NÜRNBERGER LAND (tib/mz/as/cg/rhv) — Marlene Mortler holt für die CSU zum fünften Mal das Direktmandat im Wahlkreis Roth/Nürnberger Land mit 44,5 Prozent der Erststimmen. Zum Feiern war aber weder ihr noch anderen Kandidaten zumute. Das lag vor allem am guten Abschneiden der AfD.

In Sektlaune ist niemand bei der CSU. Während das Prickelwasser warm und schal wird, starren die Mitglieder ungläubig auf die Hochrechnungen, die über den Bildschirm im Gasthaus Wollner in Lauf flimmern. „Was?“ tönt es, als die SPD die Zusammenarbeit in der Großen Koalition aufkündigt. Eine Wahl-Party sieht anders aus.
Als Marlene Mortler den Raum betritt, brandet kurz Applaus auf. Doch auch ihr ist nicht so recht nach Feiern zumute. Auch wenn sie selbst einige Prozentpunkte eingebüßt hat, sei sie mit ihrem Ergebnis „sehr zufrieden“. Aber: „Ich leide ich mit meiner Partei“. „Wir sind als erster durchs Ziel und haben trotzdem irgendwie verloren“, kommentiert sie das „sensationell schlechte Ergebnis“ der Union.
Die Flüchtlingskrise, ist sie sicher, hat viele Stimmen gekostet. Die „Menschenfänger“ der AfD hätten die Sorgen der Menschen sehr professionell zu ihrem Vorteil genutzt. Die CDU-Spitze dagegen habe es versäumt, vor der Wahl noch einmal richtig Gas zu geben. „Zumindest ist nichts beim Wähler angekommen“, findet Mortler sehr kritische Worte für die „beratungsresitente Kanzlerin“, wie Volker Bauer, der Kreisvorsitzende der CSU Roth, es formuliert.
Doch nicht nur die Schwesterpartei CDU hat gewaltig verloren, die CSU verliert in Bayern erdrutschartig über zehn Prozent. „Wir haben an Glaubwürdigkeit eingebüßt“, räumt Mortler ein. Nun müsse die CSU auf ihre ureigenen Themen setzen und – vor allem mit Blick auf die Landtagswahl 2018 – „uns gut überlegen, welche Rolle wir in Berlin einnehmen.“
Ernste Mienen bei der SPD
Mit ernsten Mienen, aber gefasst nehmen SPD-Direktkandidat Alexander Horlamus und weitere Genossen das historisch schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten auf. Von Wahlparty kann in der Laufer Gaststätte „Zum ehemaligen Pfarrer“ keine Rede sein. Als die erste Prognose über den Bildschirm läuft, herrscht Stille, die erste nennenswerte Regung kommt erst, als im TV die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), ankündigt: „Für uns endet heute die Große Koalition.“ „Genau“, meint Horlamus, die kleine SPD-Runde um den Fernseher applaudiert spontan.

Schmerzt es den Sozialdemokraten Horlamus, wenn AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland triumphiert, es sei gelungen, die Menschen auf der Straße anzusprechen, klassisches SPD-Klientel? Er gibt zu: Sicher hätten frühere SPD-Wähler diesmal für die AfD gestimmt. Das SPD-Wahlprogramm sei deutlich linker gewesen als bei den Bundestagswahlen zuvor. „Aber es ist uns nicht gelungen, uns gut genug abzugrenzen und unsere Themen rüberzubringen.“
Der Laufer Rechtsanwalt kam selbst auf 20,6 Prozent der Erstimmen im Wahlkreis – ein deutlich schlechteres Ergebnis als sein Vorgänger in der Rolle des SPD-Direktkandidaten. Christian Nürnberger erzielte 30 Prozent.
AfD-Kandidat hat mit Wahlausgang gerechnet
Ja, er habe mit dem Wahlausgang gerechnet, sagt Siegfried Lang, der Kandidat der Alternative für Deutschland. Viele Wähler hätten sich vorher bei den Umfragen nicht getraut zuzugeben, dass sie für die AfD stimmen. Warum? „Weil sie berufliche und gesellschaftliche Nachteile befürchten.“ Gewählt hätten viele die Partei, „weil sie sich Sorgen machen, weil sie eine echte konservative Opposition haben wollen“. Als eine solche, als „bürgerlich-konservative Partei“ sieht er die AfD. Kritikern, die jetzt Rechtsextreme ins Parlament einziehen sehen, hält er entgegen: „Erst einmal abwarten und sehen, wie die nächsten Jahre gearbeitet wird.“ „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“: Diesen Spruch von Spitzenkandidat Alexander Gauland will Lang nicht kommentieren. Wie das gemeint ist? „Da müssen Sie Herrn Gauland fragen.“ 10,3 Prozent gaben Lang ihre Erststimme.
Hochzufriedene FDP
Hochzufrieden mit dem Abschneiden seiner Partei ist der FPD-Bundestagskandidat Andreas Neuner. „Das Ergebnis ist toll, auch im Landkreis, wenn man bedenkt, dass wir vor vier Jahren ja weg vom Fenster waren.“ Jetzt laufe alles auf eine Jamaika-Koalition hinaus. „Was bedeutet, dass wir geschickt verhandeln müssen“, betont Neuner. Er erinnert sich an seine Euphorie im Jahr 2009, als die FDP mit einem hervorragenden Ergebnis in den Bundestag einzog, bei den Koalitionsverhandlungen aus seiner Sicht aber patzte. Das soll jetzt besser werden.
Grüne spekulieren über Jamaika-Koalition
Bei den Grünen, die sich am Wahlabend in der Trattoria da Carmelo in Lauf treffen, laufen alle Überlegungen auf eine Zusammenarbeit mit der Union und der FDP hinaus: „Wenn die SPD nicht will, gibt es nicht so viele Optionen“, sind sich Laufs Bürgermeister Benedikt Bisping und Gabriele Drechsler, die Direktkandidatin im Wahlkreis einig. „Die Grünen stellen sich der Verantwortung“, sagen sie. Vor allem das „Superergebnis in Bayern“ (Bisping) freut die Parteimitglieder. „Wir haben Grund zum Feiern“, sagt Drechsler, und in der Runde wird applaudiert.

Nur das Abschneiden der AfD trübt die Stimmung: „Wir haben es offensichtlich nicht geschafft, die Wähler davon überzeugen, dass deren Politik falsch ist“, sagt Drechsler. Bisping ergänzt: „Hass und Neid bieten keine Problemlösungen.“
Linke: „Kein Grund, traurig zu sein“
„Wir haben keinen Grund, traurig zu sein“, sagt Helmut Johach von der Linken. Auch wenn die Wahlziele – ein zweistelliges Ergebnis und drittstärkste Kraft – bundesweit nicht erreicht wurde: Mit 8,5 bis 9 Prozent „können wir eigentlich zufrieden sein“. Am meisten freuten ihn die 6,5 Prozent in Bayern. Damit sei das Ziel von fünf Prozent deutlich überschritten. Johach befürchtet, dass die AfD in der Opposition auch beim wahrscheinlichen Jamaika-Bündnis von CDU/CSU, FDP und Grüne einen Rechtsruck bewirkt. „Aber vielleicht führt das ja dazu, dass SPD und Linke in der Opposition enger zusammenrücken“, hofft er.
Im Wahlkreis Roth/Nürnberger Land lag die Wahlbeteiligung diesmal bei 82,0 Prozent. Im Nürnberger Land gingen 82,8 Prozent der Stimmberechtigten wählen.