Neues aus dem Museum

Bürstenmacher mit Handicap

„Das ist alles Wertarbeit“, Hermann Wiesand zeigt die Präzisionsarbeit seines Vaters.
„Das ist alles Wertarbeit“, Hermann Wiesand zeigt die Präzisionsarbeit seines Vaters.2013/02/buerstenmuseumwiesand_New_1360142102.jpg

BURGTHANN – Ein Oberferriedener hält das Andenken seines Vaters und dessen Vaters hoch und zeigt ihr Erbe im Burgthanner Museum. Darunter das Werkzeug von Vater Michael. Der war Bürstenmacher und ein ganz und gar ungewöhnlicher: Der blinde Mann konnte nur mit einem Arm arbeiten.

Auf der hölzernen alten Werkbank reihen sich kleine Ballen von Kokosfasern, Rosshaaren und Sauborsten aneinander. Daneben haben eine Spindel, Draht und rechteckige, löchrige Holzstücke ihren Platz gefunden. „Hier ist alles zum Anfassen“, sagt Hermann Wiesand, breitet die Arme aus und deutet auf die kleine Bürstenwerkstatt seines Vaters, die seit drei Jahren ein neues Zuhause im Kanal- und Heimatmuseum Burgthann hat.

Die Besuchergruppe, diesmal die Mitglieder der SPD-Arbeitsgruppe 60-Plus, staunt nicht schlecht. Die Utensilien, die da unter dem Dach der Burgthanner Burg so liebevoll präsentiert werden, sind keine gewöhnlichen Gegenstände. Denn Wiesands Vater Michael war kein herkömmlicher Bürstenmacher. Der Oberferriedener war blind, sein linker Arm war außerdem steif. Die Werkstatt ist deshalb extra auf Michael Wiesands Bedürfnisse zugeschnitten worden.

Der Oberferriedener gab trotz seiner Verletzungen nicht auf, ernährte mit seiner Arbeit seine Familie und bewies Erfindungsreichtum: So ersann er eine Wasserwaage für Blinde, die mit einem hängenden Holzstock anzeigt, ob alles im Lot ist.

Auf die Tatkraft seines Vaters ist der Junior noch heute stolz – und auf die Qualität der Produkte. „Das ist alles Wertarbeit“, sagt Wiesand und zeigt den Besuchern einen Bürstenkopf, deren Borsten mit Draht penibel für die Ewigkeit fixiert sind.

Die Verletzungen hatte sich der Vater im Krieg geholt. Als 25-Jähriger war er als Kradfahrer in Russland stationiert. Wegen der Kälte war kein Motor zum Laufen zu bringen und der junge Mann zu einem Geschütz abkommandiert worden. Als ein Rohrkrepierer in unmittelbarer Nähe explodierte, überlebte Wiesand als einziger Mann seiner vierköpfigen Besatzung.

Die Verletzungen waren schwer: Das Pulver war am ganzen Körper versprengt, das linke Auge total zerstört. Auch das rechte konnte später nicht mehr gerettet werden. An der linken Hand waren nur noch die beiden kleinen Finger vorhanden, im ganzen Körper steckten Metallsplitter.

Nach Klinikaufenthalten in Smolensk und Breslau fing Michael Wiesand 1944 eine Ausbilung in Tirschenreuth an. Beim legendären Meister Kunz, einem ebenfalls im Krieg erblindeten Soldaten, der sich als Bürstenmacher über die Grenzen des Gäus einen Namen gemacht hatte. 6000 Kriegsblinde brachte der Krieg hervor. 300 allein in Mittelfranken.

Eine Lehre reichte dem 25-Jährigen nicht: Daneben ließ sich Wiesand an der Schreibmaschine, der Steno- und Bogenschreibmaschine ausbilden – mit einer Hand kein leichtes Unterfangen.

Am Weihnachtsfest 1944 ging es dann für den Kriegsverletzten nach Oberferrieden zu seiner Familie, wo er seinen Sohn Hermann kennenlernte. Noch in den Kriegswirren wurde dem Versehrten die Werkstatt mit allen Arbeitsgeräten, Maschinen und Materialien zugeschickt. Ein Unterfangen, das nach Kriegsende nicht mehr möglich gewesen wäre.

Sohn Hermann erinnert sich noch gut an den Geruch in der Werkstatt, das Aussehen der Gegenstände. Ihm gefiel es zwischen den Bürsten. Er sah seinem Vater oft zu. Besonders gern saß der Knirps auf dem Drehstuhl seines Vaters. „Da war ich der King von Oberferrieden“, sagt er und hält kurz inne als wäre er vorübergehend an einen anderen Ort gereist. „Wir hatten damals ja nichts, da war so ein Stuhl die Attraktion im Dorf.“

Ruhezeiten waren weder Sache des aufgeweckten Juniors noch von Michael Wiesands und so reiste der Senior bereits im Frühsommer 1946 nach München, um dort bei der Ausbildung seines Blindenhundes Cäsar zu helfen. Seine letzte Bürstengarnitur fertigte der ehemalige Soldat 1973 als Hochzeitsgeschenk für seine Tochter an. Bis 1978 arbeitete er als Telefonist bei den Fella-Werken. Zwei Jahre nach seinem Tod brachte Sohn Hermann das handwerkliche Erbe seines Vaters in die Burg nach Burgthann.

Dort sind noch mehr Hinterlassenschaften des Wiesand-Clans zu bewundern: Michael Wiesands Vater war Bader, bei allen nur Booder Vadder bekannt. Das bunte Spektrum von Rasieren, Ohrlöcher stechen, Wunden versorgen, Zähne ziehen, Geburtshilfe bis hin zur Leichenschau gehörten zu seinem Metier. Die meiste Zeit war er zu Fuß in der Region unterwegs. Der Enkelsohn hat dort noch so einige Geschichten von seinem tollkühnen Opa zu erzählen.

Kai Mirjam Kappes

Weitere Infos und Führungen unter  www.burgverein-burgthann.de

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