81 Jobs bei Goßhändler Adveo in Gefahr

„Close Winkelhaid asap“

Wie in internen Papieren zu lesen ist, plant Adveo die Schließung seines Standortes in Winkelhaid. | Foto: Hornung2017/12/Winkelhaid-Adveo1-Kopie.jpg

WINKELHAID – Dunkle Wolken hängen über Winkelhaid. Kurz vor Weihnachten erfahren die 81 Mitarbeiter von Adveo, dass sie bald ihren Job verlieren könnten. „Close Winkelhaid warehouse asap“, „Lager Winkelhaid so bald wie möglich schließen“, steht in dem internen Dokument, das dem Boten zugespielt wurde. Die Geschäftsführung mauert. Der Logistikchef und ein Teamleiter wollen sich dazu nicht äußern. Zwei Lagermitarbeiter aber haben mit uns gesprochen und sich ihren Frust von der Seele geredet.

Ein schneidender Wind fegt über den großen Parkplatz mit den riesigen Toren, an denen Waren auf Lkws verladen werden. Die Lagerhalle in Winkelhaid ist einer der zwei deutschen Standorte von Adveo, Großhändler für Bürobedarf. Die Konzernmutter hat ihren Sitz in Spanien. Vor drei Jahren wurde sie abgewendet, die Zusammenführung der beiden Logistikstandorte von Adveo Deutschland in Winkelhaid und Sehnde-Höver bei Hannover. Zunächst hatte das Unternehmen monatelang intern für eine Zusammenlegung geworben, sich dann aber wieder von der Idee verabschiedet.

Zwei-Lager-Strategie

Eine Überprüfung der Logistikabläufe in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut hatte ergeben, dass Höver zum damaligen Zeitpunkt die Ansprüche nicht hätte erfüllen können. „Die Empfehlung war, beide Standorte weiterhin zu betreiben und auszubauen. Damit können wir langfristig unseren Kunden in Deutschland und Österreich den gewohnt guten Service anbieten und ausbauen“, hat Logistikleiter Rainer Fricke sich einst zur Zwei-Lager-Strategie gegenüber dem Boss Magazin geäußert.

Jetzt bangen 81 Mitarbeiter um ihren Job. | Foto: Hornung2017/12/Winkelhaid-Adveo4.jpg

Ausbauen? Nach einem internen Dokument von Oktober 2017 sieht die Situation heute völlig anders aus: „From 2 to 1 warehouse“, von zwei Lagern zu einem. So ist dort die Strategie für 2018 beschrieben. Offenbar plant Adveo nun eine Umstrukturierung des Unternehmens, die eben doch die Schließung des Standortes Winkelhaid vorsieht. Offiziell sei aber noch nichts, lässt das Unternehmen auf Anfrage wissen. Wie ernst ist die Lage? Anruf bei der Zentrale im niedersächsischen Sehnde-Höver. Es klingelt lange, aber niemand hebt ab. Dann geht Logistikchef Rainer Fricke unter seiner Durchwahl ans Telefon. „Ich kann dazu nichts sagen. Ich bin nicht berechtigt.“ Er verweist uns an die Interims-Geschäftsführerin Susanne Möcks-Carone. Sie weile allerdings in Spanien und sei erst ab Montag für ein Statement zu haben.

Montag wird für die Winkelhaider Belegschaft von Adveo ein besonderer Tag. Für Montag haben sie eine Arbeitnehmerversammlung einberufen, auf der sie mit einer Vertreterin von Verdi sprechen wollen. Die Mitarbeiter sind dabei, sich zu organisieren. Mittlerweile sind alle 81 der Gewerkschaft beigetreten. Vielleicht wissen sie mehr, als offiziell bekannt gegeben wird.

„Wir hatten das schon mal.“

Im Vergleich zu Netto und Rewe, zwischen denen Adveo am Kreisel Richtung Ludersheim steht, wirkt die graue Lagerhalle mit dem roten Schriftzug gigantisch. Verloren wirkt dagegen der eine Lastwagen, der auf dem riesigen Parkplatz vor einem der großen Tore für Wareneingang und Warenausgang steht. Auf der anderen Seite des Gebäudes befindet sich der Mitarbeitereingang. „Wir haben keine konkreten Informationen“, sagt eine Mitarbeiterin der Kommissionierung, die Richtung Eingang eilt und bedeutet mit einem Wink, ihr zu folgen. Hinter der Eisentür zur Lagerhalle wartet ein Mann in roter Sweatjacke mit Adveo-Aufdruck, der offenbar befugt ist, zu sprechen. Sagen will er aber nicht viel. „Gerüchte, nichts als Gerüchte“, schimpft Uwe Deflorian. Der Teammanager für Wareneingang und Nachschub scheint verärgert über die Nachfrage.

„Die Geschäftsführung in Deutschland kennt noch keine Entscheidung“, sagt er. Dass restrukturiert werde, stehe sogar im Internet, dass Winkelhaid geschlossen werde, aber noch nicht fest. Aktuell befinde sich das Unternehmen in einer Prüfphase. Mehr will er nicht sagen und das Ganze „nicht negativ sehen“. „Wir hatten das schon mal. Dann ist es auch nichts geworden und es ging weiter.“ Die Befürchtungen tut er als Hirngespinste ab.

Draußen eilen die Angestellten Richtung Eingang, an dem Deflorian mit einem Kunden steht. „Wir haben keine Informationen“, sagen sie kurz. Ob sie von hier nach Höver ziehen würden, falls der Standort in Winkelhaid schließt? „Nicht möglich“, sagen zwei Frauen. „Wir haben hier Familie.“

„Die spielen Spielchen“

Dann sind doch noch zwei Mitarbeiter bereit, abseits des Geländes und unter vier Augen zu sprechen. „Wir dürfen eigentlich nicht reden“, sagen sie und fügen hinzu: „Hier ist so gut wie dicht. Die spielen Spielchen mit uns.“ Dann erzählen sie aber doch eine ganze Menge, reden sich den Frust von der Seele.

Schon lange gäbe es keine Neueinstellungen bei Adveo Deutschland mehr. Anstatt die Mitarbeiter aus befristeten Stellen in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zu übernehmen, lasse man sie fallen und behelfe sich stattdessen mit Zeitarbeitsfirmen. Seit zwei Monaten geistern die Schließungs-Gerüchte durch den Betrieb. Was die Mitarbeiter besonders ärgert: „Unser Chef, Rainer Fricke, sagt, er weiß von gar nichts.“

Unaufholbarer Rückstand

Ob sie dem aber glauben schenken können? Nach der Sache mit dem Weihnachtsgeld wohl eher nicht. Auch da gab es Gerüchte, dass das heuer nicht gezahlt werde. „Er aber hat immer gesagt, es wird bezahlt.“ Dann, einen Tag, bevor es hätte gezahlt werden sollen, die enttäuschende Information: Das Weihnachtsgeld wird nicht überwiesen. „Viele Leute tun mir richtig leid“, sagt einer der beiden Männer. „Die haben mit dem Geld gerechnet und kriegen dann einen Tag vorher Bescheid, dass nichts kommt.“

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Die Belegschaft wolle endlich informiert werden, sagen die Männer. Seitdem es die Gerüchte gibt, seien jede Woche zwischen 15 und 20 Kollegen krank. „Die Leute verkraften das psychisch nicht.“ Gleichzeitig steige der Druck. Anfang kommenden Jahres will Adveo auf SAP umstellen. Bis dahin müssen alle Aufträge im alten System abgearbeitet sein. Mit dem derzeitigen Krankenstand nicht zu schaffen. Ein Berg von Aufträgen befänden sich noch im System. „So einen großen Rückstand hatten wir noch nie.“

Die beiden Männer sind sich sicher: „Die haben sich für Höver entschieden.“ Verstehen können sie das allerdings nicht. In Winkelhaid habe man die größere Halle, die neuere Anlage und arbeite, gemessen an Aufträgen pro Schicht, sogar effizienter als die Belegschaft in Höver – zumindest bevor so viele krank geworden seien. Drei Autobahnen befinden sich in unmittelbarer Nähe und die Wege nach Österreich, Italien, der Schweiz, Polen und Tschechien, wo viele Kunden säßen, seien wesentlich kürzer als von Höver aus. „Traurig“ und „schade“, kommentieren die beiden die Situation.

Halle soll untervermietet werden

Wenn so ein großer Gewerbesteuerzahler wirklich den Ort verlässt, dann müsste man im Rathaus doch darüber informiert sein. Anruf bei Bürgermeister Michael Schmidt. „Die Gemeinde weiß von nichts“, sagt Schmidt. „Weder ein Nachfolger, noch die Geschäftsführung von Adveo sind auf uns zugekommen. Wenn Adveo Winkelhaid verließe, wäre das nicht schön.“

Als der Umzug vor drei Jahren abgewendet wurde, versprach man den Mitarbeitern, dass sie ihren Arbeitsplatz mindestens bis 2021 behalten würden. So lange läuft auch der Mietvertrag für die Halle, in die sich Adveo eingemietet hat. Auch diesbezüglich ist eine Lösung im Strategiepapier der Firma vermerkt: „The model assumes the subleasing of Winkelhaim.“ Die Halle soll untervermietet werden.

Bye bye Winkelhaim

Aber „Winkelhaim“? Auch auf weiteren Seiten, in anderen Tabellen: „Winkelhaim“. Kennen die Strategen den Standort überhaupt? Der Fehler lässt bezweifeln, dass diejenigen, die diese Schließung planen, jemals in Winkelhaid gewesen sind.

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