Corona-Pandemie

Inklusionsfußballer des SV Altensittenbach trainieren wieder

Bild aus besseren Zeiten: Die Inklusionsfußballer des SV Altensittenbach waren im Oktober 2019 Ausrichter des Auftaktturniers zur 1. Bayerischen Inklusionsfußballmeisterschaft. Hier stoppen Rudi Lorenz und Ben Münich (v. rechts) gemeinsam einen Angriffsversuch eines Kickers von der Lebenshilfe-Werkstätte München. | Foto: Porta2020/08/DSC-1482.jpeg

ALTENSITTENBACH – Seit Mitte Juli dürfen sie endlich wieder auf den Platz und gegen das geliebte schwarz-weiße Leder treten: Für die Inklusionsfußballer des SV Altensittenbach endete damit nach einem verheißungsvollen Saisonstart und einem abrupten Ende eine lange Leidenszeit, die viele von ihnen an ihre Grenzen brachte und ihr gewohntes Leben ziemlich auf den Kopf stellte.

„Für uns alle war das ein echter Schock“, blickt Anargiros „Giri“ Tsopouridis, Gesundheitstrainer und „Motor“ des Inklusionsfußballs beim SVA und in ganz Bayern, auf jenen 15. März zurück, an dem im Freistaat wegen des sich stark ausbreitenden Coronavirus der Katastrophenfall ausgerufen wurde – und damit auch für die Bewohner der Lebenshilfe-Außenwohngruppe in der Poststraße quasi über Nacht ein striktes Kontaktverbot galt. Gelebte Inklusion – in den Monaten vorher fast schon Normalzustand – auf einmal unmöglich.

Als „Bindeglied zwischen unterschiedlichen Gesellschaften“ sprangen dem Teamleiter die Unterschiede zwischen „Otto Normalbürger“ und den Menschen in Einrichtungen wie seiner Außenwohngruppe, aber auch Senioren- oder Pflegeheimen, natürlich sofort ins Auge: „Wir leben da immer noch in einem Konflikt“, sagt er, „die einen dürfen schon längst wieder raus, andere haben noch immer keine Chance auf Teilhabe.“

Netzwerke als Kleber

In einem aber seien alle gleich: „Die Pandemie macht etwas mit uns Menschen, der Verlust des gewohnten, regelmäßigen und sicheren Alltags macht uns Angst, er zieht uns den Boden unter den Füßen weg“, sagt „Giri“. Über die von ihm maßgeblich angeschobene „Gewo Challenge“ der Lebenshilfe Nürnberger Land gut vernetzt in alle Welt, hat er genau das Gleiche von Menschen aus Italien, Frankreich, Griechenland, Russland, Australien oder den USA gehört oder in persönlichen WhatsApp-Nachrichten gelesen. Die Situation vor Ort sei immer ein bisschen anders, den Verlust aber spüren alle gleich stark. „Das vereint uns während Corona und ist zugleich eine Chance“, sagt er.

Verbindender „Kleber“ in diesen schwierigen und für viele schwer zu ertragenden Zeiten der Isolation seien unsere Netzwerke, sagt der Hersbrucker – ob nun weltweit wie bei der „Gewo Challenge“ oder vor Ort in den Vereinen. Hier finden Menschen Halt, offene Ohren und – wenn auch derzeit nur symbolisch – offene Arme. So überrascht es auch nicht, dass die Inklusionskicker beim „Restart“ Anfang Juli fast alle auf dem Platz standen, mit einem Strahlen in den Augen.

Die Ängste, die Menschen mit Handicap in diesem Frühjahr durchlebt hätten, seien „noch ein Stück weit intensiver“ gewesen als bei anderen, weiß Tsopouridis. Für die Außenwohngruppe in der Poststraße galten die gleichen Auflagen wie in der Behindertenhilfe oder in Altenheimen: nach außen kein Kontakt, drinnen alle Begegnungen auf ein Minimum beschränkt. Für „seine Leute“, die in den vergangenen Jahren auch über den Sport trotz ihrer Einschränkungen große Fortschritte in Sachen Inklusion und Teilhabe gemacht hatten (etwa beim „Hersbrucker Begegnungscup“ oder dem von ihnen selbst organisierten „Social Cup“ Anfang 2020), entglitt die fast schon greifbare „Normalität“ wieder in unerreichbare Ferne. „Soziale Kontakte, ein Schulterklopfen oder eine Umarmung tut jedem von uns gut“, sagt „Giri“, plötzlich aber konnten viele aus der Einrichtung monatelang noch nicht einmal ihre Eltern besuchen, andere zogen wieder nach Hause, sahen dafür ihre Freunde aus der Poststraße nicht mehr.

Körperliche Spuren

Das wirkte sich nicht nur auf die Psyche aus, auch körperlich hinterließ der Shutdown Spuren. Eine an Parkinson erkrankte Bewohnerin verlor in den Monaten ohne ausreichend Bewegung fast 50 Prozent ihrer Alltagsbeweglichkeit, auch der Gleichgewichtssinn und die Koordinationsfähigkeit litten stark, sagt Tsopouridis. Sport sei dazu auch ein wichtiger sozialer Austausch, der unser Wohlbefinden maßgeblich beeinflusst. Und beinahe noch wichtiger: „In solchen Krisen braucht es Menschen, die Ruhe ausstrahlen, die Vertrauen einflößen und positives Denken ausstrahlen.“ Auch deshalb arbeitete er zielstrebig darauf hin, das Fußballtraining beim SV Altensittenbach so früh wie möglich wieder anlaufen zu lassen.

Mit allen nötigen Abstands- und Hygieneregeln, versteht sich: Aus seinem reichen Schatz an Übungen hat er ein ganzheitliches Programm erstellt, mit dem er den Inklusionsfußballern nach den Monaten der Bewegungslosigkeit den Rost aus den Gliedern „schütteln“ will – mit gymnastischen Grundübungen (Dehnen, Körperrotation, Balance, Koordination) ebenso wie beim Ballführen oder Dribbeln durch den Stangenwald mit anschließendem Torschuss. Dabei achtet „Giri“ sorgfältig darauf, das auch jeder und jede ein Erfolgserlebnis hat. Schließlich ist seine oberste Prämisse immer die gleiche: „Es soll Spaß machen.“

Noch treffen sich nur Fußballer aus dem Landkreis beim SVA – 10 bis 15 Frauen und Männer von der Lebenshilfe, den Rummelsbergern oder den Loew’schen Einrichtungen aus Hersbruck, Weiher, Lauf, Schönberg, Speikern und Altdorf. „Da habe ich größtmögliche Kontrolle über mögliche Infektionen“, sagt Tsopouridis. Die ebenfalls zum Team gehörenden Kicker aus Nürnberg sind deshalb einstweilen noch außen vor.

Wenn dann beim abschließenden Spiel – bei dem Zweikämpfe weitgehend „verboten“ sind – alle mit einem breiten Lächeln und voller Freude dem Ball hinterherjagen, fühlt sich „Giri“ Tsopouridis bestätigt: „Ich will Menschen motivieren, den Kopf nicht hängen zu lassen – auch und gerade wenn es schwierig wird. Wir müssen raus aus dieser depressiven Phase und das Beste aus der Situation machen – dann fühlen wir uns auch wieder wohl.“

Nichts Neues verpassen! - Newsletter abonnieren