Ein Stück Nobelpreis geht nach Altdorf

Aufgeben ist keine Option

Eine Szene aus dem Jahr 2018 am Rand eines Dorfes im Südsudan. Das UN World Food Programme (WFP) begrüßt die Zuwendung Deutschlands in Höhe von elf Millionen Euro. Nach fünf Jahren Konflikt leiden sechs Millionen Menschen Hunger. | Foto: World Food Program2020/12/Altdorf-Guderian-scaled.jpg

ALTDORF – Vor wenigen Wochen hat das Welternährungsprogramm den Friedensnobelpreis erhalten. In Simbabwe verteilt die Altdorferin Marika Guderian derzeit Hilfsgüter für die Organisation der Vereinten Nationen.

Altdorf ist Marika Guderians Heimat, ihr derzeitiges Zuhause aber ist eine Wohnung in Harare, der Hauptstadt von Simbabwe, wo sie für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) arbeitet. Nachdem das WFP am 10. Dezember mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und mit dieser Auszeichnung ausdrücklich die Arbeit der Mitarbeitenden gewürdigt wurde, ist die Altdorferin nun auch Trägerin des von Alfred Nobel gestifteten Preises.

Marika Guderian ist sei zehn Jahren in der humanitären Arbeit tätig. Foto: Alex Blinten2020/12/Marika-Guderian.jpg

Seit zehn Jahren ist die Mitarbeiterin des UN-Welternährungsprogramms in der humanitären Hilfe tätig und in dieser Zeit viel herum gekommen in der Welt. Thailand, Guatemala, Jordanien, Südsudan, Nigeria, Mali und Senegal sind einige ihrer Stationen der letzten Jahre, zeitweise war die Altdorferin in New York, dann in Rom tätig, am Hauptsitz des World Food Programs. Jetzt also Simbabwe, wo sie seit Mai 2019 arbeitet.

Von der NGO zum World Food Program

Mitarbeiter der UNO sind einst auf Marika Guderian zugegangen, als sie bei einem Einsatz im Südsudan auf die Altdorferin trafen. Nach verschiedenen Einsätzen für die Nichtregierungsorganisation (NGO) Nonviolent Peaceforce im Nahen Osten war die heute 37-Jährige im Jahr 2014 in den gerade erst gegründeten afrikanischen Staat gegangen und arbeitete hier in Flüchtlingslagern. Der junge Staat war zerrissen von inneren Konflikten, die Landwirtschaft lag am Boden, Menschen hungerten. Damals war Guderian zuständig für die Sicherheit von Hilfsbedürftigen in Lagern, die auch über das World Food Program der UN versorgt wurden. Ihre Arbeit überzeugte die Leute der UN, die ihr deshalb einen Vertrag anboten. Seitdem ist sie für die Vereinten Nationen tätig.

Dass sie einmal in der ganzen Welt arbeiten würde, reisen, Menschen helfen und dabei unter schwierigen Bedingungen leben würde, hat sie sich schon früh vorstellen können. Schon als junges Mädchen wollte sie Menschen helfen und wollte in die weite Welt – spätestens, nachdem ihre Ideen von einer Karriere als Chemie-Laborantin begraben waren, weil sich ein Praktikum in einem Labor als sterbenslangweilig erwiesen hatte. Ohne ihre Eltern zu informieren bewarb sich die Altdorferin dann mit 17 um ein Jahr an einer amerikanischen Highschool und konnte in den USA zur Schule gehen.

Nach ihrem Abitur im Jahr 2002 studiert Guderian Betriebswirtschaftslehre in Nürnberg und Politik- und Sozialwissenschaften in Augsburg und ist anschließend für NGOs tätig. „Man muss vieles ausprobieren“, sagt sie heute, ein Rat an junge Leute, die einen ähnlichen Weg einschlagen wollen. Dabei muss man bereit sein, viel Freiwilligenarbeit zu leisten. „Und ganz entscheidend“, sagt die Altdorferin, „ich muss sehen, für was ich eine Leidenschaft habe“. Wer sich hier ganz sicher ist, wer ein festes Ziel definieren kann, für den ist Aufgeben in schwierigen Situationen keine Option.

Im Zelt, ohne Strom, ohne Wasser

Schwierige Situationen hat Guderian in den vergangenen Jahren viele erlebt, vor allem im Südsudan, wo sie über Wochen ohne Strom und fließendes Wasser im Zelt lebte, in Flüchtlingslagern oder weit weg im Busch, wo versprengte Dorfbewohner vom WFP mit Getreide vor dem Hungertod bewahrt wurden.

Die Altdorferin erzählt von einem Flugzeug der UN, einer alten, russischen Iljuschin, die im Tiefflug die Heckklappe öffnete und aus der dann Säcke mit Getreide in die Tiefe purzelten. Die Verteilung an die Hilfsbedürftigen übernahm sie dann zusammen mit Kollegen und staunt in der Rückschau noch über die Disziplin, die die hungernden Menschen zeigten. Von wegen Streit oder Chaos bei der Verteilung. „Die Leute haben ein tiefes Gemeinschaftsgefühl, das lässt Auseinandersetzungen um die Nahrungsmittel nicht zu“, sagt sie. Wenn es Probleme mit der Verteilung gab, dann waren immer Angehörige des Militärs im Spiel, die für sich Anteile an der Nahrungsmittelhilfe abzweigen wollten.

Die Gefahr, in Haft zu geraten

Die Militärs sind aber immer die ersten, die die Helfer kontaktieren müssen, wenn in einem Konfliktgebiet Hilfsgüter verteilt werden sollen. Weil die UN keine Partei ergreifen dürfen, müssen deren Mitarbeiter klären, wie man beiden Konfliktparteien helfen kann. Guderian erinnert sich an eine brenzlige Situation im Südsudan, als ein UN-Helikopter irrtümlich eine Militärstellung anflog. Daraufhin wurde ihr Kollege verhaftet, der den Funkverkehr zu dem Hubschrauber hielt. Am Ende gelang es ihr, die Situation zu entschärfen und den Mitarbeiter wieder auf freien Fuß zu bringen.

Die Arbeit in Simbabwe ist herausfordernd. 14,4 Millionen Einwohner hat das Land, rund sechs Millionen Menschen haben nicht genügend zu essen und sind auf die Hilfen des Welternährungsprogramms angewiesen. Das Getreide für die Menschen kaufen die UN in Sambia und Südafrika, oft aber auch in den USA, dort ist es deutlich billiger, als in den afrikanischen Ländern.

Das Problem der Korruption

Derzeit ist die Verteilung der Hilfsgüter wegen der Pandemie schwierig. Dabei ist Improvisation alles. Und improvisiert wird dann mit den zahlreichen Partnern des Welternährungsprogramms wie beispielsweise der Weltgesundheitsorganisation. Hilfsgüter sind wertvoll, deshalb kommt es immer wieder vor, dass Verantwortliche aus der simbabwischen Administration Forderungen stellen. „Manchmal wollen da Leute ihren Anteil, aber wir erklären ihnen die Regeln“, sagt Guderian. Korruption ist einer der Gründe, warum Simbabwe wirtschaftlich am Boden liegt.

Dabei hat das Land Ressourcen, hatte einmal eine blühende Landwirtschaft und wäre ein Paradies für Touristen, wenn denn die Infrastruktur da wäre. Chinesen sind jetzt im Land, bauen Bodenschätze ab und packen Infrastrukturprojekte an.

Guderian liebt Simbabwe: „Ein sehr schönes Land, hier gibt es viele Nationalparks. Und die Menschen sind außerordentlich nett und immer hilfsbereit.“ Noch ein Jahr wird sie hier für die UN arbeiten, dann versetzt ihr Chef sie an einen anderen Krisenherd dieser Erde.

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