Günter Gloser auf Einladung der Europa-Union in Altdorf

Erfolgsmodell Europa bewahren

Der Kreisvorsitzende der Europa-Union Dr. Gerhard Beuschel (links) bedankt sich bei Günter Gloser für seine Ausführungen. | Foto: Spandler2017/03/gloser2-1.jpg

ALTDORF – Dass er ein Advoakt der Europäischen Union auch in Krisenzeiten wie der heutigen ist, mag niemand verwundern. Schließlich war der SPD-Bundestagsabgeordnete a. D. Günter Gloser von 2005 bis 2009 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt und ist Mitglied des Präsidiums der Europa-Union Deutschland. Auf Einladung des Europa-Union-Kreisvorsitzenden Dr. Gerhard Beuschel sprach er über „Die Europäische Union – wenn nicht jetzt, wann dann?“

In seiner Begrüßung und Einleitung wies Beuschel auf die Zeichen der Zeit. Leicht sarkastisch bemerkte er, Trump, Brexit, Erdogan, Griechenland seien fast ein Glück, weil sie Anlass gäben, sich über die Rolle und Zukunft der EU Gedanken zu machen. Er selbst sei Optimist, versicherte der Kreisvorsitzende, denn „es gibt keine Alternative zu Europa“. Etwas pessimistischer sah das Altdorfs 2. Bürgermeister und Europa-Union-Mitglied Ernst Bergmann, der auf jene Mitglieder der Union verwies, die aus dem Parlament heraus aus wirtschaflichem Eigeninteresse anscheinend die EU auflösen wollten.

Diese wirtschaftliche Spaltung sowie die weiteren aktuellen Herausforderungen mit der Flüchtlingskrise an erster Stelle griff auch der Staatsminister a. D. auf. „Wer attackiert denn die Gemeinschaft derzeit?“, fragte er und verwies gleich im Anschluss darauf, dass das nicht das Parlament und die Kommission seien, sondern einzelne Regierungschefs.

Angesichts des anstehenden 60. Geburtstags der Römischen Verträge blickte er zurück auf das 50-jährige Jubiläum, als er noch Staatsminister war und Deutschland die Ratspräsidentschaft inne hatte. Auch damals gab es strittige Themen wie z.B. die Klimaziele, „doch am Schluss hat man sich verständigt“, verwies der Politiker auf die „insgesamt positive Stimmung“ damals.

Idee verteidigen

Nach wie vor gelte, dass diese Realität gewordene Idee von Europa verteidigt werden müsse. Dies könne nur durch das Festhalten am Gemeinschaftsgedanken geschehen, zeigte sich Gloser überzeugt und gab Beispiele, die in dieser Beziehung noch Luft nach oben bewiesen. So gebe es nach den Sitzungen national getrennte Pressekonferenzen, die die (Miss)Erfolge in den Augen der jeweiligen Nationalität betonten, statt einer gemeinsamen Konferenz, die die Kompromisse und Fortschritte herausstellt unter dem gesamteuropäischen Blickwinkel.

Viele Gründe sieht der SPD-Politiker für die Schwierigkeit, das Erfolgsmodell Europa als solches zu bewahren: „Jeder versteht unter Föderalismus etwas anderes.“ Mit Verweis auf die nationalistischen Bestrebungen etwa in Ungarn oder Polen („Deren Regierung leidet unter irgendeinem Verfolgungswahn“) stellt er fest: „Die EU ist ja nicht irgendjemand aufgezwungen worden.“ Es habe immer Verhandlungen und Verträge gegeben, so dass es nicht angehe, dass man die Grundwerte der EU ignorieren, aber dennoch die Annehmlichkeiten wie Freizügigkeit und Subventionen einstreichen könne. Und: „Nationalismus hat immer wieder zu Krieg geführt.

Aktuelle Herausforderungen

Im Zuge seines Referats streifte er die Entwicklung der Griechenlandkrise, bei der er zwar die harte Haltung der damaligen Bundesregierung kritisierte, aber auch forderte, „die müssen schon selber was tun“, sowie die aktuelleren Herausforderungen Rassismus und Flüchtlingskrise. Hier äußerte er sich durchaus kritisch, was die Entscheidungen der EU angeht. Man hätte viel früher die Aufnahmestaaten Libanon und Türkei unterstützen müssen. Es sei kein Wunder, dass sich nach einer gewissen Sättigung dort die Flüchtenden nach Europa aufmachten. Aber auch hier gab es große Ungerechtigkeiten: Während die EU-Außenländer wie Griechenland und Malta mit den Massen zu kämpfen hatten, „haben wir uns in Mitteleuropa einen schlanken Fuß gemacht aufgrund von Dublin“, bemerkte er selbstkritisch. Erst viel später entstand ein gewisser Solidaritätsmechanismus. Es wäre natürlich sinnvoller gewesen, eine gesamt-europäische Entscheidung zu treffen und mit allen Mitgliedsstaaten zu reden.

Der Vorwurf der Regulierungswut ist ein weiterer Punkt, an dem sich der ehemalige Europa-Staatssekretär abarbeitet. Den vorgeschriebenen Krümmungsgrad der Gurken und die Ölkännchen am Tisch hätte sich ja nicht die EU einfallen lassen, sondern Nationalstaaten, die in gleichen Handelsbestimmungen eine Erleichterung sahen, verteidigt er die Gemeinschaft. Diese Strategie ist der rote Faden, der sich durch Glosers Vortrag zieht: Vieles, was an EU-Verordnungen und -entscheidungen kritisiert wird, ist auf nationalstaatliche Bestrebungen zurückzuführen. Und in diesem Zusammenhang kann es sich der Politiker auch nicht verkneifen – der Wahlkampf lässt grüßen – darauf hinzuweisen, dass auch die bayerische Landwirtschaft sich über bürokratische Auswüchse echauffiert, deren Ursprung nicht in Brüssel, sondern letztlich in München zu suchen ist.

„Brexit wird kommen“

In der anschließenden Diskussion der halbwegs gut besuchten Veranstaltung zeigte sich der 66-Jährige eher pessimistisch, was den Brexit angeht. Der werde nicht mehr zu verhindern sein, so Gloser. Die Frage wird vielmehr sein, wie man den gestalten kann, ohne andere zu ermuntern, es den Briten gleich zu tun. Hier gilt es, eine sensible Lösung zu finden, mit dem wichtigen Nato- und Handelspartner Großbritannien weiterhin vernünftig umgehen zu können.

Ob es nicht klüger wäre, mit einer Stimme zu sprechen, wenn es um die Bewertung der Entwicklung in der Türkei geht, wollte jemand wissen. Auch hier äußerte sich Gloser eher zurückhaltend. Das werde wohl nicht möglich sein. Während die einen eine härtere Linie fahren, seien andere Staaten vorsichtig, weil sie die Türkei für einen wichtigen Partner in der Flüchtlingsfrage halten.

„Warum bauen Länder, die schon lange in der Union sind, Mauern?“, lautete eine weitere Frage, und einmal mehr warnte der Abgeordnete a.D., davor, Probleme, die in der Geschichte der Länder begründet liegen, auf die EU abzuwälzen: „In einzelnen Nationen wurde versäumt, Reformen durchzuführen.“ Hier nannte er die starre Frontenregelung in der Arbeitswelt oder die Vernachlässigung der sozialen Brennpunkte in Frankreich als Beispiel.

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