HERSBRUCK – In wenigen Tagen ist das große Jubiläum anlässlich 500 Jahre Reformation vorbei. Doch was bleibt davon für die Zukunft? Dieser Frage geht auch der Theologe, Philosoph und Pfarrer Klaus Douglass nach. Er hält am Sonntag, 29. Oktober, um 10 Uhr in der Hersbrucker Stadtkirche die Predigt zum Thema „500 Jahre Reformation – Was bedeutet das für die Zukunft?“
Auch wenn Sie den Blick nach vorne richten, erst einer zurück: Wie empfanden Sie das Jubiläumsjahr?
Klaus Douglass: Es gab deutschlandweit unfassbar viele Veranstaltungen und Aktionen, die die Buntheit und Vielfältigkeit des Protestantismus veranschaulichten. Das fand ich sehr schön. Nicht immer deutlich wurde in all dieser Buntheit, was das verbindende Zentrum des evangelischen Glaubens – nämlich Gnade, Glaube, Christus und Schrift – ist. Erst dieses aber schafft aus der manchmal verwirrenden Vielfalt eine Einheit.
Was kann die Kirche heute von der Reformation lernen?
Die Reformation hatte ein primär geistliches Anliegen. Luther und seinen Mitstreitern ging es darum, dass Menschen wieder einen ungehinderten Zugang zu der Liebe Gottes bekommen. Dazu bedurfte es eines doppelten Schritts: Der damals totalitäre Einfluss der Kirche auf das persönliche Glaubensleben des Einzelnen musste zurückgefahren werden. Kirche ist die notwendige Gemeinschaft der christlich Glaubenden, nicht mehr und nicht weniger. Alleinige Quelle dieses Glaubens aber sollte und konnte in Luthers Augen nur die Bibel sein. Die Ironie ist, dass wir heute im Protestantismus die Autorität der Kirche abgestreift haben, aber auch die der Bibel. Was da übrig bleibt, ist Beliebigkeit, Kraftlosigkeit und Orientierungslosigkeit.
Sind Sie der Meinung, dass Kirche unablässig reformiert werden muss?
Definitiv. Luther wollte die Botschaft der Kirche auf das Fundament der Bibel zurückstellen und gleichzeitig ihre Formen auf die Höhe der Zeit bringen. Das ist eine niemals endende Aufgabe, weil man niemals sagen kann: „Jetzt ist unsere Kirche völlig auf der Höhe der Heiligen Schrift.“
Vor welchen Herausforderungen steht die evangelische Glaubensgemeinschaft?
Vor eben diesen beiden. Vom geistlichen Reformationsbedarf habe ich eben bereits geredet. Wir haben aber auch erheblichen Nachholbedarf, was den Anschluss an die Höhe der Zeit betrifft. Während viele Menschen heute bereits von einer beginnenden Postmoderne reden, hat die Kirche Mühe, in ihren Gottesdiensten und anderswo überhaupt nur modern zu werden. Das ist schlimm, weil wir damit den Anschluss an 85 Prozent der Menschen verlieren.
Und zur Zeit der Reformation war es also genauso.
Luther war ein überaus moderner Zeitgenosse. Wir haben dann das, was zu seiner Zeit modern war, für die nächsten 500 Jahre weitgehend zu erhalten versucht: seine Sprache, seine Musik, seine kirchlichen Formen. Das „reformatorisch“ zu nennen ist wie wenn man eine Schreibmaschine, die vor 50 Jahren hochmodern war, heute immer noch als „modern“ bezeichnet. Der Protestantismus war vor 500 Jahren das Innovativste, was es seinerzeit gab. Heute verbinden die meisten Menschen mit dem Wort „Reformation“ oder „Protestantismus“ sehr viel eher Tradition als Innovation.
Sie haben 96 Thesen zur Zukunft der Kirche verfasst, zwölf Aufgaben mit je acht Thesen. Gleich die erste Aufgabe lautet „Zur reformatorischen Mitte zurückkehren“.
Widerspricht sich das nicht mit dem geforderten Blick nach vorne?
Nein, das widerspricht sich überhaupt nicht. Die Mitte des evangelischen Glaubens ändert sich nicht. Also die oftmals zitierten „Big Four“: Gnade, Glaube, Christus und Wort Gottes. Was sich allerdings immer wieder ändern muss, sind die Formen und Kommunikationsweisen, derer sich die Kirche bedient, um den Menschen ihrer Zeit sowie den nachwachsenden Generationen das Evangelium von der Liebe Gottes nahezubringen.
Sie haben vorhin schon einige Herausforderungen für die Kirchen genannt. Wäre ein Lösungsansatz das Zusammenwachsen der Konfessionen?
Ich weiß nicht, ob ich mir eine große Einheitskirche wirklich wünschen würde. Die hatten wir rund 1000 Jahre – und sie hatte ziemlich totalitäre Züge. Vielfalt ist nicht unbedingt ein Fluch, sondern kann ein Segen sein, solange wir gut und geschwisterlich miteinander umgehen. Wir haben derzeit allein in Deutschland rund 200 verschiedene christliche Kirchen und Konfessionen. Ein Zusammenwachsen der beiden größten Kirchen ließe immer noch 199 andere Kirchen übrig. Umso wichtiger ist die ökumenische Zusammenarbeit. Viele Freikirchen stehen immer noch völlig zu Unrecht unter Sektenverdacht. Wichtiger, als dass alle das Gleiche glauben, finde ich, dass man sich gegenseitig seinen Glauben glaubt und miteinander im geschwisterlichen Umgang und Gespräch bleibt.