NÜRNBERGER LAND — Jeder Vierte in Deutschland liest niemals ein Buch. Das hat die aktuelle Studie „Lesen in Deutschland 2008“ der Stiftung Lesen ergeben, die kürzlich veröffentlicht wurde. Bei der repräsentativen Befragung von über 2500 Jugendlichen und Erwachsenen erklärten 45 Prozent der 14- bis 19-Jährigen, dass sie als Kind nie ein Buch geschenkt bekommen hätten. Diese größte Untersuchung des Leseverhaltens in Deutschland seit acht Jahren belegt außerdem, dass viele nicht hinreichend gut verstehen, was sie lesen. Und dass ihnen gar nicht bewusst ist, dass sie es nicht verstehen.
Letzteres fällt auch dem Leiter der Realschule Feucht, Anton Balzer, in den vergangenen Jahren zunehmend auf. Die Lesefähigkeit sei zum Teil erschreckend, es falle etlichen Schülern schwer, das Wesentliche eines Textes zu erkennen. „Ich stelle persönlich fest, dass Schüler in den neunten und zehnten Klassen Probleme haben, beim ersten Lesen inhaltlich den Text zu erfassen.“ Stundenlanges Spielen am Bildschirm mit Playstation und Co räche sich eben. Das Buch werde angesichts dieser Konkurrenz für die Schüler zunehmend unattraktiver. Und auch die Vorbildwirkung der Eltern sorge mit dafür, ob Kinder zum Buch greifen oder stundenlang vor der Glotze abhängen. Verstehendes Lesen sei eine Grundvoraussetzung, die Kinder mit Verlassen der Grundschule mitbringen müssten – „das ist wie das selbstverständliche Bremsen oder Gas geben können beim Autofahren“, so Balzer. In der fünften Klasse würden an der Schule zwar zusätzlich Methoden des richtigen Lernens und Sozialkompetenzen vermittelt. Speziellen Unterricht im Lesen gibt es dann aber nicht mehr.
Vier Jahre Zeit
In den Grundschulen von Feucht und Umgebung, so ein nicht repräsentativer Eindruck, wird eine Menge getan, um die Lust am Lesen zu wecken und zu erhalten. Man ist sich sehr bewusst, nur vier Jahre Zeit zu haben, diese Grundkompetenz zu vermitteln. In Feucht zum Beispiel gibt es ein gemütliches Lesezimmer, das von allen Schülern genutzt werden kann und regelmäßig im Klassenverband aufgesucht wird. Hier klang heuer mit dem Christkind die erste Leseaktion prominenter Feuchter aus, die bei Kindern, Lehrkräften und den Vorlesern selbst sehr gut ankam. Jeder Vortragende brachte seine Art ein, wirkte als Vorbild. „Für die Kinder war das eine höchst spannende Sache“, so Konrektorin Petra Reinsch. Ein Standbein des Schulprofils von Feuchts Grundschule sei die Steigerung der Lesekompetenz. „Wenn ein Kind die Schule verlässt, muss die da sein, denn später bleibt wenig Zeit dafür“, so die Konrektorin. Es werde sehr darauf geachtet, dass die Kinder das Gelesene auch inhaltlich verstehen. Spontan zählt sie auf: Jede Klasse liest pro Jahr mehrere Bücher und setzt sich mit dem Inhalt auseinander. Es besteht ein reger Kontakt zur Gemeindebücherei, die auch Themenkisten liefert und regelmäßig besucht wird. Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft lesen regelmäßig im AWO-Kindergarten vor.
Karl Kuhn von der gleichnamigen Feuchter Buchhandlung kann wenig zu Nichtlesern sagen. Er spürt wie in allen anderen Jahren auch eine große Nachfrage nach Büchern. Und die sei mit der im Vorjahr vergleichbar. Fantasy sei ein großer Trend, der durch die Verfilmung eines Funke-Buches neu belebt wurde.
Auch Schwarzenbrucks Büchereichefin Doris Cramer erlebt ein großes Engagement der Grundschule im Ort. Es werde sehr viel getan, die Kinder zeitig und gezielt ans Lesen heran zu führen. Regelmäßig und klassenweise kommen die Schüler alle zwei Wochen, um sich Bücher auszuleihen. „Ich habe auch schon öfter erlebt, dass Grundschüler da waren und später, so mit Mitte 30, mit ihren Kindern wieder kamen“, so die Leiterin der Gemeindebücherei. Mit Oma, Tochter und Enkel seien dann drei Generationen vertreten, um sich Lesefutter zu holen. Cramer lebt seit über 40 Jahren mit Büchern und hat während dieser Zeit schon eine Menge Unkenrufe gehört. „Das Buch wird niemals sterben“, sagt sie sehr bestimmt. „Es wird immer für eine große Gruppe der Bevölkerung so wichtig sein, dass sie dafür Zeit und Geld investieren“.
Folge des G8
Tendenziell ist es so, dass mit zunehmenden Teenagerjahren die Zahl der Ausleihen sinkt. Ganz deutlich spürbar sei der Rückgang der Ausleihen mit der Einführung des G8 gewesen. Da viele Schüler von Schwarzenbruck aus fahren müssen, um in ihre Schule zu kommen, würden die von der fünften Klasse an aufwärts im Grunde gar nicht mehr auftauchen. Das hat für Doris Cramer klare Gründe: „Die kommen in die Pubertät und haben anderes im Kopf. Sie nutzen zudem viel den Computer statt das herkömmliche Buch und Angebote ihres neuen Erfahrungsraums.“
Elternhaus legt den Grundstein
Wie sieht nun jemand das Lesen, der selber Bücher schreibt? Für Autorin Ursula Muhr wird der Grundstein fürs Lesen im Elternhaus gelegt. „Kindergarten und Schulen sind weitere wichtige Partner.“ Muhr weiter: „Die eigentliche Katastrophe ist für mich, dass in vielen Familien nicht mehr vorgelesen wird.“ Vorlesen im Kleinkindalter beginne mit den Ansehen von Bilderbüchern, die Entschlüsselung der Bilder sei bereits eine Form von Lesen. Viele Eltern würden die CD oder Kassette als gleichwertigen Ersatz betrachten. „Dies ist ein schwerwiegender Irrtum, denn beim Vorlesen passiert viel mehr als die Weitergabe von Inhalten.“ Vorlesen finde meist in einer Atmosphäre von Geborgenheit statt und verbinde das Lesen mit positiven Gefühlen. Die Konzentration auf das zuhörende Kind vertiefe den Kontakt zwischen Vorleser und Zuhörern. Je positiver dieses Vorlesen für das Kind sei, umso positiver werde später das Lesenlernen erlebt. Autorenbegegnungen seien ein Mittel, das noch viel zu wenig aktiv von Schulen zur Leseförderung eingesetzt werde und immer auch das Problem der Finanzierung habe. Das Engagement vieler Grundschulen für das Lesen habe in den vergangenen Jahren erfreulich zugenommen. Bei Lesungen vor Schülern zeige sich der Unterschied zwischen einer Schule, die dem Lesen und Vorlesen eine überragende Stellung einräumt und einer, bei der das nicht der Fall ist, ganz deutlich. „Die Kinder sind im ersten Fall wesentlich konzentrierter, können länger zuhören, stellen mehr und interessantere Fragen“ so Muhr. Das Wichtigste sei, Kinder das lesen zu lassen, was sie interessiert. „Wenn es Fantasy ist, dann ist Eragon eine gute Wahl oder auch die Hohlbein-Bücher.“ Wenn es literarischer sein darf, dann empfehle sie gern ihr Lieblingsbuch, „den guten alten Krabat von Otfried Preußler.“ Kurze Vorlesetexte biete ihr Buch „Was macht das Mäuschen in der Nacht?“. Muhr: „Und wenn die Mädchen eben Pferdebücher verschlingen – warum nicht? Vielleicht lesen manche Kinder ja deshalb nicht, weil man ihnen dauernd drein redet?“ Im Gegensatz zu Computerspielen fühlten sich Eltern und Lehrer bei Büchern eben noch kompetent. Doris Cramer empfiehlt Frauen für die Feiertage das Buch „Der Geschmack von Apfelkernen“ von der Autorin Katharina Hagena und Männern Gregory Roberts „Shantaram“. Der sehr süffig geschriebene, opulente Indienroman sei genau das Richtige, um sich während der festlichen Zeit zu entspannen und das Lesen zu genießen.