Kolpingsfamilie Röthenbach lud zu Podiumsdiskussion

Bundestagskandidaten stellten sich

100 Gäste waren zur Diskussion mit den Bundestagskandidaten in die Realschule Röthenbach gekommen. | Foto: Sichelstiel2017/09/podiumsdiskussion-rothenbach-kolping-uberblick.jpg

RÖTHENBACH — Gut eine Woche vor der Bundestagswahl hat die Röthenbacher Kolpingsfamilie den Direktkandidaten im Wahlkreis Roth/Nürnberger Land auf den Zahn gefühlt. Im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion in der Realschule am Dünenweg stand die Frage nach (Generationen-)Gerechtigkeit. Gestört wurde die Veranstaltung durch Juso-Mitglieder, die gegen die durch ihren Bezirksvorsitzenden Siegfried Lang vertretene AfD protestierten.

Kann man mit der AfD diskutieren wie mit jeder anderen Partei, zumal an einem Abend, an dem eine erneute Provokation von Spitzenkandidat Alexander Gauland Schlagzeilen macht, der wieder stolz sein möchte auf die „Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“? Man kann, findet der Röthenbacher Kolpingvorsitzende Peter Wolf. „Wir als Kolpingsfamilie sind überparteilich“, sagt er. Deshalb hat der katholische Verband alle Direktkandidaten eingeladen, ohne über deren Positionen zu urteilen. „Politisches Engagement gehört zu unserem Leitbild“, so Wolf.

Neun Bewerber treten am 24. September an, acht sind an diesem Abend dabei. FDP-Mann Andreas Neuner aus Rückersdorf hängt auf den Azoren fest. Wolfgang Hauber von den FW hat einen beruflichen Termin, für ihn springt die Ingolstädter Kollegin Angela Mayr ein. Neben Marlene Mortler (CSU), die das Direktmandat zum fünften Mal erringen will, Alexander Horlamus (SPD), Gabriele Drechsler (Grüne), Helmut Johach (Linke), Walter Stadelmann (ÖDP) und Jonas Schwemmer (Piraten) sitzt nun eben auch AfD-Mann Siegfried Lang auf dem Podium und stellt sich den Fragen, die Moderator Stephan Sohr formuliert, der Chefredakteur der Nürnberger Zeitung ist.

Wenn es nicht gerade um die Haltung zur EU oder um die Flüchtlingspolitik geht, fällt Lang, Jahrgang 1964 und als Selbständiger im Vertrieb tätig, nicht weiter auf. Er ist für den Mindestlohn und für eine wohnortnahe medizinische Versorgung. Außerdem fordert er eine Rentenreform, um Altersarmut zu bekämpfen. Das alles kann wohl auch SPD-Kandidat Horlamus unterschreiben – die AfD hat soziale Gerechtigkeit längst als Wahlkampfthema entdeckt. Die Feststellung des Kabarettisten Volker Pispers, dass die Partei eine „Mischung aus FDP und NPD“ sei, hat zumindest in einer Beziehung an Aktualität eingebüßt.

Doch Mitglieder der Nachwuchsorganisation der Sozialdemokraten, der Jusos, wollen in der Röthenbacher Realschule keine Normalität aufkommen lassen. Sie werfen Flugblätter über den 100 Zuschauern ab, werfen der AfD rechtsextreme Positionen vor und hängen ein Transparent auf mit dem Slogan „AfD wählen macht Lang(e) Gesichter“.

Ihr Ziel erreichen die jungen Genossen nur halb: Moderator Sohr geht schnell wieder zur Tagesordnung über. Später am Abend spricht eine Zuschauerin Lang noch auf die zahlreichen umstrittenen Äußerungen der AfDler Petry und Gauland an. Der mag sich davon nicht distanzieren, unter anderem weil er daran nichts Strittiges finden kann.

Vor allem geht es auf dem Podium aber um (Generationen-)Gerechtigkeit. Das hat mit dem Kolping-Leitbild zu tun. „Wir verstehen uns als generationenübergreifender Verband“, sagt Vorsitzender Wolf. Da liegt es nahe, nach dem Rentensystem, nach Altersarmut und nach fair entlohnter Arbeit zu fragen. All das tut Sohr, der erst einmal die Themen der Kolpingsfamilie abhakt, ehe er Publikumsfragen entgegennimmt.

Überraschungen gibt es dabei kaum, die Kandidaten geben mehr oder weniger ihr jeweiliges Parteiprogramm wieder. Die Grünen wollen eine steuerfinanzierte Garantierente einführen und diese später zur Bürger-Rentenversicherung umbauen, die auch Selbständige und Beamte erfasst. Letzteres befürwortet neben Schwemmer (Piraten) auch Linken-Kandidat Johach, der die Riesterrente für gescheitert hält. Außerdem fordert dieser 1050 Euro monatliche Grundsicherung im Alter. Mayr (FW) will eine Rente, die den „Brüchen im Lebenslauf gerecht wird“, bei der zusätzlich aber auch noch privat vorgesorgt werden soll, und Stadelmann (ÖDP) weist darauf hin, dass „viele Menschen etwas gesellschaftlich Wertvolles leisten, das dann aber nicht entlohnt wird“. Das passt zum ÖDP-Konzept einer „Elternrente“, als Ausgleich für die Kosten der Kindererziehung.

Mortler nimmt nicht nur einmal in der Diskussion die Position der Kanzlerin ein, dass in Deutschland doch alles gut geregelt sei („Wir leben in einem Land, in das 99 Prozent aller Menschen weltweit kommen wollen.“). Bei der Rente verweist sie darauf, dass das jetzige Rentenkonzept bis 2030 stehe, „ich sehe bis zu diesem Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf“. SPD-Kandidat Horlamus ist da schon deutlich angriffslustiger: „Die Union möchte warten, bis das Rentenniveau auf 43 Prozent sinkt. Das ist falsch, und es ist falsch von der Union, dieses Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten“, sagt der 33-jährige Strafverteidiger. Man komme um Steuerzuschüsse in die Rentenkasse nicht herum. Wie Horlamus steht auch die Dehnberger Bundestagsabgeordnete nicht hinter der Rente mit 70. „Das ist bisher eine Einzelmeinung, auch wenn sie vom Finanzminister kommt.“

Um Arbeit gerechter zu gestalten, will Mortler mehr Flexibilität ermöglichen, etwa mit Lebensarbeitszeitkonten, bei denen man phasenweise viel Zeit für die Familie hat, während man in anderen Phasen Arbeitsstunden ansammelt. Grüne-Kandidatin Drechsler stimmt ihr in einer Hinsicht zu: „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie funktioniert noch nicht richtig.“ Horlamus setzt sich dafür ein, dass Frauen „gleiches Geld für gleiche Arbeit bekommen“. Mayr will Arbeitnehmern dabei helfen, ihre Rechte in arbeitsrechtlichen Verfahren besser durchzusetzen und sachgrundlose Befristungen erschweren.

Gegen den Mindestlohn hat niemand etwas einzuwenden. Pirat Schwemmer möchte ihn sogar auf 15 Euro anheben. Spontan mag da nur Johach mitgehen, Horlamus, der das Konzept für die SPD reklamiert, will „keinen Überbietungswettbewerb mitmachen“. Kritische Töne findet nur die CSU-Abgeordnete: „Gute Arbeit muss gut bezahlt werden, aber es gibt eben auch bestimmte Tätigkeiten, die am Ende nicht mehr Wertschöpfung bringen. Das ist nun einmal die Wahrheit“, sagt Mortler.

Deutlich größer sind die Differenzen bei der Haltung zur „Ehe für alle“, nach der die Kolpingsfamilie ebenfalls fragt. Bis auf Mortler und Lang hat keiner der Kandidaten damit ein Problem. Die 61-jährige CSU-Politikerin definiert Ehe ausschließlich als Verbindung von Mann und Frau. Drastischer formuliert der AfD-Vertreter seine Kritik: „Was kommt als Nächstes, die Ehe zu dritt? Hier wird alles auf den Kopf gestellt.“ Er erntet Unmutsbekundungen.

Für den Landkreis wollen alle unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Ausbau des ÖPNV (Linke), mehr Bürgerenergiegenossenschaften (ÖDP), eine stärkere Berücksichtigung des Umweltschutzes (Grüne), die Schaffung einer Infrastruktur, auf dem Land (SPD und Freie Wähler), den Erhalt aller Krankenhäuser (AfD), den Ausbau des Glasfasernetzes (Piraten). Mortler will sich weiter um Gelder für den Landkreis engagieren.

Als die Veranstaltung nach rund zweieinhalb Stunden beendet ist und die Zuschauer die Realschule verlassen, hängt hoch über ihnen noch immer das Protest-Banner der Jusos.

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