Betriebsratsvorsitzender über das Ende von Adveo

„Sie wollten uns einschüchtern“

Betriebsratsvorsitzender Juan Devesa Fidalgo vertrat die Mitarbeiter in den Verhandlungen mit der Geschäftsleitung. | Foto: Hornung2018/04/Winkelhaid-Adveo-Devesa.jpg

WINKELHAID – Eine große weiße Fahne mit rotem Adveo-Schriftzug weht am Kreisel am Ortsausgang von Winkelhaid. Die Ränder des Stoffs sind arg ausgefranst. Der Zahn der Zeit nagt an ihr, wie die finanziellen Schwierigkeiten an Adveo. Bald hat sie ausgedient – ebenso wie die verbliebenen 56 Winkelhaider Mitarbeiter des Bürogroßhändlers. Ihr Betriebsratsvorsitzender Juan Devesa Fidalgo hat die Schlüssel für sein Büro bereits abgegeben. Er hat noch Resturlaub, den er jetzt, da die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung abgeschlossen sind, antritt. Mit ernster Miene, aber entspannter Haltung kommt er über den Hof.

Herr Devesa, Sie haben für die Belegschaft des Adveo-Lagers in Winkelhaid die abschließenden Verhandlungen mit der Geschäftsleitung geführt. Was haben Sie ausgehandelt?

Juan Devesa Fidalgo: Alle bekommen eine Abfindung. Man kann aber keinen Prozentsatz sagen. Normalerweise liegt der im Raum Nürnberg bei 0,3. In München ist er höher, bei 0,5. 0,5 bedeutet, dass ein Mitarbeiter die Hälfte seines Monatsgehalts pro Jahr Betriebszugehörigkeit als Abfindung bekommt. Wir haben aber keinen Prozentsatz in dem Sinne ausgehandelt, sondern über einen Geldbetrag gesprochen, der dann verteilt wurde – unter Berücksichtigung des Alters, der Betriebszugehörigkeit, von Kindern und einer möglichen Schwerbehinderung. Wir haben den Betrag also sozialverträglich angepasst. Wer älter ist, bekommt etwas mehr. Jüngere bekommen etwas weniger, weil sie wahrscheinlich schneller eine Arbeit finden werden. Eine Abfindung ist immer individuell. Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben, wie hoch die zu sein hat.

Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Devesa Fidalgo: Es könnte mehr sein. Natürlich wollten wir gerne 0,5 plus die Zuschläge für Kinder oder Schwerbehinderung, aber das war nicht machbar wegen der finanziellen Lage der Firma. Im Großen und Ganzen sind wir schon stolz auf das, was wir ausgehandelt haben. Wir sind mit unserem Schnitt über dem 0,3-Durchschnitt in Nürnberg. Durch die Verteilung ist es aber für jeden anders.

Wie liefen die Gespräche?

Devesa Fidalgo: Wir haben vier Tage verhandelt. Einmal sind wir zehn Stunden drin gesessen. Adveo wollte schnellstmöglich schließen, weil das Unternehmen derzeit einen mittleren sechsstelligen Betrag Miese pro Monat macht. Derzeit liegen wir unter 50 Prozent, von dem was die Geschäftsführung in der Budgetplanung ausgearbeitet hatte. Uns war aber auch daran gelegen, dass die Verhandlungen schnell gehen, damit die Mitarbeiter auf jeden Fall noch ihre Abfindung bekommen. Nicht dass die Firma dann doch Insolvenz anmeldet.

Stand die Möglichkeit einer Transfergesellschaft im Raum?

Devesa Fidalgo: Eine Transfergesellschaft stand bei den abschließenden Verhandlungen nicht mehr zur Debatte. Wir hatten schon vorher eine Informationsveranstaltung für die Belegschaft organisiert. Danach gab es eine anonyme Abstimmung, in der aber nur dreizehn Mitarbeiter Interesse gezeigt haben. Das waren zu wenige. Das hat sich für den Arbeitgeber nicht gelohnt.

Wer war alles bei den Verhandlungen dabei?

Devesa Fidalgo: Christian Gläser, der Interimspersonalchef, die Anwältin der Firma, wir als Gremium mit fünf Betriebsratsmitgliedern und unser Anwalt sowie die Gewerkschaftsvertreterin von Verdi. Der Geschäftsführer Pelka ist nur am letzten Tag für die Unterschrift gekommen und um der Belegschaft mitzuteilen, dass eine Einigung erzielt wurde.

Werden die individuellen und gesetzlichen Kündigungsfristen eingehalten?

Devesa Fidalgo: Die Kündigungsfristen werden eingehalten. Das ist ja unterschiedlich je nach Betriebzugehörigkeit. Wir haben ca. 20 Mitarbeiter, die sechs Monate Kündigungsfrist haben. Die werden ab 21. April freigestellt, bekommen weiter ihren Lohn.

Wie viele Mitarbeiter sind es aktuell noch? Die Zahl hat in den letzten Monaten deutlich abgenommen.

Devesa Fidalgo: Aktuell haben wir noch 56 Mitarbeiter. Mitte letzten Jahres waren es noch 81 Angestellte. Seitdem sind viele Verträge ausgelaufen. Einige haben auch gekündigt, weil sie in der Zwischenzeit eine andere Stelle gefunden haben.

Bereits Anfang Dezember kursierte im Betrieb die Information, Adveo wolle Ende April schließen. Gleichzeitig erhielten die Mitarbeiter ein Schreiben, in dem ihnen mitgeteilt wurde, das Weihnachtsgeld, das ausgesetzt werden müsse, werde Mitte dieses Jahres ausgezahlt. Wie haben die Mitarbeiter reagiert? Hat sich diesbezüglich etwas getan?

Devesa Fidalgo: Ja, das Weihnachtsgeld hat Adveo mit dem Gehalt von Februar gezahlt. Dazu muss man aber sagen, dass etwa 30 Klagen über die Gewerkschaft gegen Adveo am Laufen waren. Adveo ist tariflich verpflichtet, Weihnachtsgeld zu zahlen. Auch in Höver, wo das Weihnachtsgeld ebenfalls ausgesetzt wurde, hatten sie bereits etliche Klagen am Laufen. Die sind dann nicht zur Vollstreckung gekommen, weil Adveo eingelenkt und das Geld im Februar ausbezahlt hat. Die Mitarbeiter haben ihre Klagen dann zurückgezogen.

Die Manager haben sich zuletzt quasi die Klinke in die Hand gegeben: Detlef Hentzel wurde im Oktober letzten Jahres von Interimsgeschäftsführerin Susanne Möcks-Carone abgelöst, für die im Februar Sven Pelka die Leitung übernahm. Wie hat sich das auf die Kommunikation zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ausgewirkt?

Devesa Fidalgo: Es war schwierig. Vor allem mit Herrn Pelkas Vorgängern, wobei ich eigentlich nur Susanne Möcks-Carone kennengelernt habe. Mit Herrn Pelka ist es etwas besser geworden. Er ist kommunikativer und hat uns nach Hannover eingeladen, als Informationsveranstaltungen anstanden. Frau Möcks-Carone kommt aber auch aus einer völlig anderen Branche. Herr Pelka kommt zumindest auch aus der PBS-Branche. (Papier, Büro und Schreibwaren, Anm. d. Red.) Er hat vorher bei Office Depot gearbeitet.

Wurden Sie als Betriebsrat oder die Gewerkschaft rechtzeitig informiert?

Devesa Fidalgo: Nein. Die Schließung wurde uns im Februar ganz zum Schluss kommuniziert als die Entscheidung schon stand. Am Freitag haben sie eine Email geschrieben und uns zu einem Termin am Montag eingeladen und da wurde es uns dann gesagt. Es war wirklich der spätestmögliche Zeitpunkt, zu dem der Betriebsrat hätte informiert werden können. Im Dezember haben sie uns nach Höver eingeladen und wollten uns zu den Gesprächen mit dazu holen, haben uns aber eine Verschwiegenheitserklärung vorgelegt, die wir hätten unterschrieben sollen. Wir haben uns als Gremium und mit dem Betriebsrat Höver geeinigt, es nicht zu unterschreiben, und so sind wir über diese Formalie nicht hinaus gekommen. Die ersten Planungen und Überlegungen wurden ohne uns geführt. Und das obowhl eine Betriebsstilllegung nicht in die Verschwiegensheitspflicht eines Arbeitsnehmers oder Betriebsrates fällt. Ich vermute, sie wollten uns einschüchtern.

Wie waren die Reaktionen der Belegschaft, als Adveo die Schließung Anfang Februar bekannt gab?

Devesa Fidalgo: Die Mitarbeiter haben es schon erwartet, waren dann aber doch sehr ernüchtert.

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Die Schließung wird den Adveo-Kunden in Pressemeldungen und Management Informationen relativ blumig verkauft, als „ein Schritt vorwärts im Prozess zur Effizienzsteigerung“ und aus „wirtschaftlichen, produktiven und organisatorischen Gründen“ gerechtfertigt. Was sagen Sie dazu?

Devesa Fidalgo: Da kenne ich mich nicht wirklich aus. Aber nach Österreich liefern sie jetzt in 48 Stunden. (Vorher waren es 24 Stunden. Anm. d. Red.) Anscheinend können die Fachhändler in Österreich, die von Adveo noch beliefert werden, das akzeptieren. Aber bitter ist es natürlich schon, wenn man die Konkurrenz von Adveo sieht. Soennecken baut ein zweites Lager bis 2020. Büromarkt Böttcher hat 35 Millionen investiert und seinen Mitarbeitern eine Gratifikation ausgezahlt. Es läuft trotzdem in der Branche. Andere machen es eben anders oder besser.

Auch mit den Lieferungen hat es Schwierigkeiten gegeben. War der Grund dafür die Einführung des neuen SAP-Warenwirtschaftssystems?

Devesa Fidalgo: Auch wenn die offizielle Aussage ist, alles sei gut, die Einführung von SAP ist in Deutschland nicht optimal gelaufen. Adveo ist aber selbst schuld daran. Die Firma hat nicht aus vorherigen Fehlern gelernt. Adimpo Spanien hat schon vor fünf, sechs Jahren SAP eingeführt und auch da ist das Geschäft komplett eingebrochen, weil Bestellungen nicht rausgegangen sind, Rechnungen falsch waren. Adveo hat die gleichen Fehler wieder gemacht.

Laut Adveo werden seit Dienstag, 3. April, so gut wie alle Lieferungen aus Höver getätigt. Welche Aufgaben kommen in den verbleibenden beiden Wochen auf die Belegschaft in Winkelhaid zu?

Devesa Fidalgo: Vereinzelte Aufträge werden noch von hier geliefert. Das meiste wird jetzt aber schon für das andere Lager in Höver zusammengestellt, die Waren also in Kartons verpackt und weiter geschickt. Außerdem wird die Halle sauber gemacht.

Der Mietvertrag von Adveo mit der Eigentümerin der Halle in Winkelhaid, Palmira Capital Partners, einer Immobilienfirma mit Sitz in Frankfurt, läuft noch bis 2021. Adveo sucht derzeit einen Nachmieter. Ist da etwas bekannt?

Devesa Fidalgo: Adveo kümmert sich aktuell darum einen Nachmieter zu finden, es gibt aber noch keinen. Wenn das Unternehmen einen Nachmieter hat, kommt es aus dem Vertrag raus. Es gibt einen Interessenten, der 15 bis 20 Mitarbeiter übernehmen würde. Ob das klappt, hängt jetzt an der Immobilienfirma.

Nach dem Gespräch geht der Betriebratsvorsitzende wieder durch das grüne Eisentor aufs Firmengelände von Adveo. Er will sich von seinen Kollegen verabschieden. Er gehe mit einem mulmigen, traurigen Gefühl, sagt er. Insgesamt war er neun Jahre bei Adveo. Vier Jahre am Standort Winkelhaid und vorher fünf bei Adimpo in Nürnberg.

Adveo Deutschland ist 2011 aus einem Zusammenschluss der zwei Unternehmen Spicers und Adimpo hervorgegangen. Die Logistikhalle in Winkelhaid wurde 2001 errichtet und zunächst von Spicers genutzt.

Im Oktober 2017 hat sich Devesa Fidalgo erstmals zur Wahl für den Betriebsrat aufstellen lassen und wurde direkt zum Vorsitzenden gewählt. Zwei Tage später erfuhr er von Adveos Plänen, das Lager in Winkelhaid zu schließen.

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