Wem erzählt der Fußballprofi, dass er schwul ist?

Margarita Kröll hat in den vergangenen 25 Jahren für einfache Hausfrauen ebenso in die Karten geschaut wie für Professoren, Sportler, Journalisten und Ärzte.
Margarita Kröll hat in den vergangenen 25 Jahren für einfache Hausfrauen ebenso in die Karten geschaut wie für Professoren, Sportler, Journalisten und Ärzte.2011/02/margarita.jpg

ALTDORF – Wie muss man sich einen Menschen vorstellen, der ein Vierteljahrhundert lang für andere Leute in die Tarot-Karten schaut und ihnen Ratschläge gibt, wie sie ihr Leben am besten gestalten? Wir haben in Altdorf Margarita Kröll besucht, die seit Mitte der achtziger Jahre als professionelle Kartenlegerin arbeitet und weit über die Region hinaus bekannt ist.
Margarita Kröll ist hellsichtig. Das sagt sie, und das sagen ihre Klienten, die sich bei ihr Rat holen. Seit ihrer Kindheit habe sie diese Gabe, erzählt sie uns, vor 25 Jahren hat sie die zur Profession gemacht und verdient Geld mit der Beratung anderer Menschen. So nennt sie das, wenn sie für ihre Kunden in die Karten schaut und ihnen erläutert, welche Geheimnisse das Tarot-Blatt für sie bereit hält.

Dass Hellsichtigkeit nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine Bürde sein kann, musste die kleine Margarita in der Klosterschule erfahren. „Wenn ich damals von meiner Fähigkeit erzählt hätte, wäre ich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gelandet“, ist sie sich heute sicher. Als Kind schwieg sie, erstaunt über das, was ihr möglich war. Intensiv auseinandergesetzt hat sie sich mit ihrer Gabe erst ab 1985, nach einer schweren, lebensbedrohenden Erkrankung.

Margarita Kröll erzählt gern, streift die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend in der Klosterschule, die Rolle der evangelischen Kirche im Leben der jungen Katholikin und ihr Interesse für feministische Theologie. Kartenlesen, die Zukunft im Kaffeesatz oder in der Handfläche sehen, das gab es schon in Margaritas Familie. Ihre Großmutter, erzählt sie, habe ebenfalls hellsichtige Fähigkeiten gehabt.

Wie wird man also professionelle Hellseherin und Kartenleserin? Bei Margarita Kröll war das ganz einfach. Sie setzte sich vor 25 Jahren einfach mit Freundinnen zusammen und las für sie aus den Tarot-Karten. Nachdem die ganz begeistert waren und der Kreis der Leute immer größer wurde, die sich von ihr im exakten Sinn des Wortes in die Karten schauen lassen wollten, meldete die Altdorferin einfach ein Gewerbe an. Nun ist sie seit einem Vierteljahrhundert im Geschäft, hat Professoren und Fußballspieler daheim am Tisch sitzen gehabt, einfache Hausfrauen und Schauspieler, die man aus Fernsehserien kennt, Ärzte, einen Journalisten vom Spiegel und Models.

Was treibt diese Menschen, sich einer wildfremden Frau regelrecht auszuliefern? Was erwarten die Leute? Die Kartenleserin lächelt, nimmt einen tiefen Zug von ihrem Zigarillo und schaut mit blitzenden grünen Augen durch den Tabakrauch. Teuflische Augen seien das, hat ihr einmal eine ihr nicht sehr wohlgesonnene Lehrerin an der Klosterschule gesagt. Jetzt blicken sie alles andere als teuflisch, es sei denn, man stellt sich den Teufel als schlauen Schalk vor.

Warum die Leute also kommen? Viele wollen einfach nur reden. Über Dinge, die sie mit niemandem sonst besprechen können. „Wem kann denn der Fußball-Profi sagen, dass er schwul ist?“ Er sagt es Margarita Kröll, kann sich für eine Stunde oder zwei, wieviel Zeit er auch immer buchen will, alles von der Seele reden. 

Aber sollten Menschen in schwierigen Situationen nicht zu ausgebildeten Spezialisten gehen, die ihnen helfen können, zu Ärzten oder Psychologen? Sicher, sagt die Kartenleserin. „Ich bin keine Therapeutin und mache keine Therapie. Wenn ich sehe, dass jemand Hilfe von einem Psychologen oder Arzt braucht, dann schicke ich den- oder diejenige dahin.“ Im übrigen könne die von ihr angebotene Lebensberatung mit Blick in die Karten nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Den Kunden kostet das 80 Euro für die einstündige Sitzung. Viele seien so zufrieden, dass sie sich als Stammkunden regelmäßig melden, erzählt uns die Altdorferin und kommt auf den jungen Filmschauspieler zu sprechen, der seine Tante fragte, ob die denn nicht eine Wahrsagerin kenne, die für ihn in Zukunft schauen könne. Die Tante des Schauspielers wohnt in Neumarkt. „Da nimm doch einfach unsere Margarita!“ empfahl sie ihrem Neffen. „Unsere Margarita“ kannte die Neumarkterin aus dem Wochenanzeiger, in dem die Altdorfer Kartenleserin seit vielen Jahren ebenso wie im Rother Wochenanzeiger eine eigene Kolumne hat.

Kann man das Kartenlesen eigentlich lernen? Oder muss man ganz besondere Fähigkeiten mitbringen? Aber klar, nickt die Altdorferin: „Das ist wie kochen, lernen kann das jeder, aber nicht jeder wird ein Meisterkoch.“

Hand aufs Herz, Frau Kröll, legen Sie sich nicht jeden Tag selbst die Karten? Lauern Sie vielleicht hin und wieder auf die richtigen Lotto-Zahlen? Nein. Die Altdorferin schüttelt kurz den Kopf  und fixiert uns mit kühlem Blick: „Ich bin nicht neugierig auf meine eigene Zukunft. Ich beschäftige mich nicht damit.“ Professionell reagiert war das auf eine zugegebenermaßen flapsige Frage, so professionell, wie man nach 25 Jahren im Geschäft sein muss. 

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