RÖTHENBACH — Es gibt wenige Momente, in denen Robert Hébras nicht an den 10. Juni 1944 denkt: Bei dem Massaker von Oradour in Frankreich wurden 642 Menschen bestialisch von der Waffen-Schutzstaffel ermordet – er ist einer von nur sechs Überlebenden. Am Gymnasium in Röthenbach hat der Zeitzeuge zu Schülern gesprochen und bereitwillig viele Fragen beantwortet.
Die kleine Aula des Geschwister-Scholl-Gymnasiums war komplett gefüllt, als sich Robert Hébras etwa eineinhalb Stunden Zeit für die Elftklässer und die Französisch lernenden Schüler der zwölften Stufe nahm. Er erzählte von seinen tragischen Erlebnissen und beantwortete ausgiebig Fragen der Schüler. Als Übersetzerin fungierte Raphaela Rauh, Fachbetreuerin für Französisch.
An dem Tag, als deutsche Truppen in das kleine Dorf in der französischen Region Limousin einfielen und dieses komplett auslöschten, hat für Hébras ein völlig neues Leben begonnen. Bei dem Massaker wurden seine beiden Schwestern, damals 22 und neun Jahre alt, und seine 45-jährige Mutter zusammen mit mehreren hundert anderen Frauen und Kindern in der Dorfkirche verbrannt. Die Männer wurden in Scheunen zusammengetrieben und erschossen.
Überlebt hat der heute 87-Jährige, weil er unter den toten Körpern anderer Menschen lag und so den Schüssen entkam. Aus Hébras Familie schaffte es außer ihm lediglich noch sein Vater, der sich an diesem Tag nicht in Oradour aufhielt, den Deutschen zu entkommen. Von den sechs Überlebenden des Angriffs auf das kleine französische Dorf – fünf Männer und eine Frau – leben nur noch zwei: Robert Hébras und Jean-Marcel Darthout. Traurige Bilanz: Sie sind auch die beiden Einzigen der Sechs, die ihre Familie bei dem Anschlag verloren haben.
Ganz aktuell war der Besuch von Hébras in den fächerübergreifenden Fränzösisch- und Geschichtsunterricht der Gymnasiasten eingebaut, da am selben Tag im Nürnberger Dokuzentrum die Deutschland-Premiere von „Une vie avec Oradour“stattfand. Eine Dokumentation über das Massaker von 1944 und die Folgen für den heute 87-Jährigen.
Organisiert hatte den Besuch in der Schule die Geschichtslehrerin Sigrid Söldner, zusammen mit anderen Lehrkräften und den Schwaiger Fritz Körber. Dieser ist Bezirksrat, Beauftragter für Regionalpartnerschaften des Bezirks und vor allem Freund von Hébras. Die Beiden lernten sich am 8. Mai 1985 bei einer Gedenkfeier zum 40-jährigen Kriegsende in der Meistersingerhalle in Nürnberg kennen, zu der Hébras damals geladen war. Seitdem verbindet sie eine enge Freundschaft. Körber hat die deutsche Fassung des jetzt vorgestellten Films mitfinanziert.
Als Antwort auf die Frage einer Schülerin, wie der Überlebende zu Deutschland stehe, sagte dieser: „Wir sind alle Menschen aus Fleisch und Blut und auch nach einer tiefen Hassphase sieht man das wieder.“ Und weiter: „Ich mache die Nachgeneration nicht dafür verantwortlich, was damals geschehen ist.“ Nach dem Anschlag auf sein Dorf habe er erst tiefen Hass auf die Deutschen gehegt, die seine Familie und seine Heimat an nur einem Tag auslöschten.
Auch sein Freund Fritz Körber habe ihm geholfen, seine Wut auf die Deutschen zu überwinden, so Hébras. Er sieht es als seine Pflicht an, hierher zu reisen und über die Geschichte von Oradour aufzuklären. Doch selbst heute noch fällt es dem 87-Jährigen schwer, über den heißen Tag im Juni zu reden, als das Dorf in Frankreich – weit weg von allem Kriegsgeschehen – plötzlich überfallen und ausgelöscht wurde.
Lena Müller
kk