Nürnberger Land – Was ist das 40 000 Euro teure Strukturgutachten zur Gesundheitsversorgung im Nürnberger Land wert, das der Landkreis Ende 2018 in Auftrag gegeben hat? Diese Frage stellte sich am Mittwochnachmittag, als Dr. Hanspeter Kubin, der Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes am Landratsamt, das Papier im Rahmen des ersten Gesundheitsforums vorstellte.
Kubin lieferte den vielen Gästen im Sitzungssaal des Landratsamtes in Lauf weniger eine Präsentation als vielmehr eine Kritik an dem Gutachten, das der Kreistag nach einem CSU-Antrag in Auftrag gegeben hatte. Etliche Aussagen stellte Kubin in Frage, es fielen Formulierungen wie „Zerrbild“. Viele Grafiken würden nur „die halbe Wahrheit“ zeigen.
Hypothesen statt Fakten?
Dass rund ein Drittel der Ärzte im Landkreis in den kommenden Jahren altersbedingt aufhören werden, wie es die beauftragte Berliner Firma Peritinos vorrechnete, bezeichnete Kubin etwa als „These, vielleicht Hypothese“, schließlich gebe es viele Ärzte, die auch im Rentenalter noch behandelten. „Ich mache das Gutachten nicht schlecht“, sagte Kubin an einer Stelle. Aber es sei lediglich eine Diskussionsgrundlage, „kein Evangelium“.
Zu den Krankenhäusern sagte Kubin: „Die Einflussnahme, die wir haben, ist auf lokaler Ebene gering.“ Peritinos hatte noch formuliert, der Kreis habe mit dem Verkauf der Krankenhäuser 2006 die Kontrolle ans Klinikum Nürnberg abgegeben. Landkreise und kreisfreie Städte haben den sogenannten Sicherstellungsauftrag für die stationäre Versorgung.
Von den Gutachtern war keiner vor Ort
Vorgestellt wurde das Gutachten zweimal – vergangene Woche in der Jahresabschlusssitzung des Kreistags von den Verfassern selbst und am Mittwoch beim Gesundheitsforum. Von der Berliner Firma war bei Kubins Präsentation im Rahmen des Gesundheitsforums niemand anwesend. Dass die Gutachter das Papier nicht selbst erneut vorstellen würden, war vorher so ausgemacht.
Kubin hatte in einer Pressemitteilung auf die PZ-Berichterstattung über die erste Sitzung reagiert. Die These von Peritinos, „in den vergangenen Jahren wurde das Thema Gesundheitsversorgung als nicht prioritär angesehen“, wies er darin vehement zurück. Am Mittwoch ergänzt Kubin, er habe länger mit einer Gutachterin telefoniert, könne sich diese Formulierung aber nach wie vor nicht erklären.
Kritische Stimmen zum Gutachten
Auch Landrat Armin Kroder sah das Papier kritisch. „Ich will nicht anfangen, ein Gutachten zu zerreißen, nur weil Kritik drinsteht. Das wäre unprofessionell“, so Kroder im Gespräch mit der Pegnitz-Zeitung. Das Papier sei eine „Bestandsaufnahme“, und „als Ausgangspunkt durchaus hilfreich“, er habe aber „schon bessere Gutachten zur Kenntnis bekommen“.
Michael Groß, geschäftsführender Vorstand der Caritas Nürnberger Land, sagte, das Papier mache auf ihn „keinen seriösen Eindruck“. Er könne nicht alle Themenfelder beurteilen, aber bei den Aussagen zu Menschen mit Behinderung fehlt den Gutachtern Groß‘ Ansicht nach „jegliche Fachkompetenz“.
Kreisrat Dr. Otto Wolze (CSU), dessen Fraktion das Gutachten im Kreistag beantragt hatte, betonte, das Gutachten habe bewirkt, dass viele Akteure an den Tisch kommen. Auf PZ-Nachfrage, ob die Gutachter mit der strittigen Aussage, der Landkreis habe die Gesundheitsversorgung bisher als „nicht prioritär“ behandelt, entgegnete Wolze, „wir haben viele andere Dinge, die auch wichtig sind“. Gesundheitspolitik hatte bisher „vielleicht nicht ganz den Stellenwert, den es hätte haben müssen“, so der Arzt aus Hersbruck.
Aussagen des Gutachtens im Überblick
Ambulante Versorgung: „Die Arztdichte ist im Landkreis unterschiedlich verteilt. Der Blick in andere Landkreise zeigt, dass Arztpraxen häufig in Regionen mit Krankenhäusern angesiedelt sind. Nach Schließung des Standortes Hersbruck sollte dringend ein nachhaltiges und innovatives Konzept zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung erarbeitet werden.“ Immer wieder nimmt das Papier Bezug auf die drei Altlandkreise Nürnberg, Hersbruck und Lauf. So kommen im Laufer Raum 585 Einwohner auf einen Arzt, in den anderen beiden Regionen sind es jeweils über 700. Im Vergleich zu Bayern und Mittelfranken sind vor allem Augen- und Kinderärzte deutlich unterrepräsentiert. Im Landkreis gibt es einen Hämato-Onkologen, also Facharzt für Erkrankungen des Blutes und Krebserkrankungen. „Vor dem Hintergrund einer zu erwartenden Steigerung onkologischer Erkrankungen ist das kritisch zu bewerten.“
Apothekendichte: „Im Landkreis müssen je Apotheke mehr Einwohner versorgt werden als im Bezirks- und im Landesschnitt.“ Im Raum Hersbruck ist dieses Verhältnis obendrein ungünstiger als im restlichen Landkreis.
Rettungsdienst: Mit sieben Rettungswachen, drei Notarztstandorten und einem Rettungsdienststandort ist der Kreis gut abgedeckt. Die Zeit, in der die Retter vor Ort sind, liegt im bayernweiten Durchschnitt.
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Krankenhäuser: „In erreichbarer Nähe gibt es etliche Krankenhäuser, die sich auf eine standardisierte Behandlung von Notfällen spezialisiert haben. Insbesondere der westliche Landkreis ist gut versorgt.“ Krankenhäuser mit Chest Pain Unit (CPU), zu deutsch Brustschmerzeinheit, gibt es im Landkreis nicht, eine regional zertifizierte Stroke Unit (SU), also Schlaganfalleinheit, im Klinikum Rummelsberg. „Eine rechnerische Erreichbarkeit von Krankenhäusern mit CPU/SU erscheint aus einigen Regionen des Landkreises innerhalb von 25 Minuten mit dem Auto kritisch.“ Das gilt laut Karte für große Teile des östlichen Landkreises, aber auch für die Gegend um Großengsee.
Pflege: Bei den Pflegeplätzen weist der Altlandkreis Hersbruck „mit 63 Einwohnern je Pflegeplatz eine im Vergleich hohe Versorgungsdichte auf.“
Behinderteninrichtungen: „Bezogen auf die Einwohnerzahl weist Hersbruck mit 157 Einwohnern je Behindertenplatz eine im Vergleich hohe Versorgungsdichte auf.“ Dort kommen 157 Einwohner auf einen Pflegeplatz, im Altlandkreis Lauf sind es 307, im Landkreissüden 526.
Ausblick: „In den kommenden Jahren wird die Zahl der Landkreisbewohner steigen. Die betrifft insbesondere ältere Menschen. Rückläufig ist die Bevölkerung zwischen 19 und 60 Jahren. Somit steht nach heutiger Einschätzung auf der einen Seite ein Mehrbedarf an Gesundheitsleistungen insbesondere durch Herz-Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen sowie Demenz aber auch Pflege einer geringer werdenden Anzahl an Menschen im arbeitsfähigen Alter gegenüber.“
Darüber hinaus stellt das Gutachten eine Impfmüdigkeit in der Bevölkerung fest. Kein auffälliges Problem ist dem Papier zufolge Fettleibigkeit bei Kindern im Landkreis.
Hier geht es zum Artikel über die Gründung der Gesundheitsregion plus Nürnberger Land.