HERSBRUCK – „Carmen oder die Würde des Menschen ist ein Scheißdreck“ heißt ein Stück mit Matthias Egersdörfer, das erstmals im Hersbrucker „Kick“ zu sehen war. Es geht schwer zur Sache: über Sex, Beziehungen, Vorurteile. Und es ist, wenn man nicht völlig zartbesaitet ist, absolut sehenswert.
„Du Drecksau!“ ist Egersdörfers bevorzugter Kosename für seine Freundin Carmen, die ihre Einsätze verpasst, jeden Gag versemmelt und rundum eine Versagerin ist. Diese schlichte Trine (hervorragend durchgehalten von Claudia Schulz) erduldet unterwürfig alle Gemeinheiten und üblen Scherze ihres Partners weit über die Schmerzgrenze des Publikums hinaus.
Ihre einzige Gegenwehr ist das Beharren auf korrekten Details in den Erzählungen übers gemeinsame Liebesleben, was der Egers zwischendurch mal grummelnd anerkennen muss: „Wenn Frauen auch mal was wissen, sollen sie es ruhig laut sagen.“ Ansonsten erduldet sie ihren Brüllaffen mit Demutshaltung und ergebenem Blick. Erst im Schlussgag erlaubt sie sich den Hinweis, dass ein einstiger Nebenbuhler sexuell weit erfolgreicher war als der tyrannische Freund.
Und auch der zweite Anspielpartner für Egersdörfer, Nachbar René Eichhorn (mit großem Mut zum bekennenden Schwulsein: Andy Maurice Mueller) lässt sich vom voyeuristischen Meister über seine sexuellen Vorlieben ausquetschen und wird erst sauer, wenn der ihn zum Pädophilen stempeln will.
Richtig, es geht an diesem Abend um Sex, unter anderem. Und wo Egersdörfer draufsteht, ist Egersdörfer drin, auch bei einem Drei-Personen-Stück. Das überwiegend männliche Publikum im lange ausverkauften „Kick“ weiß das wohl, weshalb bei der Vielfalt an Verbal- und Fäkalinjurien die Stimmung trotzdem gut bleibt. Doch unter dieser Oberfläche, die zum Markenzeichen des fränkischen Kabarettisten geworden ist (das gesetzte Publikum in der letzten ZDF-„Anstalt“ zuckte bei dessen Auftritt nicht schlecht), lauert ein aufklärerisches und rebellisches Potenzial.
Denn während wir noch über die schlichte Logik des Paars Carmen/ Matthias prusten, die Schwulsein mit AIDS-krank gleichsetzen, spüren wir, wie hier unsere eigenen Vorurteile, die eigene Angst vor der Homosexualität (und wenn die gar noch unsere Kinder anfassen!) hochkriechen.
Ähnlich ist es mit den schamlos hinausposaunten Aggressionen Egersdörfers gegenüber seiner Carmen: Man(n) fühlt sich ertappt, selbst schon in der Rolle des Überlegenen geglänzt und sich an schwachen Partnern/innen abgeputzt zu haben. Dieser Schrecken auf der Bühne, das sind wir.
Die Kunstfigur Egersdörfer scheint nur den biederen Partner zu geben, der von seiner Carmen halt was Anständiges zu essen kriegen will, im Bett mit einer Note „Drei“ zufrieden ist und sich freut, dass sich die künftigen Schwiegereltern dank 7er BMW, Gardena-Gartenset und Hutschenreuther-Geschirr als gute Partie erweisen. Den Kick abseits dieses banalen bürgerlichen Lebens holt er sich beim Kujonieren der Freundin und beim Ausspionieren des bizarren Nachbarn. Das Stück in der Regie von André Studt ist für Menschen, die vom Kabarett mehr als gepflegte Unterhaltung erwarten.