Stahl aus Nürnberg, der alle Seelsorger koordiniert, ist klar, dass mehr Leute gebraucht werden. Acht sind am Ende vor Ort.

Als Pfarrer Albrecht Kessel dort eintrifft, wird er von der Einsatzleitung sofort zu mehreren Verletzten gebracht. „Ich habe mich den Leuten nur kurz vorgestellt und gesagt: ,Sie waren dabei?‘ und schon haben sie angefangen zu reden“, berichtet der Ottensooser Pfarrer am Tag nach dem Unglück.

Der Redebedarf ist groß. Aus den meisten sprudeln die Worte nur so heraus. Sie erzählen, wie sie den Unfall erlebt haben, wo sie standen, als das Flugzeug in die Menschenmenge krachte, und schildern dramatische Szenen, die sich dort abspielten. „Diese Menschen haben tiefe Eindrücke gewonnen, die sie zum Teil kaum in Worte fassen können“, sagt Pfarrer Kessel. Einige sind völlig aufgelöst, nervös, zittrig, total durcheinander, andere fangen gerade an, das Erlebte zu verarbeiten, und sagen, wie dankbar sie sind, nur mit ein paar Blessuren davongekommen zu sein.

Ernst Klier trifft etwa 45 Minuten nach der Alarmierung auf dem Flugplatz ein. Noch immer herrscht ­„Chaos“, wie er später erzählt. Die Verletzten sind zum größten Teil schon in Krankenhäuser gebracht worden, die Angehörigen sind mitgefahren. Nun gilt es, Augenzeugen und Ersthelfer zu versorgen. „Die Leute waren geschockt, traumatisiert, sie mussten unbedingt reden.“ Einige hatten Todesangst erlebt, waren davongelaufen und kommen jetzt zum ersten Mal nach dem Unglück zur Ruhe. „Wenn ich weiß: Ich stand nur zwei Meter daneben, dann macht das schon etwas mit einem“, erzählt der Geistliche.

Die Feuerwehr hat Ecken abgeschirmt, wo sich die Leute hinsetzen und unterhalten können. Das THW Lauf hat eine Notfallrufnummer eingerichtet, unter der Anrufe von Angehörigen entgegengenommen werden. In einem Kommunikationskraftwagen haben sie dafür eigens einen isolierten und ruhigen Arbeitsplatz geschaffen. In der Halle ist ein Stützpunkt errichtet worden, an dem die Besucher Zuflucht und Ansprechpartner finden.

Die Aufgabe der Seelsorger ist jetzt vor allem Zuhören: „Die Leute reden lassen, sich Zeit für sie nehmen, Nähe vermitteln und ihnen zeigen, dass jemand für sie da ist“, fasst Klier zusammen. Auch das soziale Netzwerk muss wieder hergestellt werden. Freunde und Angehörige werden in die Gespräche einbezogen. „Die Betroffenen müssen wissen, dass sie mit dem Erlebten nicht alleine gelassen werden.“

Immer wieder werden die Notfallseelsorger von den Sanitätern und Feuerwehrleuten auf weitere Personen hingewiesen, die offensichtlich Hilfe brauchen. Vor allem die Ersthelfer, normale Besucher des Flugtages, die sich nach dem Unglück um die Verletzten gekümmert haben, sind stark traumatisiert. „Erst wenn der Einsatz abflaut, wird ihnen klar, was gerade passiert ist. Bis dorthin haben sie nur funktioniert und sind gar nicht zum Nachdenken gekommen“, erklärt Kessel.

Etwa dreieinhalb Stunden nachdem er in Lillinghof eingetroffen war, verlässt Pfarrer Kessel den Unfallort. Die Unglücksmaschine, die immer noch mitten auf dem Gelände steht, hat er erst spät bemerkt. Zu sehr war er auf die Gespräche mit den Menschen konzentriert. Jetzt fährt er ins Laufer Krankenhaus, wo er in die Notaufnahme zu weiteren Verletzten gerufen worden ist. Etwa eine Stunde später ist seine Arbeit auch hier getan.

„In dieser Größenordnung habe ich noch nichts erlebt“, sagen die Geistlichen am Tag nach dem Unglück gegenüber der PZ. Als Seelsorger haben sie schon viel Erfahrung zum Beispiel bei schweren Autounfällen gesammelt. Doch auch für sie war ein solches Unglück neu. Auch die Pfarrer müssen ihre  Eindrücke jetzt verarbeiten. „Dadurch, dass ich nicht unmittelbar beim Unfall dabei war, kann ich das Ganze mit einem gewissen Abstand betrachten“, sagt Pfarrer Kessel. Er sucht genau wie Ernst Klier das Gespräch mit Angehörien, Freunden und Kollegen. Klier versucht sich zudem mit Sport abzulenken. „Mit den Schilderungen der Menschen und der Atmosphäre die man erlebt hat, muss man auch als Notfallseelsorger erst einmal zurechtkommen“, fügt er hinzu. „Natürlich hilft mir da auch mein Glaube sehr viel.“

Auch einen Tag nach dem Unglück war die Arbeit der Notfallseelsorger noch nicht getan. Dekan Andreas Stahl nahm am Montag an einer Besprechung in Lillinghof teil, in der es auch um die weitere Betreuung von Betroffenen ging.

Hilfe nach belastenden Lebensereignissen

In Lillinghof wurden am Sonntag Flugblätter verteilt. Es enthält Tipps, wie man nach einem traumatischen Ereignis am bestem mit dem Erlebten umgeht. Hier der Inhalt des Faltblattes:

Häufige Reaktionen

Nach einem außergewöhnlichen Ereignis können folgende Reaktionen auftreten, die durchaus normal sind:

Seelische Beschwerden:

Trauer; Wut; Angst, Panik; Schlafstörungen; Anspannung, Nervosität; Hilflosigkeit, Schuldgefühle; Konzentrationsschwierigkeiten; aufdrängende Erinnerungen.

Körperliche Beschwerden:

Kopfschmerzen, Übelkeit; Herzrasen, Schwindel; Zittern, Erschöpfung.

Was kann ich für mich selbst tun?

In belastenden Situationen ist es wichtig, vermehrt auf sich und seine Bedürfnisse zu achten: Sich Aktivitäten zuwenden, die normalerweise gut tun (z. B. Sport, Gartenarbeit, Spaziergänge, Aufräumen…; zusätzlich belastende Situationen vermeiden; sich Ruhe gönnen; eigene Gefühle und Ängste akzeptieren; möglichst bald den Alltag wieder aufnehmen, ohne sich zu überfordern; sich bewusst etwas Gutes tun; Kontakt zu nahestehenden Menschen suchen; über die eigene Situation sprechen.

Was kann ich als Angehöriger tun?

Zuhören und für den Betroffenen da sein; Gefühle ernst nehmen; ungewohnte Reaktionen akzeptieren; auf Fähigkeiten und Stärken des Betroffenen achten; zusammen aktiv sein; Hilfestellung im Alltag geben; über eigene Gefühle berichten, z. B. Unsicherheit, Trauer.

Was sollte ich vermeiden?

Ratschläge und schnelle Lösungen geben; den Betroffenen meiden oder ihn mit Zuwendung überschütten; die Situation verharmlosen.

Geben Sie dem Betroffenen Zeit, das belastende Ereignis zu verarbeiten. Falls Sie das Gefühl haben, Ihre Unterstützung reicht nicht aus, scheuen Sie sich nicht, auf professionelle Hilfe zurückzugreifen. Wenn sich Ihre Beschwerden nach sechs Wochen nicht verringern oder Sie das Gefühl haben, mehr Unterstützung zu benötigen, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Wichtige Telefonnummern:

Krisendienst Mittelfranken: 0911/4248550; www.krisendienst-mittelfranken.de; Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 18 bis 24 Uhr; Freitag 16 bis 24 Uhr; Samstag, Sonntag und Feiertag 10 bis 24 Uhr.

Telefonseelsorge, 24 Stunden erreichbar: 0800/1110111 oder 1110222

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