OBERFERRIEDEN. Der legendäre Bayerntrainer Louis van Gaal hat sich in seiner Meisterrede 2010 als Feier-Biest bezeichnet. Und Edmund Stoiber – das soll der Niederländer damals gesagt haben – sei ein Redner-Biest. Im Festzelt beim Weißen Löwen in Oberferrieden zeigte sich, welches Biest van Gaal seinerzeit meinte. Stoiber, inzwischen 77 Jahre alt, hat nichts von seinen rednerischen Gaben eingebüßt.
Im Guten wie im Schlechten: Der ehemalige Ministerpräsident packt sein Publikum zuerst einmal mit seiner Stimme, leise, bedächtig, erzählend, dann lauter, mahnend, drängend, schließlich empört mit dem Mund ganz nah am Mikro, so dass es kracht im Zelt. Der kann reden, der Stoiber, raunen sich die Leute zu und verfolgen, wie der Redner seine Sätze mit den Händen unterstreicht, nicht fuchtelnd, sondern rhythmisch, ganz so, als täte da ein Dirigent seine Arbeit. Wir sind jetzt in der Einleitung des Abends über Europa, ein Stammtisch der CSU in Oberferrieden im Vorfeld der Europa-Wahlen.
Der CSU-Ortsvorsitzende Thomas Ritter hat Edmund Stoiber begrüßt und sitzt zusammen mit ihm, dem Burgthanner Bürgermeister Heinz Meyer und Tobias Winkler, dem Leiter des EU-Verbindungsbüros in München, am Podium. Stoiber erhält das Wort – und gibt es nicht mehr her. Weil er so viel zu sagen hat zu Europa. Zu den verschiedenen Mentalitäten etwa auf dem alten Kontinent. Und dann zu den verschiedenen Mentalitäten bei der SPD. Zu Kevin Kühnert etwa („Absoluter Wahnsinn“), der mal eben BMW verstaatlichen will („Was haben die in der DDR für herrliche Autos gebaut“) und zu Johannes Kars, der sich fragt, was sein Juso-Vorsitzender denn geraucht hat.
Wohlfeil, aber inhaltsleer
Dem Publikum gefallen solche Abschweifer vom Thema Europa in die Innenpolitik, weil man die großen Sätze ja schon tausendmal gehört hat: Dass Europa die Freiheit garantiert, die Meinungsfreiheit wie die Berufsfreiheit, dass andere Menschen auf der Welt eben diese Freiheit nicht haben. Stoiber weiß das. Die großen Schlagworte, wenn es um Europa geht, sind wohlfeil, aber seltsam inhaltsleer. „Europa ist immer noch eine Kopfsache“, sagt er, „noch keine Herzenssache.“
Fast eine Herzenssache der Deutschen war denen ihre alte D-Mark, die ihnen aber Theo Waigel und dessen europäische Kollegen seinerzeit wegnahmen und ihnen dafür den Euro bescherten. Trotz aller Kritik an der Gemeinschaftswährung sei die aber eine Erfolgsgeschichte für Deutschland, betont Stoiber. Und die EU sei der Garant dafür, dass Deutschland im Streit um Zölle mit den USA etwa eine stärkere Position haben.

Als Thomas Ritter verstohlen auf die Uhr schaut, ist den Insidern im Zelt klar, dass Stoiber den Zeitplan der Organisatoren gehörig durcheinander gebracht hat. 60 Minuten hat da seine Einleitung schon gedauert. Das Gespräch mit dem Publikum hat da noch gar nicht begonnen. Jetzt also los mit den Publikumsfragen: Wo geht es mit der EU in den nächsten zehn Jahren hin? „Wir müssen unsere Politik vergemeinschaften, die Ressourcen von Deutschland, Frankreich und Italien zusammen legen“, sagt Stoiber und klingt da ein bisschen wie Macron.
Weltweit müsse Europa als der Kontinent der Menschenrechte auftreten, als Gegenpol zu China.
Soll die Türkei in die EU aufgenommen werden? Ein klares Nein von Stoiber. Die Türkei habe sich völlig verändert und erfülle nicht die Kriterien für einen Beitritt zur EU. Warum gibt es denn einen Ausverkauf in Richtung China, Stichwort Kuka? „Das lassen wir nicht mehr zu“, betont der ehemalige Ministerpräsident.
Warum hat die EU die Urheberrechtsreform durchgesetzt? Das Thema und die Bedenken habe man in der CSU nicht ernst genug genommen, sagt Stoiber. Jetzt müsse man alles daran setzen, zu verhindern, dass Uploadfilter zur Zensur im Internet führen.
Europa ist zwar zentrales Thema der Veranstaltung mit Edmund Stoiber, richtig spannend wird es im Zelt aber dann, wenn der Elder Statesman aus dem Nähkästchen plaudert. Etwa bei seiner Schilderung der Moskau-Reise mit Franz-Josef Strauß im Jahr 1987.
Als Chef der Staatskanzlei bekam er am Heiligen Abend den Anruf seines Chefs: Gorbatschow habe in den Kreml eingeladen, am zweiten Weihnachtstag.
Als Strauß der Sprit ausging
Die Maschine nach Moskau steuerte Strauß dann selbst. An Bord außerdem Waigel, Tandler und Stoiber, die unterwegs mit anhören mussten, wie sich ihr fliegender Chef mit dem Co-Piloten stritt. Der wollte zurück nach Minsk fliegen, weil das Flugzeug angeblich nicht mehr genügend Kerosin hatte.
Strauß wollte weiter und setzte sich durch, so dass die Bayern bei grausigem Wetter in Moskau landeten und von Außenminister Shewardnadse empfangen wurden. Dann die berühmte Frage Gorbatschows am nächsten Tag im Kreml: Ob Strauß denn das erste Mal in Russland sei. Lachen im Publikum, als Stoiber die Antwort seines Chefs erzählte. Nein, hat der gesagt. Das erste Mal ist er bis Stalingrad gekommen.
Und wie kam Stoiber nach Oberferrieden? Die Einladung der Burgthanner CSU war eine der ersten, die Anfang des Jahres auf seinem Schreibtisch landete. Oberferrieden? Burgthann? Nürnberger Land?
„Ich habe dann mit Markus Söder gesprochen“ erzählt Stoiber. „Und der hat gesagt: Da musst du hin.“