Ein Borusse aus Lauf

Jochen Pohl ist durch und durch BVB-Fan. In der Dortmunder Südkurve, die auf dem Bildschirm zu sehen ist, stand der Laufer schon selbst. Dort holte er sich den Borussia-Virus. Foto: Scholz
Jochen Pohl ist durch und durch BVB-Fan. In der Dortmunder Südkurve, die auf dem Bildschirm zu sehen ist, stand der Laufer schon selbst. Dort holte er sich den Borussia-Virus. Foto: Scholz2010/12/12803_New_1292749264.jpg

LAUF — Schwarz-Gelb ist die aktuelle Trendfarbe für Fans der Fußballbundesliga. Eine schwarz-gelbe Fahne hing auch monatelang unübersehbar in einem Garten an der Eschenauer Straße in Lauf — lange bevor die Kloppschen Überflieger von Borussia Dortmund (BVB) zu ihrer traumhaften Vorrunde abhoben. Ein Westfale in der fränkischen Diaspora? Ganz und gar nicht. Sondern ein Franke, der sich schon vor 16 Jahren auf der Südtribüne des alten Westfalenstadions mit dem Borussia-Virus infizierte.

Die Borussia, ja das ist immer ein Thema für Jochen Pohl. Obwohl er natürlich bei der Arbeit an der Laufer Esso-Tankstelle kein schwarz-gelbes Trikot trägt, wissen viele Kunden um seine große Spieltagsliebe. Sieg oder Niederlage, Schuldenstand oder Neuverpflichtungen — es gibt immer etwas zu lästern oder zu gratulieren. Im Moment erfährt er – abgesehen vom Europacup-Aus – nur anerkennendes Nicken. Sein Klub, der BVB, marschiert, hat von 16 Punktespielen 14 gewonnen — das schaffte zuvor in 47 Jahren Bundesliga kein Verein.

Nicht jeder freut sich mit

Aber nicht jeder im Land der Club- und Bayernfans freut sich mit ihm. Zwei schwarz-gelbe Fahnen aus seinem Vorgarten wurden ihm nachts gestohlen, deshalb ist der Mast ausgerechnet jetzt, in Zeiten des Hochgefühls, nackt. Der 40-Jährige ärgert sich: „Das Seil wurde durchgeschnitten und ich habe die Diebe noch weglaufen sehen“, erzählt er sauer. Am schlimmsten für ihn: „Eine davon war meine Meisterfahne von 1995.“

Mit ihr feierte er am 17. Juni 1995 unter einer halben Million Dortmunder Fans am 652 Kilometer von Lauf entfernten Borsigplatz die erste Meisterschaft der Westfalen seit 32 Jahren. Was der heimische 1. FC Nürnberg damals im Tabellenkeller der 2. Liga fabrizierte, war kein Vergleich. Aber Club- oder Bayernfan zu sein, war für Pohl ohnehin nie ein Thema. „Eher noch Schalke oder damals auch 1860 München“, sagt er.

Dann aber kam der Zufall ins Spiel. Ein befreundeter Deutsch-Italiener hatte Karten für das alte Westfalenstadion: Uefa-Cup-Achtelfinale Dortmund gegen La Coruna im Dezember 1994. Er fuhr hin und jubelte in der alten Südtribüne mit 16 000 Dortmundern. „Einmal da drin stehen, dann versteht man“, sagt er nur und meint damit: Er wollte unbedingt dazugehören zu diesen tollen Fans.

Genau begründen kann er das nicht. „Du musst im Stadion gewesen sein“, sagt er nur. Und zeigt zum Beweis für seine Worte in seinem schwarz-gelb dekorierten Wohnzimmer ein Video über die durchaus wechselhafte Geschichte der Borussia. Die entscheidenden Szenen dabei: der Blick auf die schwarz-gelbe Wand, die Südkurve, in der nach dem Umbau sogar 24 500 Kehlen die Hymne „Leuchte auf mein Stern Borussia“ lauthals singen.

Man müsse genauer hinschauen und entdecken, dass es in Dortmund tatsächlich sehr familiär zugeht. Ein Großvater mit seinem Enkel und überdimensionaler BVB-Fahne sei dort kein seltener Anblick.

Zudem empfindet er die Fans weniger als Fanatiker und mehr als Kumpel, die selbst Bayern-Fans oder den ehemaligen Schalke-Fan Jochen Pohl schulterklopfend willkommen heißen — und Schalker sind Dortmundern eigentlich so spinnefeind wie Nürnberger den Fürthern.

Grund genug für den Laufer, vier Mal im Jahr durch ganz Deutschland zu einem Heimspiel seines Klubs zu fahren, zuletzt allerdings aus Zeitmangel nicht mehr so oft. An Karten zu kommen für die oft mit 80 000 Fans ausverkaufte reine Fußball-Arena ist für ihn als Vereinsmitglied nicht schwer. 1998 trat er bei und auch eine BVB-Aktie zählt er zu seinen wichtigsten Besitztümern.

Jetzt, da der Kurs hoch steht, ist es nichts Ungewöhnliches, dass Dortmund in ganz Deutschland Fans hat. Aber Pohl hielt auch in den schlechteren Jahren dazwischen — abgesehen vom Meistertitel 2002 — die schwarz-gelbe Fahne hoch: sichtbar, hoch zu Mast in seinem Garten.

„Du musst schon auch leidensfähig sein“, sagt er, wenn er bei der Erinnerung an denkwürdige Spiele, die er live gesehen hat, auf das 2:6 bei Bayern München im November 2000 kommt. Oder auf die hohen Schulden und weniger erfolgreiche Trainer als früher Ottmar Hitzfeld und aktuell Jürgen Klopp. Meistens gab es aber Grund zu feiern. Immerhin war Pohl dabei, als der BVB 1995 im letzten Spiel gegen den HSV die Meisterschaft perfekt machte oder als Schwarz-Gelb 1997 in München die Champions League gewann.

Ob er im Mai wieder zu einer Meisterfeier „hochfährt“ und am Borsigplatz der Mannschaft und seinem Idol „Susi“ Zorc, Sportdirektor und Borussenrekordspieler, zujubelt, wagt er noch nicht vorauszusagen. Gegenüber Bayern dürfte, so glaubt er, bei aktuell 17 Punkten Vorsprung nichts mehr anbrennen, aber Leverkusen sei trotz drei Siegen Vorsprung noch nicht abgehängt. Sollte der BVB Meister werden, dann ist er auf jeden Fall live dabei — soviel steht schon einmal fest.

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