ALTDORF – „In der aktuellen Musik fehlen leider oft Texte mit einer echten Botschaft“, erklärt Andreas Kasperowitsch, Stadtrat in Altdorf, Soulbuddies-Vereinsmitglied und bekennender Deep Purple-Genießer, bei einem Bierchen in der Abendsonne. Nur wenige Stunden später wird die namibische Musikerin und Kulturanthropologin Shishani mit ihrer Band Miss Catharsis auftreten – mit sehr vielen Botschaften im Gepäck.
Es ist Samstag auf dem MIA Festival. Altdorf ist vom Vorabend noch leicht verkatert. Die Partyband Make A Move haben den Parkplatz neben dem Schloss zum kochen gebracht. „Und die Wallensteiner haben mich fertig gemacht“, amüsiert sich ein Mitte-Zwanzigjähriger über den Cocktailstand, der am Freitag aufgebaut war. Wenn seine Augenringe sprechen könnten, würden sie wahrscheinlich „Cuba Libre“ sagen. Er traut sich vorsichtig an ein Konterbier heran. Denn es steht einiges bevor.
Die sympathischen Sunny Boys von Filistine aus Neumarkt betreten mit lockeren Schritten die Bühne. Sie eröffnen ihr Set mit einer Ode an das wohlwollende Wetter, mit dem Titel „Summer“. Funkige Bassläufe, genüssliche Gitarrensoli à la Mark Knopfler und ein präzises, treibendes Schlagzeug bringen die ersten Tanzbeine zum schwingen. Die raue, warme Stimme passt sowohl zu den wuchtigen, schnellen als auch zu den ruhigen, fast balladenartigen Liedern. Der gut gelaunte Genremix aus Indie, Funk und Stoner Rock kommt beim Publikum gut an. Langsam aber sicher füllen sich die Reihen.
Die Sonne ist schon fast verschwunden, als Shishani und ihre Backing-Band Miss Catharsis die Bühne betreten. Das Konzert fängt mit Einspielern in verschiedenen Sprachen an – es geht darin um Menschenrechte. Shishani und die Band stehen auf der Bühne – sie haben schon ihre Instrumente in den Händen und nicken mit ernster Miene zu den abgespielten Aussagen. Die Stimmen verstummen und die Musikerinnen und Musiker fangen nahtlos mit einer eingängigen, schwelgenden Melodie an. Die Zuschauer werden unmittelbar in eine andere Sphäre katapultiert, während sich Shishanis kräftige Stimme mit viel Hall durch die Reihen schlängelt.
„Verbindung durch die Musik“
Dann eine Ansage: Die Musikerinnen und Musiker sind den weiten Weg aus Amsterdam gekommen, um Altdorf ihre Heimat Namibia auf künstlerischer Ebene zu präsentieren. Das schaffen sie dank Anekdoten von der Musik-liebenden Großmutter der Sängerin und dem Einsatz traditioneller Instrumente perfekt. Zwischen den Pop-lastigen, manchmal jazzigen Nummern, wendet sich die Frontfrau immer wieder an das Publikum. „Heute geht es um unsere Verbindung durch die Musik“, erklärt Shishani auf Englisch.
Und sowohl die Texte der Lieder als auch die Ansagen zwischen den Songs haben klare Botschaften. Mal sticht ein überzeugter Feminismus hervor, dann geht es um die Verfolgung von Trans-Personen und die Gewalt gegen die LGBTQ-Community in Afrika. Sie widmen das vielfach ausgezeichnete Lied „Minority“ einer Kämpferin für Trans-Rechte in Namibia.
Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und das Ringen um Gleichberechtigung. Alles Themen, die in die Mitte der Gesellschaft gehören. Und in Anbetracht der aktuellen Diskussionen in der Musikszene, rund um Rammsteins Frontmann Till Lindemann und den Machtmissbrauch in der Branche, ist die rebellische Perspektive der Band mehr als angebracht. Auf vergangenen Veranstaltungen seien die Musikerinnen von den Tontechnikern behandelt worden, als ob sie – als Frauen – nicht wüssten, wie ihre Instrumente funktionieren. „Aber wir wissen, wie es läuft“, äußert sich Shishani kämpferisch und startet eine Empowerment-Hymne. Die Zuschauer merken schnell: Das sind nicht nur Kulturschaffende, sondern auch Aktivistinnen und Aktivisten.
Auch Themen, wie der Klimawandel und der Umgang des Menschen mit der Erde finden einen Platz im abwechslungsreichen Set. Sie spielen ein Liebeslied an die „wunderschöne Welt“, mit der Botschaft: „There is no Planet B!“
Harte Wahrheiten
Es geht auch um den Völkermord und die Konzentrationslager in Namibia, als das Land noch eine deutsche Kolonie war. Deswegen sei es auf emotionaler Ebene manchmal schwierig, in Deutschland aufzutreten, gibt die Sängerin zu. Harte Wahrheiten über Schuld und Sühne, die von Shishani sehr direkt und voller Gefühl in den Abend gerufen werden.
Musik muss nicht zwingend politisch sein – sie muss es aber immer sein dürfen. Und Shishani schafft es, all diese gesellschaftlich hoch relevanten Themen in ihren Texten aufzuarbeiten und dem Publikum zu präsentieren. Es geht dabei nie darum, jemanden an den Pranger zu stellen oder zu belehren – es soll schlicht zum denken und recherchieren anregen.
Nach über einer Stunde beendet die Band ihr anspruchsvolles und abwechslungsreiches Set. Dabei sind die Rhythmen so freiheitsliebend wie die Musikerinnen und Musiker selbst. Ein authentisches Konzert, das sicherlich bei vielen noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die Soulbuddies haben es an diesem Abend geschafft, ein besonderes Kulturevent nach Altdorf zu bringen. Musik, international und authentisch – wofür MIA eben nach wie vor steht.