Als Asylgrund nicht anerkannt

Flucht vor Blutrache vom Balkan nach Winkelhaid

Das Foto entstand im März am Tag der freiwilligen Ausreise von Selfo (links) und Valerian (rechts) nach Italien. In der Mitte Horst Kreß, der die beiden Albaner nun adoptieren und ihnen einen Aufenthalt in Winkelhaid ermöglichen will. 
Foto: Thumberger-Kupka
Das Foto entstand im März am Tag der freiwilligen Ausreise von Selfo (links) und Valerian (rechts) nach Italien. In der Mitte Horst Kreß, der die beiden Albaner nun adoptieren und ihnen einen Aufenthalt in Winkelhaid ermöglichen will. Foto: Thumberger-Kupka2016/04/albaner.jpg

WINKELHAID – Horst Kreß hat sich zu einem außergewöhnlichen Schritt entschieden. Er will ein albanisches Brüderpaar adoptieren, das seit 16 Jahren auf der Flucht vor der Blutrache einer verfeindeten Familie ist. Die Adoption der beiden 28 und 38 Jahre alten Männer ist für den Winkelhaider Ruheständler letzter Ausweg aus einem Dilemma: Weil der deutsche Staat die Blutrache nicht als Asylgrund anerkennt, mussten die beiden Albaner vor einigen Wochen Deutschland verlassen. In Italien kam es dann zur Konfrontation mit den Bluträchern. Der ältere der beiden Brüder wurde niedergestochen.

Seitdem liegt Selfo in Mailand im Krankenhaus. Mit einer Notoperation konnten die Ärzte sein Leben retten. In einer Winkelhaider Flüchtlingsunterkunft lebte das Brüderpaar von April 2015 bis Mitte März 2016 in Sicherheit – ganz im Gegensatz zu ihrem vorherigen Wohnort Mailand, wo man sie aus der großen albanischen Gemeinschaft heraus schon mehrmals attackiert hatte. Horst Kreß fand als Mitglied des Asyl-Unterstützerkreises in Winkelhaid schnell Kontakt zu den beiden – auch weil er wie die beiden Brüder fließend italienisch spricht. Als das Brüderpaar im März erfuhr, dass es ins Abschiebelager nach Bamberg umziehen sollte, stand schnell der Entschluss fest, zurück nach Mailand zu gehen. Dort ist es zwar gefährlich, viel gefährlicher wäre aber der Weg zurück in die alte Heimat – in die Nähe der verfeindeten Familie.

Freiwillig reisten die beiden Brüder also Mitte März aus Deutschland aus, am 7. April dann tritt dem älteren Bruder in einem Mailänder Park ein Albaner mit einem Messer entgegen und sticht ihn nieder.

Anlass der Bluttat ist ein Unglück im Jahr 2000. Damals hantierte der Vater der beiden Brüder auf einer Hochzeitsfeier mit einem Gewehr, das nach einer Salve Freudenschüsse plötzlich Ladehemmung hatte. Plötzlich löste sich ein Schuss, der einen in unmittelbarer Nähe stehenden Mann tödlich traf. Dessen Familie versucht seitdem, den Tod zu rächen. Seit 16 Jahren sind Selfo und sein jüngerer Bruder Valerian nun auf der Flucht vor Attentätern.

„Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verweigert Asyl wegen Blutrache“, sagt Kreß, „mit der Begründung, der albanische Staat müsste den von der Blutrache Verfolgten Schutz gewähren, folglich bräuchten sie keinen Schutz in Deutschland zu suchen.“ Das verkenne aber die Realität eines mafiösen und korrupten Staats.

Dort sollen bis zu 15.000 albanische Familien in Blutrache-Konflikte verstrickt sein, die zum Teil auf Vorfälle vor dem Zweiten Weltkrieg zurückgehen.

Während der kommunistischen Diktatur in Albanien war der Mechanismus der Blutrache ausgesetzt, weil der Staat seine Rechtshoheit landesweit durchsetzen konnte. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus zu Beginn der 1990er Jahre hat sich die Blutrache wieder etabliert. Der junge demokratische Staat war zu schwach, um diese Dynamik der Selbstjustiz regulieren zu können. Erst das Erstarken des albanischen Staates nach den Unruhen von 1997 führte zu einem langsamen Rückgang der Blutrache-Konflikte.

Weg zum Notar

Einzige Möglichkeit, dem Brüderpaar ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu geben, ist für den Diplom-Pädagogen und Psychologen nun also die Adoption. Der Winkelhaider hat sich beim Familiengericht in Hersbruck erkundigt, das am Ende darüber entscheiden muss. Zuvor aber muss er notariell die Adoptionsabsicht festschreiben lassen, mit dem Schriftstück nach Mailand und dort zusammen mit seinen angehenden Adoptivsöhnen zu einem italienischen Notar. Wenn alles so gelingt wie Kreß sich das erhofft und auch das Familiengericht in Hersbruck am Ende seine Zustimmung erteilt, dürfte die Winkelhaider Familie demnächst um zwei ältere Söhne wachsen.

 

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