HERSBRUCK – Nicht nur coronabedingt räumlich, sondern auch anhand ihrer Einschätzung zum aktuellen Fall vor dem Amtsgericht Hersbruck waren Staatsanwalt und Verteidigung recht weit auseinander. „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ lautete die Anklage.
Zudem legte der Anklagevertreter einem BMW-Fahrer, der am 30. August 2019 gegen 22.40 Uhr auf der A 9 in Richtung Berlin unterwegs war, einen vorsätzlichen, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Nötigung zur Last. Was war geschehen? Der 34-jährige Münchner wurde nahe des Autobahnkreuzes Nürnberg von einer Zivilstreife einer routinemäßigen Kontrolle unterzogen. Die Beamten legitimierten sich durch Vorzeigen ihrer Dienstausweise.
Nachdem sie Führerschein und Fahrzeugpapiere ausgehändigt bekamen, teilten sie dem Fahrer mit, dass sie nun auch ihn und sein Fahrzeug durchsuchen würden. Warum der Angeschuldigte dann aber ohne Vorankündigung seinen Motor startete und – laut Anklage mit quietschenden Reifen – losfuhr, darüber konnte nur spekuliert werden. Der Fahrzeuglenker jedenfalls machte keine Angaben.
Sprung zur Seite
Der unmittelbar am BMW stehende Polizist musste sich durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Diesen unterstützte er durch reflexartiges Wegdrücken mit der Hand. Dadurch zog er sich eine Fraktur des Handwurzelknochens zu. Ein medizinischer Gutachter erläuterte zwar die möglichen Ursache der vorliegenden Verletzung, konnte aber letztlich keinen zwingenden Zusammenhang zum Gasgeben des Angeklagten darlegen.
Bei der Verfolgung des Flüchtenden bemerkten die Ordnungshüter, dass dieser Gegenstände aus seinem Auto warf, die aber bei späterer Suche nicht mehr auffindbar waren. Der Münchner verlangsamte irgendwann seine Fahrt und blieb stehen. Bei der folgenden Durchsuchung wurden dann keine belastenden Gegenstände gefunden.
„Vorbeifahren wäre möglich gewesen“
In seinem Plädoyer sah der Staatsanwalt die Anklagepunkte bestätigt. Er ging von bewusstem Zufahren auf den Beamten aus, denn: „Ein seitliches Vorbeifahren wäre möglich gewesen“, erläuterte er. Eine gefühlte Bedrohung durch die zivilen Polizisten schloss er aus, denn diese hätten sich von Anfang an klar zu erkennen gegeben und legitimiert.
„Zuverlässige Antworten zu den Beweggründen für die Flucht und sein Verhalten kann wohl nur der Angeklagte selbst geben, dieser zieht es aber vor, bei Gericht keinerlei Angaben zu machen“, so der Anklagevertreter. Er wies darauf hin, dass durch die Flucht auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet waren. Außerdem war der verletzte Polizist drei Monate dienstunfähig. Auch wegen mehrerer Einträge im Bundeszentralregister sah er hier keine positive Sozialprognose und forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren.
„Kein Strafbestand“
Ganz anders beurteilte das die Rechtsanwältin des Angeklagten. Sie forderte für ihren Mandanten einen glatten Freispruch. „Wegfahren ist kein Straftatbestand, Durchsuchung des Fahrzeuges ohne Verdachtsmoment ist rechtswidrig, die angekündigte Durchsuchung hat der Angeklagte abgelehnt“, begründete sie dies. Weiter gab sie zu bedenken, dass die Beamten in Zivil und zudem tätowiert waren.
„Es war an der Stelle dunkel, mein Mandant hatte Zweifel an der Echtheit der Polizisten, der Schlag des Beamten gegen das Auto war nicht nötig“, meinte sie. Auch eine angebliche Ankündigung des Ordnungshüters, ihn „aus dem Auto zu boxen“, falls er nicht kooperativ sei, habe für Angst und Verwirrung gesorgt.
Ähnlich klang es auch im Plädoyer des zweiten Anwalts, der dem Angeklagten zur Seite stand. Keinesfalls sah er einen Vorsatz. Er vermutete sogar, der Polizist hätte eher aus Verärgerung über das unverhoffte Wegfahren auf das Auto geschlagen. Die Aussage „wir werden Sie aus dem Auto boxen“, interpretierte er als „Ankündigung rechtswidriger Polizeigewalt“.
Der Staatsanwalt ergriff daraufhin noch einmal das Wort und stellte seine Sicht zum umstrittenen Satz dar: „Wir boxen Sie raus, wurde von den Beamten laut deren Aussage so nicht gesagt.“ In seinem sogenannten letzten Wort beteuerte der Angeklagte, dass er „niemanden verletzen wollte“.
Neun Monate auf Bewährung
Richter André Gläßl verurteilte den BMW-Fahrer wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Nötigung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung auf fünf Jahre. In seiner Begründung wertete er das hohe Gefährdungspotenzial, das der Angeklagte durch die Flucht bewusst in Kauf nahm. Auch die diversen Einträge im Bundeszentralregister schlugen sich im Urteil negativ nieder. Die Ursache der Handverletzung des Polizisten wie auch die Frage, ob Betäubungsmittel im Spiel waren, hielt er für „nicht mehr eindeutig feststellbar“. Vom „Rausboxen“ sei wohl die Rede gewesen, das sollte von Polizeibeamten so nicht gesagt werden, sagte er.