Ein Todkranker nimmt in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch

Die letzte Reise, all inclusive

Peter Schwarz legt seine Hand über die seiner Frau Maria. Als das Foto aufgenommen wurde, fühlte sich Peter Schwarz dank der Medikamente gut. Er aß ein Stück Kuchen, trank Kaffee. Vor seinem Teller: Dieser Vogel. Warum ihm der wichtig ist, konnte er nicht sagen. Aber er wird ihn mitnehmen auf seiner letzten Reise in die Schweiz
Peter Schwarz legt seine Hand über die seiner Frau Maria. Als das Foto aufgenommen wurde, fühlte sich Peter Schwarz dank der Medikamente gut. Er aß ein Stück Kuchen, trank Kaffee. Vor seinem Teller: Dieser Vogel. Warum ihm der wichtig ist, konnte er nicht sagen. Aber er wird ihn mitnehmen auf seiner letzten Reise in die Schweiz2013/04/Sterbehilfe.jpg

HERSBRUCK – Er nennt sie Biester. Sie sitzen in seinem Kopf, unterm Schulterblatt, in den Knochen, sie haben die Wirbelsäule an zwei Stellen zerfressen. Auf 50 haben sie sich jetzt vermehrt, der Schmerz der Metastasen ist nur mit Morphium erträglich. Und dennoch: Peter Schwarz sieht nicht aus wie ein todkranker Mann. Er sitzt auf einem Stuhl, plaudert, sinniert, lacht. Aber seine Lebenserwartung liegt bei drei, vier, fünf Monaten. Diese Erwartung will er nicht mehr erfüllen, weil er in den nächsten Wochen unweigerlich zum Pflegefall wird. Er hat sich einen Tag ausgesucht, an dem er Schluss machen wird. Am 28. April fährt er in die Schweiz. Dort wird er ein starkes Betäubungsmittel trinken. Dann wird er sterben.

Peter Schwarz ist nicht der richtige Name des 63-Jährigen, er wohnt in der Hersbrucker Schweiz, er ist verheiratet mit Maria, auch sie möchte lieber anonym bleiben. Für Peter Schwarz begann das Ende seines Lebens mit Schilddrüsenkrebs, der geheilt werden konnte. Dann tauchte der Krebs an der Prostata auf, das war vor etwa zwei Jahren. Jetzt hat der Krebs seinen Körper erobert.

Natürlich haben er und seine Frau gekämpft. „32 anstrengende Bestrahlungen, dann die Chemo, nach der es mir so dreckig ging, dass ich sie abgebrochen habe.“ Seiner Frau Maria fällt es schwer zu schweigen. „Aber wer weiß“, unterbricht sie ihn, „vielleicht ginge es dir ohne die Bestrahlung jetzt schon viel schlechter“, es ist die Hoffnung auf ein paar Tage, Wochen, Monate länger mit ihm. Maria trägt die Entscheidung mit. Aber sie fällt ihr unendlich schwer.

Angst vor den Gefühlen

Ganz offen zoffen sich die beiden am Tisch, aber es ist der Streit zweier, die sich doch einig sind und die schon viele Streitereien ausgelebt haben. Auch für Maria ist klar, dass eine weitere Chemo-Behandlung ihren Mann unendlich leiden lassen würde. „Wir haben die Nebenwirkungen gesehen, Nekrose im Kiefer. Fleisch im Körper stirbt dann ab.“ So möchte Peter Schwarz nicht gehen. Und so will ihn auch seine zehn Jahre jüngere Frau nicht gehen lassen. Sie akzeptiert seine Entscheidung, aber sie hadert. Er: „Es ist unwürdig für mich, wenn sie mir in ein paar Monaten den Hintern wischen muss. Da trinke ich lieber den Becher. Das ist ein Klacks.“ Sie erwidert, ziemlich trocken: „Das glaube ich nicht.“

Das mit dem „Klacks“, das glaubt Peter Schwarz auch nicht wirklich. Der frühere Ingenieur hat zwar seinen Sterbetermin gesetzt, aber er weiß auch, dass er jederzeit von seinem Vorhaben abrücken kann. Und er hält es auch noch für möglich, „nämlich dann, wenn ich merke, dass Feigheit in mir hochkommt“. Angst vor dem Tod sei es nicht, er hat Angst vor den Gefühlen, vor Tränen, vor dem Weinen. Angst davor, dass die Gefühle ihm den Mut nehmen.

Geglaubt hat Peter Schwarz im christlichen Sinne noch nie, „ich werde nicht demütig auf einem Schemel vor einem weißhaarigen, bärtigen Mann sitzen“. Als er das kürzlich zu einem Pfarrer sagte, habe der sehr irritiert reagiert – was Schwarz vor Vergnügen sich auf die Schenkel klopfen lässt. Vielmehr freue er sich darauf, dorthin zu kommen, wo er vor seiner Geburt war: „Im Nichts. Das tröstet mich.“

Bei seiner christlich-gläubigen Frau ist es der Glaube an die Ewigkeit, der ihr Halt gibt – eine Vorstellung, die für Peter Schwarz nur eines ist: „Horror. Ich bin dann Teil eines Nichts.“ Ich? Was passiert seiner Meinung nach mit dem Ich? „Das gibt es nicht mehr. Das ist, wie wenn Sie das Licht ausschalten, das ist dann auch weg.“

Die Metastasen sitzen im Kopf, eine schränkt seinen rechten Arm bereits ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, in der seine Selbständigkeit verschwinden wird. Was er seiner Frau und seinem 20 Jahre alten Sohn mit der Entscheidung, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, antut, ist ihm bewusst: „Es wird furchtbar schlimm für sie werden.“ Für Maria Schwarz ist es das bereits. „Wenn ich mir überlege, dass du in 14 Tagen nicht mehr da bist…“, sie haut ihm zärtlich gegen den Oberarm, sie weint nicht. Sie sagt: „Als ich früher Menschen sah, die einfach nicht sterben konnten und nur noch gepflegt werden mussten, da war ich der Meinung: So möchte ich nicht enden. Aber jetzt betrifft es meinen Mann, es ist anders.“ Sie schaut ihn an, wie er da sitzt, Kaffee trinkt, Kuchen isst. „Ich denke mir so oft: Es geht ihm doch noch gut, wir lachen doch noch miteinander, er gibt mir doch noch immer Ratschläge.“ Natürlich weiß sie, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird, dass ihr Mann vermutlich bald ein Pflegefall sein wird.

Aber wer will von dieser Frau Weitsicht erwarten, wo sie doch seine Tage zählt.
Peter Schwarz erwartet viel von seiner Frau. Am 28. April wird sie als Ehefrau mit ihm, seinem besten Freund und ihrer Schwester in die Schweiz fahren und als Witwe wieder zurückkommen. „Ich fahre mit dir weg und komme alleine wieder heim“, sagt sie zu ihm, um es noch einmal zu bekräftigen. Was das Paar eint, ist ein rabenschwarzer Humor. Peter Schwarz: „Ich weiß, und deshalb werde ich meine Todesstunde auch so wählen, dass du im Hellen wieder zurück bist. Und außerdem muss der Hund gefüttert werden“, beide lachen lauthals.

„Ich verwalte seinen Tod“

Sie ist jetzt die große Organisatorin, „ich plane und verwalte seinen Tod“. Unmengen an Papieren sind für die Sterbehilfe bei Ex-International nötig, die Organisation, für die sie sich entschieden haben. Das Beibringen von Geburtsurkunde oder Heiratsurkunde hat auf der Gemeinde natürlich für Nachfragen gesorgt. „Was hätte ich sagen sollen? Dass mein Mann in die Schweiz fährt und sich umbringt? Genau das habe ich getan. Was sollte ich sonst tun?“ Pragmatisch, zupackend, bodenständig, das ist genau der Eindruck, den diese Frau von sich zulässt. Wie es genau in ihrem Inneren bestellt ist, wissen nur wenige. Wie eine Freundin, die mit am Tisch sitzt. „Wir wissen, wie beschissen es dir geht“, sagt sie ernst.

Peter Schwarz ist „sehr stolz“ auf seine Frau. Sie ist die große Liebe seines Lebens, auch wenn beide einmal getrennt waren. Wieder so ein Moment, wo beide aus tiefster Seele lachen ob der Scheidung damals, was für ein Unsinn. Nach der zweiten Hochzeit haben sie eine riesengroße Party gemacht.

Sein geplanter Freitod lässt die beiden nun in Situationen gleiten, in denen sie sich anschreien, „es ist ein Gefühlskarussell“. Denn Peter Schwarz hätte gerne noch länger gelebt. „Ich freue mich nicht, ich gehe nicht leichten Herzens.“
Doch ihm ist wichtig, selbst die Entscheidung zu treffen, welches Leben für ihn noch lebenswert ist. „Es ist genau dieser freie Geist, in den ich mich damals verliebt habe und den ich immer noch liebe“, diagnostiziert Maria Schwarz. Er sagt: „Ich wollte schon immer wissen, wann ich sterbe“, sie murmelt „jaja, Selbstkontrolle bis zum Schluss“. Eins kontrollieren kann er nicht, nämlich „die Sorge um meine Frau“.

Er weiß punktgenau, was ihn am 28. April erwartet. Zunächst wird er sich von seinem Sohn und seinem Hund verabschieden. In der Schweiz beziehen sie ein Hotel, ein Ex-International-Mitarbeiter kümmert sich um sie. Ärztlicherseits ist bereits alles abgeklärt. Am nächsten Tag erhält er von einem Arzt das Rezept für das Medikament, das er sich in der Apotheke besorgt. Schwarz überwies Ex-International dafür eine Spende von 150 Euro, Geld wollen die Mitarbeiter nicht verdienen. In von der Organisation angemieteten Räumen wird er dann das Medikament aufgelöst in Wasser trinken. Wenn er gestorben ist, kann seine Frau so lange von ihm Abschied nehmen, wie sie möchte.

Vor zwei Monaten wurde mit demselben Medikament einer seiner Hunde eingeschläfert. „Ich habe geweint.“ Seine Frau hielt den Hund im Arm. „Ich wusste da genau, was er denkt. Aber auch ich musste mir vorstellen, wie es ist, wenn ich meinen Mann…“, sie spricht nicht weiter, richtet sich auf, „der Hund ist friedlich eingeschlafen“.

Seine letzte Reise hat Peter Schwarz gut durchgeplant. Sie witzelt, es werde eine „all inclusive-Reise“. Er muss lachen, weil es stimmt. Die Organisation kümmert sich um das Beerdigungsinstitut, das Peter Schwarz’ Leichnam einäschern wird. Die Urne wird Maria Schwarz vorerst in der Schweiz lassen, „die hole ich dort ab, wenn ich wieder Kraft dazu habe“.

Kurz vor dem 28. April feiert Peter Schwarz noch einmal Geburtstag. „Wir haben an diesem Tag ein offenes Haus. Jeder kann kommen, um sich zu verabschieden.“ Und wieder blitzt er raus, der rabenschwarze Humor: „Was, wenn mir jemand Gesundheit und ein langes Leben wünscht?“, er schüttelt sich vor Lachen, seine Frau fällt mit ein.

„Immer einen freien Willen“

Zu seinem Abschied aus dem Leben gehört auch ein Blick zurück. Ein „hätte ich doch nur“ hat er nicht gefunden. Jetzt vermisst er seinen Garten sehr, das riesige Stück Land, das er täglich gepflegt hat. „Ich schaff’s ja nicht mal mehr zum Fenster, um ihn mir anzusehen.“ Die Frage zu stellen, was er vermisse, wenn er tot ist, ist töricht, er hört sie aber immer wieder. Seine Antwort ist die eines Geistesmenschen: „Ich bin ja tot. Was also soll ich vermissen? Wichtig ist nur, dass ich Friede hinterlasse.“ Seine Frau: „Es ist alles erledigt. Er hat sogar seine Trauerrede selbst geschrieben.“ Peter Schwarz: „Und es darf auch sonst keiner reden – wenn einer Stuss erzählt, dann bin ich das.“

Was ihn tröstet ist das Leben, das er bis jetzt leben durfte. „Ich habe große Freude erlebt und große Schlappen eingesteckt. Es war ein ausgeglichenes Leben. Ich hatte immer etwas mehr, als ich brauchte, und immer etwas weniger, als ich gewollt habe. Und ich war immer ein freier Geist, ich hatte immer einen freien Willen.“ Jetzt rollt sie wieder die Augen: „Klar – was hat der mich manchmal auflaufen lassen!“ Er blickt sie liebevoll an. „Ich mach’ mir Sorgen um Maria. Die wird noch gescheit auf mich schimpfen.“

Maria Schwarz weiß, dass viel auf sie zukommt. Denn da ist noch der Sohn. „Er sagt, er verstehe es. Aber es wird wohl erst später hochkommen, was da passiert.“ Sie blickt ihren Mann an. „Das ist dann meine Aufgabe.“

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