Wie lässt sich Familienfreundlichkeit im Betrieb praktizieren?

Passgenaue Arbeitszeiten bewähren sich

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NÜRNBERGER LAND – Vor der Unterzeichnung der Charta für Familienfreundlichkeit stellten Vertreter von Unternehmen in der Region ihre bisherigen Ansätze zur Realisierung dieses Prinzips in der Sitzung des Familienausschusses vor. Dabei wurde klar, dass die Arbeitsleistung von Frauen und Müttern, aber auch von älteren ArbeitnehmerInnen, nicht nur als Einschränkung, sondern auch als besondere Chance für die Personalstruktur gesehen werden kann.

Gertrud M. Barth, stellvertretende Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Altdorf-Hersbruck-Neumarkt, stellte ihren Vortrag unter das Motto „Der Mensch im Mittelpunkt“. Der Sozialkonzern, der sich vor allem in der Pflege, der Asylsozialarbeit oder der Jugendhilfe engagiert, hat 255 hauptamtliche und 200 ehrenamtliche Mitarbeiter. Familienfreundlichkeit müsse unter dem Gesichtspunkt des demografischen Wandels neu definiert werden, 86 Prozent der Mitarbeiter sind weiblich, so Barth, die aus eigener Erfahrung die Probleme arbeitender Mütter kennt. Doch nicht nur diese veränderte Struktur, sondern auch ein Wertewandel stellen die Personaler im Diakonischen Werk vor Herausforderungen: Immer weniger Menschen wollen lieber auf Lebensqualität als auf eine volle Arbeitsstelle verzichten, dazu kommt der Fachkräftemangel. Um all diese Klippen erfolgreich zu umschiffen, müsse man sich von der Vorstellung der traditionellen, starren Schichteneinteilung verabschieden, so Barth. Es gelte, genau hinzuschauen, ob bestimmte Termine so wie bisher eingehalten werden müssen oder nicht doch flexibler, und damit den Wünschen des Arbeitnehmers entsprechend, handzuhaben sind.

Diese Flexibilität äußere sich bereits jetzt bei der Diakonie darin, dass Vormittagsschichten für Mütter nicht um sechs Uhr morgens beginnen, sondern dann, wenn sie ihre Kinder in die Schule geschickt haben. Auch einer Führungskraft, die eine Zeitlang die alten Eltern pflegen will, wird ermöglicht, zeitweise kürzerzutreten. „Wenn Mitarbeiter ein familiäres Problem haben, sollen sie auf die Führungskraft zugehen, aber auch umgekehrt“, so Barths Credo.

Fast nur Frauen …

Götz Reichel, der Geschäftsführer von Chairgo in Hersbruck, hat mit 15 Arbeitnehmern – nur fünf davon in Vollzeit – zwar eine wesentlich kleinere Firma, aber gleiche Einsichten in die Personalplanung getroffen und mit 87 Prozent weiblicher Arbeitskräfte die gleiche Geschlechterstruktur. „Fast nur Frauen und dennoch erfolgreich, wie das?“, lautet der provokante Titel seines Referats. Er sieht Teilzeitarbeit als einen Vorteil, als die kurzfristige Lösung vieler personeller Probleme, die im direkten Gespräch schnell und flexibel beigelegt werden können. Und die Anlässe dazu können vielfältig sein. Ziehen alle mit, werden individuelle Wünsche berücksichtigt, auch wenn es, wie im Fall einer Arbeitnehmerin, „nur“ darum geht, eine Zeitlang häufiger tagsüber ins Fitness-Studio zu gehen. Dass der direkte Kontakt zu den ArbeitnehmerInnen hier eine große Rolle spielt, lässt sich vorstellen, Götz Reichel wirkt nicht wie der unnahbare Chef, sondern jederzeit ansprechbar, verständnisvoll und kooperativ. Diese Art der Mitarbeiterführung macht dann gleichzeitig auch unkonventionelle Karrieren möglich.

Engagierte kriegen ihre Chance, unabhängig von der Ausbildung. So betreut die gelernte Verkäuferin mittlerweile selbstständig ganze Produktgruppen, die examinierte Krankenschwester den Großkunden Polizei. Und wenn es um Neueinstellungen geht? „Das Gesamtteam trifft die Entscheidung“, der er sich noch nie widersetzt hat, so Reichel. Um ein familienfreundliches Arbeitsfeld ging es auch bei Sabine L. Distler, der Leiterin der Senioren- & Pflegezentren Rupprechstegen und Artelshofen, sowie bei ihrer Pflegedienstleiterin Brigitte Schorr. Auch hier spielen flexiblere Arbeitszeiten einen wichtigen Part. Besonderes Entgegenkommen etwa sehen die Damen in der Ausrichtung der Arbeitszeiten nach den Ankunfts- und Abfahrtzeiten der Pendlerzüge oder darin, dass Mitarbeiter ihre pflegebedürftigen Eltern zur Betreuung mit in die Einrichtung bringen können. Dass sich ein arbeitnehmerfreundliches Umfeld meist auszahlt, macht sich auch hier bemerkbar: So gibt es nur zwei Tagschichten in den Dienstplänen.

Die Nachtschicht wird vollkommen auf freiwilliger Basis abgedeckt – und das funktioniert. Auch Distler hat ein Beispiel für eine fähige Seiteneinsteigerin parat: Die aufgeschlossene Putzfrau, die weit mehr als sauber machte, ließ sich nicht zwei Mal bitten, als man sie zu einer Ausbildung zur Fachhelferin motivierte. Unterdessen ist sie stellvertretende Stationsleiterin.


Unkonventionelle Karrieren lassen sich auch institutionalisieren: Der hohen Fluktuation bei Altenpflegekräften lässt sich durch eine besondere Aufgabe entgegentreten:

Extrem pflegebedürftige, alte Menschen brauchen spezielle Fürsorge, für die ältere Fachkräfte (50+) am besten geeignet sind. Die haben mehr Erfahrung, oft mehr Empathie und können besser mit Verantwortung umgehen. Für sie wurde eine Spezialistenstelle mit besonders günstigen Arbeitsbedingungen geschaffen, die sich bewährt.

Eine Win-win-Situation: Die Patienten werden bestmöglich betreut, die Altenpflegerinnen fühlen sich in ihrer Position geschätzt und scheiden eben nicht ausgebrannt aus ihrem anspruchsvollen Job aus. G.S.

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