Machtkampf in der Bürgerinitiative

Leitungsbrand

Symbolbild: Umspannwerk Ludersheim | Foto: Christian Geist/Archiv2020/08/Ludersheim-Umspannwerk-Stromtrasse-1-scaled.jpg

FEUCHT – Gerade mal zwei Wochen ist es her, dass die Feuchter Bürgerinitiative gegen den Stromtrassenbau ihre Sprecher gewählt hat. Nun aber ruft sich Birgit Ruder zur Leiterin der BI aus. In einer internen E-Mail ist ferner von eigenmächtigen Aktionen, übler Nachrede und Intrigen die Rede.

Es ist Donnerstagnachmittag, als alle Mitglieder der Bürgerinitiative „Rettet den Reichswald – Stoppt die Stromtrasse“ eine E-Mail erhalten. Absender ist das sogenannte Orga-Team um Marktgemeinderätin Birgit Ruder (Freie Wähler). E-Mail und Anhänge tragen zwar nicht ihre Unterschrift, sind aber mit ihr abgestimmt. Das bestätigt Ruder auf Anfrage der Redaktion.

Angehängt ist unter anderem ein Organigramm, das Ruder als Gründerin, Leiterin und Koordinatorin der Bürgerinitiative ausweist. Darunter gelistet sind Kassenwart, Orga-Team, Social-Media-Team und zu guter Letzt das Sprecher-Team, das die Mitglieder der BI am 11. August in der Reichswaldhalle gewählt haben. Dessen Rolle wird unmissverständlich definiert: „Sprecher sollen innerhalb der Bürgerinitiative nicht eigenmächtig handeln oder bestimmen. Sie haben sich mit der Leiterin und dem Orga-Team abzusprechen, was, wann, wo und wie sie unsere BI nach außen hin vertreten, denn dies ist ihre vorrangige Aufgabe als Sprecher.“

Birgit Ruder sieht sich als Leiterin der Bürgerinitiative. Foto: Freie Wähler Feucht2020/08/BM-Birgit-Ruder.jpg

Birgit Ruder, die erst im März in den Marktgemeinderat gewählt wurde, war an besagtem 11. August mit der festen Überzeugung in die Reichswaldhalle gekommen, dort zur Sprecherin gewählt zu werden. Schließlich hatte sie das Thema Stromtrassen früher als viele Feuchter Kommunalpolitiker für sich entdeckt, seit Anfang des Jahres zu Veranstaltungen geladen und Mitte Juli zur Gründung einer Bürgerinitiative aufgerufen.

Erst wenige Tage später verständigten sich die Mitglieder des Umweltbeirats darauf, eine parteiübergreifende BI zu initiieren und luden die Freien Wähler ein, sich anzuschließen. Schließlich warben alle gemeinsam am 4. August bei der Gründungsversammlung auf dem Kirchweihplatz um die Mitarbeit der Bevölkerung. Ruder schien sich mit ihren Unterstützern zu integrieren, lud anschließend zur Wahl der Sprecher in die Reichswaldhalle.

Bürger wählen Wenzel, Adam und Grobleben

Die Organisatoren der Gründungsversammlung, Ernst Klier (SPD) und Harald Danzl (CSU), sehen ihre Arbeit als Mitglieder des Marktgemeinderats an dieser Stelle als getan an und ziehen sich zurück. Und die BI-erfahrenen Rita Bogner (Grüne) und Inge Jabs (SPD) raten Ruder indirekt dazu, es ihnen gleich zu tun. Sie plädieren dafür, dass keiner der BI-Sprecher dem Marktgemeinderat angehören soll. Das habe sich bei allen vorherigen Bürgerinitiativen bewährt, Parteiwerbung werde so vermieden und keine Interessenten abgeschreckt.

Die große Mehrheit in der Reichswaldhalle sieht dies genauso, wählt Klaus-Dieter Wenzel, Nadine Adam und Matthias Grobleben zu ihren Sprechern. Wohl in der Annahme, dass diese die Geschicke der BI leiten werden. Natürlich gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, wie sich eine Bürgerinitiative zu organisieren hat. Ein Blick in die Kommunen der Region zeigt aber: Die Sprecher einer BI sind in aller Regel auch deren Leiter. „Jede BI ist anders aufgestellt“, sagt Ruder dazu nur und bezeichnet es als Fehler, die Sprecher nicht schon bei einem Treffen im Juli gewählt zu haben.

Klaus-Dieter Wenzel ist der letzte verbliebene von ehemals drei gewählten BI-Sprechern. Foto: Archiv2020/08/Feucht-Wenzel-BI-1.jpg

Ferner erhebt sie schwere Vorwürfe gegen einige ihrer Mitstreiter. „Ich hatte mich über die vielen Anmeldungen gefreut, auch dass SPD und Grüne mitmachen wollten“, sagt sie über den Abend der Wahl, „aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es darum geht, mich kalt zu stellen“. Diese Anschuldigung adressiert sie, ohne Namen einzelner Akteure zu nennen, an SPD und Grüne. Darauf angesprochen, weisen Bogner wie Jabs den Vorwurf entschieden zurück, verweisen stattdessen auf die demokratisch gefällte Entscheidung der Mitglieder in der Reichswaldhalle. „Das wurde diskutiert und allgemein befürwortet“, sagt Jabs und beteuert, dass sie an dem Abend ausdrücklich Ruders Verdienste gewürdigt und sie gebeten habe, sich weiter einzubringen.

Ruder erhebt Führungsanspruch

Als Ruder am Abend des 11. August die Reichswaldhalle verlässt, habe sie das zwar niedergeschlagen, aber als Leiterin der BI getan. Für sie sei klar gewesen, „dass wir weiter die Fäden im Hintergrund ziehen werden“. Also Birgit Ruder selbst und ihr Orga-Team, dessen Mitglieder ebenfalls den Freien Wählern angehören oder ihnen zumindest nahestehen. Mit ihrem Presse-Statement am Tag nach der Sprecherwahl passen diese jüngsten Aussagen allerdings nicht recht zusammen. „Ich schaue mir an, was die Bürgerinitiative jetzt bewegt und engagiere mich weiter“, ließ sie sich am 13. August im Boten zitieren. Nach Führungsanspruch klang das nicht.

Diesen macht sie nun umso deutlicher geltend. Mit einer E-Mail, die nicht wenige Unterstützer vor den Kopf gestoßen haben dürfte. Bogner und Jabs jedenfalls berichten unabhängig voneinander von zahlreichen Anrufen und E-Mails, in denen Mitglieder ihr Entsetzen kundgetan hätten. „Ich weiß, das ist ein harter Schlag. Aber mir geht es um die Sache. Wenn am Ende zehn Mitglieder bleiben, die etwas bewegen, ist mir das recht. Und wenn sich eine zweite BI gründet und etwas bewegt, ist mir das auch recht“, verteidigt Ruder ihre Gangart.

Vorwürfe gegen Wenzel und Grobleben

In besagter E-Mail ist von eigenmächtigen Aktionen, übler Nachrede und Intrigen die Rede. Namentlich wird Grobleben die Zusammenarbeit mit Markus Reuter, dem Sprecher der Allianz P53, zur Last gelegt. Über Wenzel heißt es, er handele „nicht im Sinne unserer Bürgerinitiative“ und es werde versucht, „hinter unserem Rücken zu intrigieren und auch der Aktionskonsens und das Aktionsbündnis der Trassengegner wird von Herrn Wenzel immer wieder in Frage gestellt“.

Mit jenem Aktionskonsens begibt sich die BI in die Fundamentalopposition. „Wir wollen die Trasse verhindern, nicht verschieben. Wir wollen keinen Plan B“, sagt Ruder. Deshalb hängt ihrer Mail auch gleich ein neuer Mitgliedsantrag an. Im Kleingedruckten heißt es dort: „Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich den Aktionskonsens anerkenne.“


Von dieser verpflichtenden Klausel hält Wenzel ebenso wenig wie von den Vorwürfen gegen Grobleben und ihn. Eine Zusammenarbeit mit Vertretern des Freie-Wähler-nahen Aktionsbündnisses könne er sich durchaus vorstellen, hält deren Clinch mit der Allianz P53 allerdings für „kindisch“ und ruft dazu auf, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

„In welcher Welt leben wir denn?“

Wenzel sieht sich, Matthias Grobleben und Nadine Adam als die gewählten Vertreter der Bürgerinitiative. „Wir sind die Leiter, nicht nur irgendwelche Repräsentanten“, sagt er am Tag nach der Mail und fügt hinzu: „In welcher Welt leben wir denn, dass wir als Marionetten einer einzelnen Person und ihrer ausgesuchten Gruppe handeln sollen?“ Seine Pläne für die Bürgerinitiative will er ungeachtet der E-Mail fortführen. „Das ist einzig und allein ein Papier von Frau Ruder, das hat mit der Bürgerinitiative nichts zu tun“, meint der 70-Jährige.

Adam stützt Ruder

Wer welche Aufgaben innerhalb der BI übernimmt, das will er erst bei einem Treffen am 10. September besprechen. Viel zu spät, wenn es nach Birgit Ruder geht. Auf die Unterstützung seiner Sprecherkollegen kann Wenzel bei der Vorbereitung nach Ruders Mail nur noch sehr eingeschränkt zurückgreifen. Der Burgthanner Matthias Grobleben will Ruders Umstrukturierung nicht mittragen. „Ich stehe als Sprecher nicht zur Verfügung, solange nicht das Trassenthema, sondern interne Machtkämpfe im Vordergrund stehen“, erklärt der erfahrene Trassengegner. Er werde Wenzel weiter unterstützen, seinen Sprecherposten habe er jedoch niedergelegt.

Ebenfalls nicht länger Sprecherin der BI ist Nadine Adam. Wenngleich aus anderen Gründen. „Es hat in der Reichswaldhalle angefangen, dass Frau Ruder ausgebootet werden sollte. Hier wollten sich andere ins gemachte Nest setzen“, meint die Feuchterin, die als Sprecherin gerne Ruders Hilfe angenommen hätte und nun enttäuscht von der Entwicklung ist. Sie jedenfalls hätte als Sprecherin „auf gar keinen Fall“ einen Anspruch auf die Leitung der BI erhoben.

Damit schwelt ein Leitungsbrand zwischen Wenzel auf der einen und Ruder auf der anderen Seite. „Da wird viel Energie vergeudet“, sagt Rita Bogner, „die es bräuchte, um gegen Tennet vorzugehen“.

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