NÜRNBERG – Wie berichtet verstarb vor wenigen Wochen der Anführer der jüdischen Nakam-Terrororganisation, Joseph Harmatz, die im April 1946 eine Racheaktion an SS-Leuten in einem Lager in Nürnberg-Langwasser durchführte. Bis dato ging man von offizieller Seite davon aus, dass bei diesem Anschlag – die Rächer vergifteten dabei 3000 Brote, die für die 12.000 bis 15.000 Kriegsgefangenen bestimmt waren – niemand ums Leben kam. Doch sowohl Quellen internationaler Medien als auch Zeitzeugenberichte sprechen eine andere Sprache. Zwar wäre das Ausmaß dieses Anschlags nicht vergleichbar mit dem der ungeheuerlichen Gräueltaten der Nationalsozialisten, doch sollten Anhaltspunkte für eine Neubewertung der Ereignisse nicht unter den Teppich gekehrt werden, weil sie von historischem Interesse sind.
Dass es der amerikanischen Lagerverwaltung nicht hätte gelegen sein können, wenn bekannt geworden wäre, dass unter ihrer Aufsicht in dem „Stalag 13″ genannten Camp Massenmorde geschahen, liegt nahe. Darauf bezieht sich auch ein Artikel in der „San Diego Jewish World von Joe Spier (1. März 2016), in dem es bezogen auf den Fall in Langwasser heißt „However, the U.S. had every reason to cover up deaths occurring under their watch“ – „Die Amerikaner hatten jedoch jeden Grund, Todesfälle, die unter ihrer Aufsicht geschahen, zu verdecken“. In verschiedenen Veröffentlichungen wurde zwar bald nach der Attacke behauptet, niemand sei zu Tode gekommen. Ermittlungen der Nürnberger Staatsanwaltschaft, die 1999 aufgenommen wurden, stellte die Behörde wegen „außergewöhnlicher Umstände“ bereits 2000 wieder ein. Dennoch stellt sich die Frage, ob es geglückt sein kann, zahlreiche Todesopfer geheim zu halten, wenn es sie denn gegeben hat. Die Version, dass nur Hunderte von Gefangenen erkrankten und später wieder gesund wurden, rief selbst in einem amerikanischen Untersuchungsbericht laut Associated Press Zweifel hervor, angesichts der Mengen an Arsen, das auf die Brote gestrichen wurde.
„Einige hundert“ Tote
Nicht zuletzt Joseph Harmatz selbst bedauerte laut britischem „Observer“ (1998) und „The Telegraph“, dass nur „300 bis 400″ bzw. „einige Hundert“ bei diesem Angriff gestorben seien. Von Hunderten von Toten berichtete auch der SPIEGEL (Nr. 52/1968, Seite 110): „Im April 1946 wollte die Geheimgruppe ‚Nakam‘ (‚Rache‘) aus Lublin 36.000 SS-Leute in einem Nürnberger Internierungslager durch die Aktion ‚Todesbrot‘ vergiften. Das Unternehmen wurde monatelang mit wissenschaftlicher Akribie vorbereitet, scheiterte aber an den Nachtwächtern der Großbäckerei. Da sie die Eindringlinge jedoch für Diebe hielten, kamen immerhin etwa 2000 mit Arsen präparierte Brotlaibe in die Proviantausgabe. Rund 4300 SS-Leute brachen mit Krämpfen zusammen, zwischen 700 und 800 starben in Krankenhäusern.“ Dies deckt sich auch mit Aussagen von Überlebenden des Anschlags. Der Feldwebel Andreas Lösch aus der Oberpfalz, der von 1945 bis 1947 als Kriegesgefangener in Stalag 13 lebte, berichtet in seinen Aufzeichnungen ebenfalls von dieser Zahl an Todesfällen: „1946 war 2x eine Brotvergiftung mit Arsengift daran verstarben 700 -800 Kameraden.“
Ganz in der Nähe des ehemaligen Lagers, das an ein freies Feld in Moorenbrunn grenzt, wurden vor Jahrzehnten von Kindern zahlreiche menschliche Knochen gefunden. Susanne Feyerabend (1967), die damals als Kind dort spielte, erinnert sich an einen frisch aufgeschütteten Lärmschutzwall nahe der neu gebauten A 73 mit den Koordinaten 49,3985/11,0769, wo alle paar Meter menschliche Knochen aus der Erde ragten. Ein Zeuge, der nicht genannt werden möchte, hat Ähnliches beobachtet. Ob diese Erfahrungen in den 80er Jahren tatsächlich mit einer möglicherweise massenhaften Ermordung deutscher Kriegsgefangener 1946 zusammenhängen, wäre zu prüfen. „Mit modernen wissenschaftlichen Methoden wie der Isotopen-Analyse lassen sich Alter und Herkunft auch solch alter menschlicher Überreste bestimmen“, weiß der ehemalige Terrorismus-Bekämpfer Roland Geisler, der im Zuge von Recherchen für einen Kriminalroman seiner Serie „Dadord in Frangn“ auf die Problematik stieß.