FEUCHT – Der Runde Tisch Hospizarbeit im Landkreis ist ein Netzwerk verschiedener Organisationen, unter anderem der Hospizinitiative der Caritas und des Vereins Rummelsberger Hospizarbeit, die sich in vielfältiger Hinsicht mit Sterbebegleitung beschäftigen. Naturgemäß stehen dabei zumeist der Schwerstkranke und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt. Da aber auch die pflegenden Angehörigen unter massiver Belastung stehen, hat der Zusammenschluss zu einem Vortrag ins evangelische Gemeindehaus geladen, bei dem der Fachmann Dr. Martin Weiß die Problematik von Verantwortung und Schuld der Familienmitglieder oder Freunde in den Fokus rückte.
„Wollen Sie ihn sterben lassen? – Leben mit dem Sterben des anderen“ war der provokante Titel des Referats, das der Lebensberater, Männerforscher und Dozent für ethische Fragestellungen Weiß in großer Ausführlichkeit der leider etwas schwach vertretenen Öffentlichkeit erläuterte. Zuvor hatten Diakon Johannes Deyerl, Koordinator Rummelsberger Hospizarbeit, stellvertretende Landrätin Cornelia Trinkl, Mitglieder des Netzwerkes und Hausherr Pfarrer Roland Thie die Gäste begrüßt und auf die Bedeutung der Hospizbewegung hingewiesen, auf die „unschätzbare“ Arbeit, die geleistet werde, aber auch auf die Belastungen der Pflegenden.
Emotionale Verstrickungen
Anhand von zwei Fallbeispielen verdeutlichte Weiß in seinem Vortrag einen häufigen Konflikt, dem Angehörige schwer Kranker ausgeliefert sind. Sie stehen in verschiedenen Spannungsfeldern, wenn es etwa um die klassische Frage der künstlichen Ernährung geht. Da will die Heimleitung die Sonde legen, weil sich die Pflegekräfte nicht die Zeit nehmen können, mit Ruhe und Geduld zu füttern, da ist der eigene Anspruch, den Willen des Betroffenen durchzusetzen, ja manchmal ihn erst zu erkennen, da sind die Schuldgefühle, wenn man sich dem dringenden Rat des Arztes beugt, obwohl man sich nicht sicher ist, ob die Entscheidung die richtige ist, und dann wird auch noch Druck von außen aufgebaut, wenn Unbeteiligte sich mit „guten Ratschlägen“ in die schwierige Angelegenheit einmischen.
Fast immer wollen die Angehörigen das Beste für den Sterbenden, sind sich aber unsicher in ihrem Tun, oft auch noch nach der nach bestem Wissen und Gewissen getroffenen Entscheidung. Zusätzlich erschwert werden solche Konflikte, wenn der Kranke seinen Willen zwar noch äußern kann oder in einer Patientenverfügung festgelegt hat, sich dieser Wille von der eigenen Überzeugung aber unterscheidet.
Es geht also ganz eindeutig um tiefe emotionale Verstrickungen, denen der Familienangehörige ausgeliefert ist. Ein Weg aus dem Dilemma ist schwierig, jedoch gibt es Hilfen, um für alle Beteiligten das Beste aus der Situation zu machen.
Dazu gehört, dass man sich auch seiner negativen Gefühle bewusst wird, dass man darüber redet, sich Informationen holt und Hilfe. Zu diesen Empfindungen gehören nicht nur die Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, sondern ganz konkrete: „Er oder sie soll doch nicht Hunger oder Durst leiden“, wenn die schwerkranke Person nicht mehr essen und trinken will oder kann. Hier ist es wichtig, zu wissen, dass Menschen an der Schwelle zum Tod diese Gefühle oft gar nicht mehr wahrnehmen, dass die Verringerung von Nahrung manchmal sogar eine Schmerzlinderung mit sich bringt.
Viel wichtiger sei in diesem Stadium eine gute Mundhygiene, z.B. durch das Befeuchten der Lippen, berichtet der Fachmann. Weitere Ängste können eher egoistischer Natur sein, etwa die Forderung: „Du kannst mich doch nicht allein lassen“, oder gar die Wut: „Warum hast du nur so ungesund gelebt, du könntest noch länger leben.“, bis hin zu Rachegefühlen: „Du hast mich so verletzt.“ Besonders Frauen neigen dazu, sich ihre eigene Überforderung mit der Pflege nicht einzugestehen und einen Burnout zu riskieren.
Erst wenn einem das Gefangensein in der eigenen Gefühlswelt bewusst wird, kann man seine persönlichen Vorstellungen hintanstellen, das Loslassen wagen und bei den Entscheidungen so weit wie möglich den (mutmaßlichen) Wunsch des Sterbenden berücksichtigen.
Ethische Fragen
Im weiteren Diskurs schnitt Weiß auch ethische Fragen an, etwa die Werte der beiden Pole Freiheit/Selbstbestimmung und Lebensschutz oder auch: Was heißt eigentlich: „Sterben in Würde?“ Auch wenn sich diese Fragen im Rahmen eines derartigen Vortrags nicht klären lassen, so betonte der Spezialist, ist eines unbedingt ratsam, um zumindest annähernd die Wünsche Schwerstkranker in Bezug auf ihr Ende zu erkennen: Rechtzeitig miteinander über die schwierigen Themen reden, noch in Zeiten, in denen die Familienmitglieder alle fit sind. Im Laufe des Abends kristallisierte sich immer mehr heraus, dass es keine Handlungsrichtlinien gibt, sondern dass sich viele Fragen nur anhand von Einzelbewertungen beantworten und so Entscheidungen treffen lassen. Und: „Oft kann man sich nur für das kleinere Übel entscheiden“, muss der Experte einräumen.
Widersprechende Meinungen
Neben all den Ratschlägen und sich teils widersprechenden Meinungen, denen man in solchen Extremsituationen ausgesetzt ist, ist eines wichtig, betont Weiß, nämlich Mut zu zeigen, Mut zu Entscheidungen, die nötig sind, denn auch keine Entscheidung zu treffen, ist eine Entscheidung, meist die schlechteste.
Um seine Ausführungen zu veranschaulichen, unterlegte Martin Weiß sie immer wieder mit kleinen Beispielen, aus denen ersichtlich war, wie Entscheidungen getroffen werden könnten, mit denen alle Beteiligten ihren Frieden finden können, so dass selbstbestimmtes Sterben in Würde weitgehend gelingen kann, ohne am Willen des Sterbenden vorbeizuentscheiden und ohne sich selbst mit Schulgefühlen über Gebühr zu belasten.