Homeoffice, das geschlossene Fitnessstudio, wenig Sozialkontakte: In Coronazeiten wird Alkohol schnell zum treuen Begleiter. Wir haben darüber mit Ralf Frister gesprochen. Der 52-Jährige ist Bereichsleiter Suchthilfe beim Diakonischen Werk Altdorf-Hersbruck-Neumarkt.
Herr Frister, im Lockdown schenkt man sich abends doch gern mal aus Frust oder Langeweile ein Bierchen ein, oder?
Wir sprechen hier von Bier. Bierchen hat so eine Bagatellisierungstendenz, das fängt schon bei so semantischen Feinheiten an. Wenn mir Menschen in der Beratung erzählen, „Ich hab doch nicht mehr als zehn Bierchen getrunken“, dann stimmt was nicht.

Ab welcher Menge muss ich aufpassen? Ab wann sollte man seine Trinkgewohnheiten hinterfragen?
Kritisch würde ich alles sehen, was eine große Regelmäßigkeit entwickelt. Frauen sollten täglich nicht mehr als etwa zehn Gramm reinen Alkohols, Männer nicht mehr als 20 Gramm zu sich nehmen. 20 Gramm Alkohol entsprechen zirka einem 0,5er-Glas Bier. Diese Mengen gelten momentan als unbedenklich. Eine Steigerung ist riskant und kann zu missbräuchlichem Verhalten, im schlimmsten Fall zur Abhängigkeit und damit körperlichen Beeinträchtigungen führen. Wichtig ist, dass Trinkpausen eingelegt werden. Zwei Tage pro Woche wäre gut.
Mehr als nur Genuss
Wenn ich nicht ganz auf Alkohol verzichten möchte, was ist die „bessere“ Variante? Jeden Tag in Maßen oder einmal pro Woche über die Stränge schlagen?
Generell gilt: Auf keinen Fall mehr als fünf Trinkeinheiten auf einmal. Alkohol ist ein Genussmittel. Aber bei fünf Gläsern Bier geht es nicht mehr um Genuss, da steht eindeutig die berauschende Wirkung im Vordergrund. Man sollte sich dann die Frage stellen: Warum muss ich mich einmal pro Woche betrinken? Auch hier gilt: Gewohntes Verhalten unterbrechen! Und sich beobachten: Was passiert, wenn ich das Bier oder den Wein zur Sportschau mal weglasse? Unruhe kann ein Indiz für Gewöhnung sein.
Kommen beziehungsweise kamen während des Corona-Lockdowns mehr Menschen auf Sie zu, die sich Gedanken über ihr Trinkverhalten machen?
In der Coronakrise wenden sich vermehrt Menschen an unsere Beratungsstelle wegen des „alten Problems“. Oft können die Betroffenen gar keinen unmittelbaren Zusammenhang herstellen. Erst über ein Gespräch stellt sich dann heraus, dass die Pandemie eine zusätzliche seelische Belastung darstellt und das bereits vorhandene Problem verschärft. Der Griff zu Suchtmitteln oder vermehrte Rückfälligkeit kann aber auch nach einer Phase der Anspannung passieren. Ich habe mich bemüht, Corona gut zu überstehen, was mir gelungen ist. Jetzt fällt der Druck von mir ab und die Gefahr, erneut zu trinken, nimmt zu.
„Neukunden“ nehmen zu
Wenn ich Sie richtig verstehe, sind es aber bereits vor allem bekannte Klienten, die sich gerade an Sie wenden?
Ja, aber auch die „Neukunden“ nehmen spürbar zu. Das kann allerdings auch saisonal bedingt sein, in der dunklen Jahreszeit merken wir das häufiger.
Kommen die Betroffenen von selbst, wenn sie erkennen, dass sie ein Suchtproblem haben, oder braucht es andere, den Partner zum Beispiel, um diesen Schritt zu tun?
Ich bin jetzt seit über 20 Jahren in der Suchtberatung tätig und die Leute, die von sich aus kamen, kann ich an einer Hand abzählen. Bei den allermeisten geben die Familie, der Arbeitgeber oder der Hausarzt den Ausschlag. Sie wenden sich häufig mit einem halben oder gar einem Jahr zeitlichem Versatz an uns.
Hilfe per Telefon
Wie können Sie angesichts der momentanen Einschränkungen in der Beratung überhaupt arbeiten?
Zurzeit passiert die meiste Beratungsarbeit übers Telefon. Klienten, die damit nicht klar kommen, können in Krisen weiterhin persönlich beraten werden. Die Hygienekonzepte in unserer Einrichtung sind streng, niemand muss Angst haben, krank zu werden. Leider haben die Selbsthilfegruppen meines Erachtens aktuell keine Möglichkeit, zusammenzukommen. Hier werden ebenfalls das Telefon oder soziale Medien genutzt, um die Betroffenen oder Angehörigen zu unterstützen und es ist gut, dass es diese Formen gibt.
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Wie viele Menschen berät das Diakonische Werk Hersbruck-Altdorf-Neumarkt jährlich zum Thema Alkoholabhängigkeit?
Jedes Jahr kommen rund 600 Menschen, Betroffene und Angehörige, zu uns, um sich unterstützen zu lassen. Dabei geht es aber nicht immer „nur“ um Alkoholabhängigkeit, sondern auch um illegale Substanzen, Spielverhalten oder missbräuchlichen Konsum. Generell ist unsere Beratung zieloffen, das heißt, es wird nichts verordnet, sondern es werden gemeinsam Ziele formuliert.
Alternativen zum Alkohol
Haben Sie einen Tipp: Statt mir das Corona-Feierabendbier oder den Corona-Feierabendwein zu genehmigen, was kann ich alternativ tun?
Sich ruhig etwas Gutes tun, zum Beispiel in Form eines schönen Essens. Neugierig bleiben, sich fragen, gibt es alkoholfreie Alternativen? Und der „Versuchung“ der Vereinsamung widerstehen, soziale Kontakte suchen, Entspannungsmöglichkeiten entdecken und etablieren. Es hilft, wenn ich schon vor Corona wusste, was mir gut tut, was für Ausgleich sorgen kann.
Aber ist nicht genau das im Moment schwierig? Wenn ich eben nicht zum Fußballtraining kann…
Auch hier gilt: Alternativen suchen. Spazieren gehen statt Fußball, sich aufs Rad setzen, wenn es die Witterung erlaubt. Erkennen, ich muss jetzt tätig werden. Auf keinen Fall die seelische Gesundheit vernachlässigen, das gilt für alle psychischen Erkrankungen.