Immer mehr Beschäftigte zweiter Klasse

Kämpfen gegen Ausbeutung von Arbeitnehmern: Jürgen Haas (Gesamtbetriebsratsvorsitzender von CeramTec), Martin Feder (Regionssekretär DGB Mittelfranken), Stephan Doll (Vorsitzender DGB Mittelfranken) und Thomas Kugler (Betriebsrat von Emuge). Foto: Buchner-Freiberger
Kämpfen gegen Ausbeutung von Arbeitnehmern: Jürgen Haas (Gesamtbetriebsratsvorsitzender von CeramTec), Martin Feder (Regionssekretär DGB Mittelfranken), Stephan Doll (Vorsitzender DGB Mittelfranken) und Thomas Kugler (Betriebsrat von Emuge). Foto: Buchner-Freiberger2011/04/20896_New_1303917665.jpg

NÜRNBERGER LAND — Heute gibt die Agentur für Arbeit die neuesten Arbeitslosenzahlen bekannt und kann dabei, wie im Vorfeld durchsickerte, für den Raum Lauf wohl viel Positives berichten. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille – sagen zumindest die Gewerkschaften. Sie kämpfen im Vorfeld der Kundgebungen am 1. Mai gegen die sogenannten „prekären“ Beschäftigungsverhältnisse, die auch im Nürnberger Land auf dem Vormarsch sind.

Doch was fällt überhaupt unter den Begriff des „prekären“ oder „atypischen“ Arbeitsverhältnisses? „Das Spektrum ist vielfältig“, meinte Stephan Doll, Vorsitzender des DGB Mittelfranken, im Rahmen einer Pressekonferenz gestern im „Waldgasthof Letten“. Er und seine Kollegen sehen prekäre Situationen überall dort, wo der Arbeitnehmer auf Gedeih und Verderb dem Unternehmensrisiko ausgeliefert ist, wo Tariflohn, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz ausgehebelt werden. Dazu zählen die Gewerkschafter in erster Linie die Leiharbeit, aber auch Mini- und Midijobs, Saisonarbeit, befristete Beschäftigung, freie Mitarbeit, Werkvertragsverhältnisse und sogar – für viele überraschend – die Teilzeit. Denn diese sei, so argumentiert Stephan Doll, von den Arbeitnehmern oft gar nicht gewollt, Aufstiegs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zudem eingeschränkt.

Fakt ist: Die klassischen Arbeitsverhältnisse schwinden. Ihre Zahl sank bundesweit von 1998 bis 2008 um 720 000. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse dagegen nahmen im gleichen Zeitraum um 2,4 Millionen zu. Durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sei zum Beispiel die Zahl der Leiharbeiter noch zusätzlich „befeuert“ worden, sagt der mittelfränkische DGB-Vorsitzende. Die Folgen: Immer mehr Menschen verdienen so wenig, dass ihr Einkommen durch staatliche Leistungen aufgestockt werden muss. Elf Millarden Euro hat der Bund für solche Aufstockungen 2009 ausgegeben. Auf der anderen Seite gehen den Sozialversicherungen durch die Minijobs rund 2,3 Milliarden Euro verloren, rechnete Stephan Doll vor und warnt vor einer „Amerikanisierung des Arbeitsmarktes“, wo immer mehr Männer einen Zweit- oder gar Drittjob brauchen, um ihre Familie zu ernähren. Junge Menschen, die von einer Befristung in die nächste rutschen, schieben die Familienplanung zwangsläufig auf. „Es wäre unserer Meinung nach das effektivste Familienpaket, die prekären Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen“, so Doll.

Doch auch im Nürnberger Land sind diese auf dem Vormarsch, wenngleich man die Zahlen mit Vorsicht betrachten muss: 2009 lag der Anteil der atypischen Arbeitsplätze laut DGB bei 39,4 Prozent (gegenüber 2005 eine Steigerung um 5,9 Prozent) und damit sogar leicht über dem Bundesdurchschnitt. Allerdings: Darin sind eben auch die Teilzeitstellen mit 16,3 Prozent enthalten. 22,4 Prozent entfallen auf die Mini-Jobs und 0,7 Prozent auf die Leiharbeiter. In der Statistik gar nicht berücksichtigt sind die befristeten Arbeitsverhältnisse.

Zumindest was die Leiharbeit betrifft, konnten die beiden Betriebsratsvorsitzenden Jürgen Haas von der Firma CeramTec und Thomas Kugler von der Firma Emuge Entwarnung geben. Weil gerade in der keramischen Industrie handwerkliches Geschick und große Erfahrung nötig seien, spielen die Leiharbeiter bei CeramTec keine große Rolle, so Jürgen Haas – im Gegensatz allerdings zu befristet Beschäftigten. Man habe in einer betriebsinternen Vereinbarung festgesetzt, dass maximal sechs Prozent der insgesamt Laufer 650 Beschäftigten Leiharbeiter sein dürfen und dies auch nur für einen Zeitraum von höchstens zwei Jahren. Die Quote habe man aber nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Jürgen Haas weiß jedoch auch von hiesigen Unternehmen der Kunststoffbranche oder Automobilzulieferern, wo die Leiharbeiter inzwischen 15 bis 20 Prozent ausmachen.

Thomas Kugler, Betriebsratsvorsitzender von Emuge und zugleich Nebenstellenleiter der IG Metall, berichtete, dass unter den 850 Emuge-Beschäftigten derzeit fünf Leiharbeiter sind. Dies aber nur deshalb, weil viele Mitarbeiter zurzeit wegen einer Schulung für ein neues Betriebssystem kurzzeitig „ausfallen“. Prinzipiell sei man sich innerhalb der Gewerkschaft mit Diehl in Röthenbach und Sumitomo Demag in Schwaig einig, „dass man Leiharbeiter erst gar nicht reinlassen will“. ABL Sursum in Lauf habe ähnlich wie CeramTec eine eigene Vereinbarung geschlossen, die die Zahl und die Dauer von Leiharbeit beschränkt.

Auch im Nürnberger Land seien Leiharbeiter und Minijobber vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe anzutreffen, so Mittelfrankens DGB-Vorsitzender Stephan Doll. Er und seine Mitstreiter haben einen Forderungskatalog aufgestellt. Dieser beinhaltet neben einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde auch ein Verbot der grundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen, gleichen Lohn für Leiharbeiter ab dem ersten Tag der Beschäftigung, einen Anspruch auf Übernahme für befristet Beschäftigte, wenn im Unternehmen Arbeitskräftebedarf vorhanden ist, oder die zeitliche Begrenzung von Praktika. Außerdem sollen öffentliche Aufträge nicht mehr an Unternehmen vergeben werden dürften, die das billigste Angebot abgeben, nur weil sie an den prekär Beschäftigten sparen.

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