LAUF – „Trau deiner Kraft – Mutig durch Krisen gehen“. Das ist kein Thema, von dem sich normalerweise die Massen angezogen fühlen. Und doch kamen zum Vortrag von Pater Anselm Grün nach Lauf so viele, wie die Bertleinaula samt zwei Galerien nur fassen kann, selbst die Treppenstufen waren besetzt. Nur die Zugkraft eines Bestseller-Autors? Nein. Wohl jeder dieser gut 600 Besucher ging an diesem Abend bereichert nach Hause.
Eine eigene Fernseh-Talkshow hat der 65-jährige Benediktinerpater aus Münsterschwarzach zwar noch nicht, ein Medienstar ist er allemal. Selbst „Bild online“ veröffentlichte bereits die „zehn besten Wege zum Glück“ von „Deutschlands bekanntestem Mönch“. Doch wie ein Profi-Speaker tritt er nicht auf: kein Power-Point, keine Videofilme, keine Flipchart-Skizzen, kein Puppenspiel. Anselm Grün stellt sich in seinem schwarzen Mönchsgewand schlicht hinter das Mikrofon und spricht, ohne Vortragsattitüde, fast, als befände er sich in einem Vieraugengespräch.
Es geht ihm an diesem Abend nicht um globale Krisen, wie die Bildungs- oder Finanzkrise, die allgemein gern beredet werden. Er mutet seinen Zuhörern vielmehr zu, sich den ganz persönlichen Krisen im eigenen Leben zu stellen, die öffentlich meist eher übergangen werden. Dabei wendet er diese Art von Krisen von Anfang an ins Positive: Sie entstehen, wo Wachstum ist, sie entstehen, wenn die „Einrichtung“ des Lebens sich als einseitig erwiesen hat und die Seele nach einem neuen Gleichgewicht verlangt. Ihr Sinn ist es daher, ganz zu sich selbst zu finden, authentisch zu werden.
Im ersten Teil seines Vortrags geht Anselm Grün auf Krisen ein, die mit dem Lebensalter zu tun haben: die Identitätskrise im jungen Erwachsenenalter, die Krise der Lebensmitte, die „Torschlusspanik“ kurz vor dem 60. Lebensjahr oder die Altersdepression, die oft mit dem Ausscheiden aus dem Beruf zusammenhängt. Jedes Mal gehe es darum, ein bis dahin bestehendes Selbstverständnis oder auch gewohnte Lebensmuster aufzubrechen. Eine Anfang-20-Jährige muss eventuell lernen, dass sie weder im Beruf noch in Beziehungen immer der „Überflieger“ ist, ein Mann Mitte 40 muss sich vielleicht klar machen, dass er einen Pol seines Selbst bisher vernachlässigt hat, und ein älteres Ehepaar muss sich möglicherweise neue Distanzen schaffen, wenn diese nicht mehr durch die Berufstätigkeit eines oder beider Partner automatisch gegeben sind.
Eines solle immer klar sein, so der Pater: An Krisen ist niemand schuld, weder man selbst noch andere. Dies gelte auch für solche Krisen, die einen immer treffen können. Auch hier ging er auf einige ein. Etwa einschneidende Krankheiten. Wer immer gesund gelebt hat, muss sich vielleicht dahingehend neu orientieren, dass Gesundheit letztlich nichts Machbares ist. Oder Arbeitslosigkeit. Auch den immer Engagierten und Fleißigen kann es treffen. Oder eine unglückliche Beziehung. Warum? fragt sich vielleicht der Mann, der sich für einen idealen Familienvater hält.
In solchen Situationen gelte es, nicht zu jammern, sondern die Realität anzunehmen. Oft gelinge dies am besten, indem man das verlorene Gut, das gescheiterte Ideal oder auch den nicht gelebten Traum betrauert, also den Schmerz durchlebt. Denn dann könne man das vorhandene Positive entdecken. „Wenn alte Bilder zerbrechen“, so Anselm Grün, „zerbreche ich nicht.“ Oft verwirkliche sich die Essenz des Lebenstraums auf ganz ungeahnte Weise.
Ein eigenes Kapitel widmete er der verbreiteten Burnout-Krise, der Erschöpfung. Sie rührt nach Worten des Benediktiners meist daher, dass jemand aus trüben Quellen schöpft. Dazu gehöre vor allem Perfektionismus und Sich-unter-Druck setzen: Hoffentlich erfülle ich alle Erwartungen. Hoffentlich gibt es keinen Streit. Hoffentlich ist mein Chef zufrieden. Hoffentlich bin ich überall beliebt.
Nicht erschöpfend sei das Arbeiten und jedes Agieren dagegen, wenn man es in dem Bewusstsein tue, dass man mit seinem Willen und seiner Kraft nicht alleine ist, sondern aus der Quelle des „Heiligen Geistes“ gespeist wird. Der freilich am Ende manches womöglich anders werden lässt als gedacht, eben eher so, dass es mit dem eigenen Selbst in Übereinstimmung kommt.
Zum Abschluss seines Vortrags lud Pater Anselm Grün zu einem „Ritual“ ein, an dem sich alle Besucher beteiligten: das Kreuzen der Hände über der Brust als Geste der Umarmung sowohl des Starken, Gesunden, Gelebten, Gelungenen im eigenen Leben als auch des Schwachen, Kranken, Nichtgelebten oder Gescheiterten.
Wie groß letztlich das Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit dem Thema ist, konnte man am Ende an den Fragen aus dem Publikum merken. Offensichtlich hatte Anselm Grün den Mut geweckt, nach den vielleicht schwierigsten Krisen zu fragen, denen in Zusammenhang mit Tod, Alter und Sterben. Auch hier gab er noch einmal eingehend Rat, bevor er sich dann an den Signiertisch setzte, an dem sich schnell eine lange Schlange bildete.
Ein Erfolg war der Abend nicht zuletzt für den Veranstalter, das Hans-Bößner-Hilfswerk von St. Otto Lauf, das den Gesamterlös in den Aufbau der neuen Buschkranken- und Geburtsstation in Tansania fließen lässt. Vorsitzender Günter Huber dankte in diesem Sinne allen für ihr Kommen.