ALTDORF – Der Vortragssaal der Volkshochschule in Altdorf war bis auf den letzten Platz gefüllt mit Lyrikfans, die hören wollten, wie der Unterferriedener Autor Karl-Hans Graf in seinen Prosagedichten die „Spuren der Langsamkeit“ verfolgt. Die Miniaturen, so nennt Graf seine Prosalyrik, enthalten abseitige Beobachtungen, die der Beschleunigung und Hyperaktivität des Lebens entgegengesetzt sind, reflektieren das Absurde des Alltäglichen und spüren das Wunderbare des Gewöhnlichen auf. Graf las Texte aus vier Themenbereichen, teils mit Erläuterungen, teils ohne Kommentar. Manche Gedichte trug er zweimal vor, und zwar diejenigen, „die sich nicht … beim ersten Lesen oder Hören erschließen“.
Alltägliche Handlungen, die wir oft gar nicht mehr bewusst wahrnehmen und die wir automatisch machen, kommen in Grafs Texten vor: zum Beispiel das Anziehen der Jeans, den Frühstückstisch decken, die Treppe zum Arbeitszimmer hinaufgehen . In seinem Arbeitszimmer steht im Bücherregal das Röhrenradio Jubilate. Sein Wesen, seine Seele sind Thema der Miniatur „Nach dem Einschalten des Röhrenradios Jubilate Telefunken“. „Anachronistisch, archaisch, animistisch, anarchistisch bist du Jubilate, bist anfangs nur missmutig, brummst… verabscheust das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Du stellst meine Geduld auf die Probe. … Doch dann verwandelt sich dein Brummen in Musik …“ Jubilate war auf dem Lesetisch neben dem Autor zu sehen und ließ, nachdem sie sich auch hier zunächst störrisch und brummig zeigte, die Zuhörer dann doch den speziellen Klang ihrer Musik hören.
Wie ein Text entsteht und was der Autor manchmal über das Schreiben denkt, verdeutlichte er in den folgenden Miniaturen. In Singender Satz zeigt sich, welche Rolle die Satzmelodie bei seinem Schreiben spielt. Er mag die ruhigen Satzmelodien. Fallen ihm Sätze ein, die nicht aufgeregt sind, notiert er sie mit Bleistift in ein Heft. Diese Notizen sind so klein geschrieben, dass nur er selbst sie lesen kann. Auch die Zweifel, die beim Schreiben auftreten und die Frage, ob die Texte überhaupt veröffentlicht werden sollten, wurden thematisiert.
Mehr Raum für Experimente
Am Ende wollten die Zuhörer unter anderem wissen, warum Graf keine Romane mehr schreibe. Er wies darauf hin, dass er sich in Gedichten oder Kurzprosa präziser ausdrücken könne und ihm die Miniaturen mehr Raum zu Sprach- und Formexperimenten ließen.