Neues System am Krankenhaus Rummelsberg

High-Speed Kameras revolutionieren Ganganalyse

Das menschliche Auge erfasst mit 20 Bildern nur einen winzigen Bruchteil dessen, was die neuen 3D-Kameras analysieren und auswerten können | Foto: Sprung2016/08/Kamera_unscharf.jpg

RUMMELSBERG – Im Krankenhaus Rummelsberg verbessert ein neues, bildbasiertes System mit acht High-Speed-Kameras die klinische Ganganalyse. Dadurch können die Experten um Chefarzt Professor Walter Strobl Gangstörungen schneller und einfacher diagnostizieren und bessere Therapien planen.

Der erste Eindruck ist imponierend: Grelle, an allen Ecken des Raumes montierte Halogenstrahler beleuchten eine markierte Gangstrecke. Ein junger Patient schreitet immer wieder die 15 Meter lange Bahn ab. Spezielle Marker an verschiedenen Punkten des Körpers blitzen im Strahl der Scheinwerfer. Auf dem Bildschirm beobachtet Verena Hirschmann, Leiterin des neuen Ganganalyse-Labors in Rummelsberg, aufmerksam jeden Schritt. In einem Diagramm entstehen steile Kurven und Graphen. Die Körperachsen des Kindes werden in Echtzeit in einer dreidimensionalen Rekonstruktion simuliert. Der Patient wird zudem sowohl seitlich als auch von vorne und hinten durch die Kameras erfasst und auf dem Bildschirm abgebildet. Im späteren Behandlungsverlauf werden die Aufnahmen helfen, die Therapie genau auf den jungen Patienten abzustimmen – sei es bei der Planung in der Ambulanz, direkt im Operationssaal während eines möglichen Eingriffs oder auch bei der Anfertigung passgenauer Hilfsmittel in der hauseigenen orthopädischen Werkstatt.

Verena Hirschmann, Leiterin des Rummelsberger Ganglabors, beim Kleben der für die Analyse wichtigen Marker.
Verena Hirschmann, Leiterin des Rummelsberger Ganglabors, beim Kleben der für die Analyse wichtigen Marker. | Foto: Sprung2016/08/Hirschmann_Kleben.jpg

Das neue Ganglabor im Krankenhaus Rummelsberg ist eine echte Besonderheit. Während traditionelle Ganganalysen auf infrarotbasierte Systeme bauen, zeichnen High-Speed-Kameras in Rummelsberg jede Bewegung auf. „Wir als Menschen sind auf rund 20 Bilder pro Sekunde beschränkt. Die High-Speed-Kameras des neuen Ganglabors erfassen ein Vielfaches davon“, erklärt Professor Walter Strobl, Chefarzt der Klinik für Kinder-, Jugend- und Neuroorthopädie am Krankenhaus Rummelsberg. Ursachen und Auswirkungen einer Gangstörung können der erfahrene Kinderorthopäde und sein Team somit auch dann identifizieren, wenn die klinische Untersuchung darüber keine ausreichende Aussage zulässt.

In Europa einmalig

Wichtigste Mitarbeiterin im Ganganalyselabor ist Verena Hirschmann. Die Diplom-Sportwissenschaftlerin leitet das Ganglabor und unterstützte mit ihrer Expertise maßgeblich den Aufbau der einmaligen Einrichtung. „Bisherige, infrarotbasierte Technologien messen lediglich die Koordinaten der Marker und rekonstruieren aus den gewonnenen Daten ein schematisches 3D-Modell. Das in Rummelsberg genutzte bildbasierte Verfahren zeigt durch den Einsatz der High-Speed-Kameras, über die künstliche 3D-Rekonstruktion hinaus, zusätzlich das Gangbild der Patienten in Echtzeit. Mithilfe des bildbasierten Verfahrens ist es auch möglich, eine markerlose Ganganalyse mithilfe des sogenannten Silhouettentrackings durchzuführen. Laut dem Hersteller ist diese Kombination bisher so nicht zu finden, führt Verena Hirschmann aus. Der Grund für diese bisherige Einmaligkeit liegt in den neuen Speichertechnologien. Die in den Untersuchungen gesammelte Datenmenge ist aufgrund der HD-Kameras enorm. Erst in jüngster Vergangenheit ermöglichen es preisgünstigere und schnellere Speichermöglichkeiten, diese Daten zu sichern und auch im Klinikalltag zu nutzen.

Günstig ist das Ganganalyselabor für das Krankenhaus Rummelsberg deswegen keineswegs. Dennoch ist die Krankenhausleitung um Geschäftsführer Sebastian Holm von der neuen Einrichtung überzeugt: „Wir wollen unseren Patientinnen und Patienten hier in Rummelsberg die bestmögliche Versorgung ermöglichen, auch wenn die finanziellen Rahmenbedingungen, aufgrund der fehlenden Vergütung durch die gesetzlichen Kassen, nicht besonders einfach sind. Deshalb sind wir besonders stolz, mit unserem neuen Ganganalyse-Labor die bestmögliche Diagnostik und Behandlung anbieten zu können, und freuen uns über noch individuellere Therapieangebote.“

Schnell zur besten Therapie

Insgesamt ist die bildbasierende Ganganalyse mit den High-Speed-Kameras besonders unkompliziert und zudem verständlich für den Patienten. Vergleichsweise schneller durchführbar als die infrarotbasierte Ganganalyse ist sie dank des Silhouettentrackings auch. Dies ist laut Professor Strobl ein nicht zu unterschätzender Vorteil in der Arbeit mit Kindern und mehrfachbehinderten Patienten. Das Kleben vieler Marker, wie es bei herkömmlichen Systemen nötig ist, wäre sehr zeitaufwändig und eine Belastung für die Patienten. Jetzt kommt Verena Hirschmann mit weniger oder gar keinen Markern aus und kann durch die Kameras dennoch ein ausreichendes Gangbild gewinnen. „Wir können durch die Bewegungsanalyse unsere Therapien weiter verfeinern und genauer auf die Patienten abstimmen“, erklärt Strobl. „Beispielsweise zeigt uns ein Monitor im OP-Saal noch einmal das Gangbild vor dem Eingriff. Die orthopädische Werkstatt passt ihre Hilfsmittel noch individueller an die Anforderungen der Patienten an und auch in die Ambulanz kann das Gangbild übertragen werden.“

Besonders sinnvoll ist die neue Ganganalyse bei den Patienten der Klinik für Kinder-, Jugend- und Neuroorthopädie. Denn je früher Auffälligkeiten im Gangbild entdeckt und behandelt werden, desto öfter können aufwendige Eingriffe im Erwachsenenalter vermieden werden. Aber auch Gangbilder von Patienten mit Parkinson, Schlaganfällen, Knie- und Hüftprothesen wertet Verena Hirschmann im Rummelsberger Ganganalyselabor aus und spielt diese an das Ärzteteam zurück. Die Ganganalyse ist nicht nur zur besseren Therapieplanung sinnvoll. Auch schafft sie eine Möglichkeit, den Erfolg einer Therapie im Nachhinein unabhängiger zu bewerten und langfristig zu beobachten, als es ein menschliches Auge je könnte.

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