SCHWARZENBRUCK – Als „sehr interessant, emotional und auch fröhlich“ bezeichnet Lena Schenk, Mitglied im Team Kultur- und Begegnungsstätte Villa-Flaire die Veranstaltung. Die Ausstellung zum Genozid an den Roma in der Ukraine zur Zeit des Nationalsozialismus lenkte den Blick auf die NS-Verbrechen in der Ukraine, bot aber auch Raum für die Thematisierung des Antiziganismus in der heutigen Zeit. Zur Vernissage begrüßten die Veranstalter einige geladene Gäste unter anderem Mitglieder des Gemeinderats. Nach einer kurzen Begrüßung übergab Initiator Leo Stöcklein, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Erlangen-Nürnberg, das Wort an Roberto Paskowksi, den zweiten Vorsitzenden des Landesverbandes deutscher Sinti und Roma Bayern.
Paskowski schilderte daraufhin seine Erlebnisse in den Geflüchtetenunterkünften von München seit Frühjahr 2021. Dort seien Roma systematisch „segregiert und schlechter behandelt worden“. Vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen, von der fast keine Roma-Familie in der Ukraine ausgenommen war, forderte Paskowski einen Sonderfonds finanzieller Entschädigung für die Menschen und eine Gleichbehandlung mit Ukrainern der Mehrheitsgesellschaft bei der Unterbringung und Versorgung.
„Systematischer Völkermord“
Anschließend stellte Frank Brendle vom Bildungswerk für Erinnerungsarbeit und Frieden die Konzeption und Inhalte der Ausstellung vor. Im Fokus der Reisen in die Ukraine habe das Befragen von 80 Zeitzeugen gestanden, die ihre Erfahrungen und Erinnerungen mit den Projektteilnehmern aus Deutschland und der Ukraine teilten. Das Projekt sei das erste, das eine Ausstellung zu diesem Thema in der Ukraine konzipierte. Brendle sprach von mehreren Lerneffekten, die das Ausstellungsprojekt mit sich bringe: „Es gab früher noch eine Diskussion in der Wissenschaft, ob die NS-Verbrechen an Roma beiläufig oder gezielt und systematisch geschehen seien. Die Ergebnisse der Ausstellung belegen die Systematik des Völkermordes.“
Jahrzehntelang missachtet
Des Weiteren bestehe allgemein die Leiterzählung, dass Roma diese Geschichte nie selbst an die Öffentlichkeit gebracht hätten, was einer Schuldumkehr gleicht. Bei den Interviews sei das Projektteam jedoch herzlich von den Zeitzeugen und ihren Angehörigen, häufig zusätzlich von Nachbarn und Freunden, begrüßt worden. Die meisten seien froh gewesen, das erste Mal überhaupt diese schrecklichen Ereignisse mit der Nachwelt teilen zu können. „Ich werde einen 91-jährigen Mann nicht vergessen“, so Brendle, „der sagte, dass er so lange am Leben geblieben sei, um endlich jetzt noch das zu erzählen, was ihm und seiner Familie von den Nazis angetan wurde.“ Brendle schlussfolgert, dass es die deutsche Mehrheitsgesellschaft gewesen sei, die den Völkermord an Roma jahrzehntelang missachtet hätte.
Für die elfköpfige ukrainische Delegation sprach der Rom und Bürgerrechtler Wolodymyr Schtscherbakow. Er war mit dem Angriffskrieg Russlands nach Deutschland geflüchtet und bestätigte die Ausführungen Paskowskis. Auch er sei anders behandelt worden als die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten, wenngleich er dankbar sei, unter Freunden in Deutschland leben zu können.
Stärkung in düsteren Zeiten
„Für uns Roma ist der jetzige Krieg eine doppelte Belastung“, sagte Wolodymyr. „Es gibt keine Roma-Familie, die nicht direkt oder indirekt immer noch mit den Folgen der NS-Verfolgung zu kämpfen hat. Der russische Angriffskrieg hat eine erneute Traumatisierung bewirkt, Roma, die am Rande der Gesellschaft leben, trifft es besonders hart.“ Wolodymyr war sichtlich gerührt von der Ausstellung. Er sehe diese Sichtbarmachung in der Gesellschaft als ein Zeichen der Stärkung in düsteren Zeiten. Tetiana Storozko, Leiterin der elfköpfigen ukrainischen Gruppe, interviewte 2018 die NS-Zeitzeugen und berichtete von für sie bis heute prägenden Treffen mit den Menschen, die trotz der Verfolgung Stolz und Zuversicht verkörperten. Sie sagte: „Diese Menschen waren für mich der Ansporn, in der Sache weiterzuarbeiten, Aufklärung über die NS-Verbrechen zu leisten, sich gegenseitig zu stärken und Roma in der Gesellschaft eine Stimme zu geben.“
Nach den Redebeiträgen fand eine Begehung der Ausstellung statt, die sich durch das Erdgeschoß und den ersten Stock der Kultur- und Begegnungsstätte Villa-Flaire zog.