RÖTHENBACH — Jeder Bürger im Nürnberger Land nimmt pro Woche durchschnittlich sieben Gramm Mikroplastik zu sich, was etwa der Masse einer Kreditkarte entspricht. Tendenz steigend. Das Münchner Start-Up-Unternehmen Ecofario will dem Einhalt gebieten. Und zwar mithilfe einer neuen Technik, die als Teil der Abwasserreinigung das Wasser von Mikroplastik befreien kann. Diese Technik wird aktuell in der Röthenbacher Kläranlage getestet.
Laut einer Studie des Frauenhofer Instituts nehmen die Menschen in Deutschland nicht nur die besagten sieben Gramm Mikroplastik pro Woche auf, sondern sie setzen die kleinen Plastikpartikel auch frei. Mit etwa 330 000 Tonnen Mikroplastik, also pro Kopf vier Kilogramm, belasten die Deutschen pro Jahr die Umwelt, unter anderem in Form von Reifenabrieb auf der Straße, Kunststoffpellets, verwittertem Lack und zersetzten Plastikflaschen.
Die Forschung in diesem Bereich ist noch recht jung, denn erst seit einigen Jahren können die wenige Mikrometer – also einen Millionstel Meter – großen Teile wissenschaftlich gemessen werden. Die Partikel finden sich im Wasser, in Fischen, in Honig und Bier.
Mikroplastik bindet Krankheitserreger
Geforscht wird auch am Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Im Wasser schwimmende Gifte, Medikamentenrückstände und Krankheitserreger binden sich an das Mikroplastik und dieses ist klein genug, um von Darm und Lunge aufgenommen zu werden. Das birgt für den Menschen Krankheitsrisiken wie Hormonstörungen, Allergien oder sogar Krebs.
Sebastian Porkert, Gründer und Chef von Ecofario, arbeitet hauptberuflich als Dozent für Verfahrenstechnik an der Hochschule München und wurde 2013 auf das Problem Mikroplastik aufmerksam. Das Thema ließ ihn nicht mehr los und er begann, an einer Lösung zu tüfteln. „Eines Nachts bin ich aufgewacht und habe das Modell des Hydrozyklons aufgezeichnet, dass in unserer jetzigen Pilotmaschine fast eins zu eins übernommen wurde“, sagt Porkert.
Er sammelte ein vierköpfiges Team von Wissenschaftlern um sich und sie setzten sich ein ehrgeiziges Ziel: Sie wollen alle Kläranlagen weltweit mit ihrer Technik ausrüsten, um die Meere, Flüsse und Seen von Mikroplastik und Giften zu befreien.
Gewinner des Nachhaltigkeitspreises 2020
Im Januar 2020 bauten sie ihre erste Pilotanlage und testeten sie am Ammersee. Die Untersuchungen ergaben, dass die Apparatur bis zu 95 Prozent des Plastiks bereits im ersten Reinigungsschritt filtern kann. Durch den Gewinn zahlreicher Wettbewerbe, wie etwa des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2020, wurden immer mehr Firmen und Kommunen auf Ecofario aufmerksam.
Auch Frank Gutzeit, ehemaliger Vorstand der Firma Diehl, informierte sich über die Technik der Start-Up-Firma und schlug dem Röthenbacher Bürgermeister Klaus Hacker vor, die Röthenbacher Kläranlage als Teststation anzubieten. Sebastian Porkert und sein Team nahmen die Einladung an und bauten ihre Pilotanlage für zwei Wochen auf dem Röthenbacher Areal auf. Noch bis Mittwoch messen sie dort die Effizienz der Maschine.
In drei Rundgängen gaben sie in der vergangenen Woche Einblick in ihr Verfahren. Der Röthenbacher Stadtrat, die Bürgermeister der Region und eine Gruppe aus Vertretern zahlreicher Firmen, wie Eugen Wexler, Glimpel, Graphite Cova und Co. besichtigten die mobile Pilotanlage, die auf einem Hänger neben einem der Röthenbacher Klärbecken steht. Dort werden bei Hochbetrieb zurzeit rund 40 000 Liter Wasser pro Stunde durch die Anlage gepumpt und laufen durch die Hydrozyklone von Ecofario.
Teilchen trennen sich durch Gravitation
Von außen sehen diese aus wie große Rohre, in die von oben das Wasser gedrückt wird. Dadurch, dass der Einfluss etwas größer ist als der Ausfluss und durch ein kleineres Rohr in der Mitte des Zyklons, gerät das Wasser in einen schnellen spiralförmigen Fluss, in dem sich die Teilchen je nach Dichte trennen. Das schwerere Wasser treibt nach außen, das leichtere Mikroplastik treibt nach innen und kann abgefangen werden. Letztendlich soll es mit dem Klärschlamm verbrannt werden.
Das Prinzip des Zyklons, in Form einer Zentrifuge, wird seit Jahrzehnten angewandt, um Teilchen zu trennen, doch das Rohr im Inneren ist neu. Porkert sorgte mit seiner Erweiterung des herkömmlichen Zyklons für eine stärkere Trennkraft. „Wir können dadurch das zigfache an Teilchen und viel kleinere Partikel filtern“, so Porkert.
Seine Technologie ist nicht nur in Kläranlagen anwendbar. Sie kann auch Öl von Meerwasser trennen, Waschwasser von Lackresten der Automobilindustrie filtern und in der Nahrungsmittelherstellung angewandt werden. Ob die Maschine auch PFOS filtern kann, müsse noch getestet werden.
Gegenüber den bisher geplanten Filtern in Kläranlagen, mit denen das Mikroplastik vom Wasser getrennt werden sollte, hat die Anlage von Ecofario einen großen finanziellen Vorteil. „Die Filter müssen gereinigt und regelmäßig ersetzt werden, sie fordern eine hohe Zahl an Arbeitsstunden. Unsere Maschine dagegen muss nur ab und an gewartet werden“, sagt Porkert.
Röthenbach will noch warten
Der Bau dieser Maschine als vierte Stufe der Röthenbacher Kläranlage würde allerdings 500 000 bis eine Million Euro kosten. Bürgermeister Hacker erklärte dazu, dass die Stadt erst auf neue Gesetze und Förderungen der EU zur Filterung von Mikroplastik warten werde, bevor sie eine solche Anlage in Betracht zieht.
Sebastian Porkert und sein Team warten nicht auf dieses Gesetz und die EU-Förderung, sondern hoffen auf neue Partner, die in die Firma investieren. Sie haben den Bau ihrer Pilotanlage mit Krediten finanziert, zahlen sich aktuell kein Gehalt und arbeiten neben Ecofario Vollzeit in ihren Berufen. „Dafür muss man schon ein bisschen bescheuert sein“, sagt Porkert, aber es gehe ja um die Vision: Meere, Seen und Flüsse frei von Mikroplastik.